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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Junge Liebe

Er war ganz erhitzt von seiner Arbeit gekommen, und den ganzen Abend
wich er nicht von Marthas Seite, sondern saß neben ihr auf der Bank und
streichelte vorsichtig -- beinahe ängstlich -- ihre feine, weiße, weiche Hand mit
seiner großen, groben, treuen Holzhauerfaust,

Martha war bald, nachdem sich alle versammelt hatten, hereingekommen.
Aber sie hatte sich, sobald sie die Glückwünsche der alten Freunde in Empfang
genommen hatte, in die Ecke gesetzt, wo der tiefste Schatten war, und seitdem
hatte sie sich nicht wieder erhoben. Sie war noch sehr bleich, und es lag
etwas unheimliches in der scheuen und dabei spähenden Art und Weise, mit
der sie hin und wieder ihre dunkeln Augen durchs Zimmer gleiten ließ,
ebenso wie in dem ängstlichen, plötzlichen Zittern, das sie befiel, als Jesper
sich neben sie setzte und ihre Hand in die seine nahm.

Die alten Freunde aber jubelten. In ihrem übertriebenen Entzücken sahen
sie in dieser stummen Verschlossenheit nur die Verlegenheit, die so natürlich
und so hübsch für ein junges, unschuldiges Mädchen ist, das vor einem so
wichtigen, entscheidenden Schritte steht; und namentlich Jesper sand hierin
einen neuen, erfreulichen Beweis, daß sie endlich angefangen habe, die Sache
mit dem nötigen Ernst und Anstand zu betrachten.

Martha selber wußte zeitweise gar nicht, was eigentlich mit ihr vorging
oder wo sie war -- so sauste und brauste es noch in ihrem Kopfe.

Sie hatte den Tag auf ihrer Kanuner verbracht, hatte sich zwischen
dumpfer Gefilhllosigkeit und bitterer Verzweiflung hin und hergeworfen.
Es hatte Augenblicke gegeben, wo sie wirklich sür ihren Verstand fürchtete,
und wieder andre, wo ein grenzenloser Haß, eine wilde Naserei gegen
den Elenden, der sie sür ewige Zeiten gebrandmarkt hatte, sie erfaßte,
so daß sie ein Gefühl hatte, als könnte sie nicht leben, ohne Rache zu
nehmen.

Noch als sie ihre Hand ans die Thürklinke gelegt hatte, um in die Schenk¬
stube zu treten, hatte sie sich kühl und ruhig gefragt, ob es nicht doch das
Beste sei, der gauzen Sache ein Ende zu machen und sich in den See zu
stürzen. Und als ihr gleich in der Thür Jespers glückseliger Blick begegnete,
mußte sie sich einen Allgenblick gegen den Pfosten lehnen, um nicht umzusinken.

Am verächtlichsten erschien ihr die Art lind Weise, wie der Falsche sich
in den Wald geschlichen und von dort die Ankunft der Post erwartet hatte,
um nicht hