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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Zunge Liebe

Sie gingen ein paar Schritte, indem sich Martha krampfhaft um seinem
Arme hielt. Sobald sie aber wieder einigermaßen zur Besinnung gekommen
war, ließ sie ihn mit einem kurzen: Ich muß eilen! los und lief in ihre
Kammer. Dort stürzte sie sich über ihr Bett, rang die Hände und brach in
ein heftiges, krampfhaftes, lautloses Weinen aus.

13

Am Abend versammelte sich der Klub wieder wie gewöhnlich um den
eichenen Tisch im Gastzimmer. Man war jedoch in ungewöhnlich festlicher,
aufgeräumter Stimmung.

Natürlich hatte das beklagenswerte Unglück mit dem schwermütigen Sören
-- der übrigens im Laufe des Tages wieder herbeigeschafft worden war,
wenn auch in ziemlich jämmerlichem Zustand und namentlich ohne einen
Heller in der Tasche für das ihm so vertrauensvoll übertragene Gut -- natür¬
lich hatte dies Unglück die stolzen Erwartungen, die sie auf die Geschäfte des
gestrigen Tages gesetzt hatten, bitter zu Schanden gemacht. Dafür kam nun
aber die unerwartete und deshalb doppelt erfreuliche Nachricht von Jespers
und Marthas nahe bevorstehender Verbindung, die Verwirklichung ihrer gemein¬
samen liebsten Wünsche und Hoffnungen, und verscheuchte gleichsam wie durch
ein Zauberwort alle Wolken von dem gewitterschweren Himmel.

Im Laufe des Abends wurde mit Ernst und Eifer alles erwogen, was
dieses frohe, bedeutungsvolle Ereignis betraf. Namentlich einigte man sich
sofort dahin, daß sie alle -- Martha an der Spitze -- gleich am nächsten
Morgen eine gemeinsame Besichtigung des Mühlenhauses vornehmen wollten.
Von dort sollte dann Jesper mit Lars Einciuge und dem Weber Zacharias
zum Prediger gehen und das Aufgebot bestellen, worauf man sich hier im
Kruge versammeln wollte, um bei einer guten Mahlzeit und einer Punschbowle
den Tag auf eine der Veranlassung würdige Weise zu beschließen.

Vor allen war aber Jesper im siebenten Himmel. Bis dahin hatte sich
ihm das Leben nicht von der rosigsten Seite gezeigt. Als Sohn übelberüch¬
tigter Eltern, mit der Schande eines versoffenen Vaters und einer diebischen
Mutter behaftet, von seinen Gleichgestellten eines gewissen linkischer Mi߬
trauens wegen, das das Leben draußen in der Einsamkeit bei ihm erzeugt
hatte, verachtet und verspottet, mußte er schon frühe die Bitterkeit der Welt
kennen lernen, und so hatte sich bei ihm jener unglückliche streitsüchtige Cha¬
rakter entwickelt, den er vielleicht selber mehr als irgend ein andrer fürchtete.

Jetzt aber schien es, als ob dys Bewußtsein, endlich und alles Ernstes
den Schatz zu besitzen, nach dem er so standhaft und nnter so harten Prüfungen
gestrebt hatte, ihn zu einem neuen, bessern Menschen macheu, als ob dieser erste
Sonnenstrahl, der auf seinen Lebensweg siel, alles Harte und Feindliche ans
seiner Seele wegschmelzeu wollte.


Zunge Liebe

Sie gingen ein paar Schritte, indem sich Martha krampfhaft um seinem
Arme hielt. Sobald sie aber wieder einigermaßen zur Besinnung gekommen
war, ließ sie ihn mit einem kurzen: Ich muß eilen! los und lief in ihre
Kammer. Dort stürzte sie sich über ihr Bett, rang die Hände und brach in
ein heftiges, krampfhaftes, lautloses Weinen aus.

13

Am Abend versammelte sich der Klub wieder wie gewöhnlich um den
eichenen Tisch im Gastzimmer. Man war jedoch in ungewöhnlich festlicher,
aufgeräumter Stimmung.

Natürlich hatte das beklagenswerte Unglück mit dem schwermütigen Sören
— der übrigens im Laufe des Tages wieder herbeigeschafft worden war,
wenn auch in ziemlich jämmerlichem Zustand und namentlich ohne einen
Heller in der Tasche für das ihm so vertrauensvoll übertragene Gut — natür¬
lich hatte dies Unglück die stolzen Erwartungen, die sie auf die Geschäfte des
gestrigen Tages gesetzt hatten, bitter zu Schanden gemacht. Dafür kam nun
aber die unerwartete und deshalb doppelt erfreuliche Nachricht von Jespers
und Marthas nahe bevorstehender Verbindung, die Verwirklichung ihrer gemein¬
samen liebsten Wünsche und Hoffnungen, und verscheuchte gleichsam wie durch
ein Zauberwort alle Wolken von dem gewitterschweren Himmel.

Im Laufe des Abends wurde mit Ernst und Eifer alles erwogen, was
dieses frohe, bedeutungsvolle Ereignis betraf. Namentlich einigte man sich
sofort dahin, daß sie alle — Martha an der Spitze — gleich am nächsten
Morgen eine gemeinsame Besichtigung des Mühlenhauses vornehmen wollten.
Von dort sollte dann Jesper mit Lars Einciuge und dem Weber Zacharias
zum Prediger gehen und das Aufgebot bestellen, worauf man sich hier im
Kruge versammeln wollte, um bei einer guten Mahlzeit und einer Punschbowle
den Tag auf eine der Veranlassung würdige Weise zu beschließen.

Vor allen war aber Jesper im siebenten Himmel. Bis dahin hatte sich
ihm das Leben nicht von der rosigsten Seite gezeigt. Als Sohn übelberüch¬
tigter Eltern, mit der Schande eines versoffenen Vaters und einer diebischen
Mutter behaftet, von seinen Gleichgestellten eines gewissen linkischer Mi߬
trauens wegen, das das Leben draußen in der Einsamkeit bei ihm erzeugt
hatte, verachtet und verspottet, mußte er schon frühe die Bitterkeit der Welt
kennen lernen, und so hatte sich bei ihm jener unglückliche streitsüchtige Cha¬
rakter entwickelt, den er vielleicht selber mehr als irgend ein andrer fürchtete.

Jetzt aber schien es, als ob dys Bewußtsein, endlich und alles Ernstes
den Schatz zu besitzen, nach dem er so standhaft und nnter so harten Prüfungen
gestrebt hatte, ihn zu einem neuen, bessern Menschen macheu, als ob dieser erste
Sonnenstrahl, der auf seinen Lebensweg siel, alles Harte und Feindliche ans
seiner Seele wegschmelzeu wollte.


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[0444] Zunge Liebe Sie gingen ein paar Schritte, indem sich Martha krampfhaft um seinem Arme hielt. Sobald sie aber wieder einigermaßen zur Besinnung gekommen war, ließ sie ihn mit einem kurzen: Ich muß eilen! los und lief in ihre Kammer. Dort stürzte sie sich über ihr Bett, rang die Hände und brach in ein heftiges, krampfhaftes, lautloses Weinen aus. 13 Am Abend versammelte sich der Klub wieder wie gewöhnlich um den eichenen Tisch im Gastzimmer. Man war jedoch in ungewöhnlich festlicher, aufgeräumter Stimmung. Natürlich hatte das beklagenswerte Unglück mit dem schwermütigen Sören — der übrigens im Laufe des Tages wieder herbeigeschafft worden war, wenn auch in ziemlich jämmerlichem Zustand und namentlich ohne einen Heller in der Tasche für das ihm so vertrauensvoll übertragene Gut — natür¬ lich hatte dies Unglück die stolzen Erwartungen, die sie auf die Geschäfte des gestrigen Tages gesetzt hatten, bitter zu Schanden gemacht. Dafür kam nun aber die unerwartete und deshalb doppelt erfreuliche Nachricht von Jespers und Marthas nahe bevorstehender Verbindung, die Verwirklichung ihrer gemein¬ samen liebsten Wünsche und Hoffnungen, und verscheuchte gleichsam wie durch ein Zauberwort alle Wolken von dem gewitterschweren Himmel. Im Laufe des Abends wurde mit Ernst und Eifer alles erwogen, was dieses frohe, bedeutungsvolle Ereignis betraf. Namentlich einigte man sich sofort dahin, daß sie alle — Martha an der Spitze — gleich am nächsten Morgen eine gemeinsame Besichtigung des Mühlenhauses vornehmen wollten. Von dort sollte dann Jesper mit Lars Einciuge und dem Weber Zacharias zum Prediger gehen und das Aufgebot bestellen, worauf man sich hier im Kruge versammeln wollte, um bei einer guten Mahlzeit und einer Punschbowle den Tag auf eine der Veranlassung würdige Weise zu beschließen. Vor allen war aber Jesper im siebenten Himmel. Bis dahin hatte sich ihm das Leben nicht von der rosigsten Seite gezeigt. Als Sohn übelberüch¬ tigter Eltern, mit der Schande eines versoffenen Vaters und einer diebischen Mutter behaftet, von seinen Gleichgestellten eines gewissen linkischer Mi߬ trauens wegen, das das Leben draußen in der Einsamkeit bei ihm erzeugt hatte, verachtet und verspottet, mußte er schon frühe die Bitterkeit der Welt kennen lernen, und so hatte sich bei ihm jener unglückliche streitsüchtige Cha¬ rakter entwickelt, den er vielleicht selber mehr als irgend ein andrer fürchtete. Jetzt aber schien es, als ob dys Bewußtsein, endlich und alles Ernstes den Schatz zu besitzen, nach dem er so standhaft und nnter so harten Prüfungen gestrebt hatte, ihn zu einem neuen, bessern Menschen macheu, als ob dieser erste Sonnenstrahl, der auf seinen Lebensweg siel, alles Harte und Feindliche ans seiner Seele wegschmelzeu wollte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/444>, abgerufen am 23.06.2024.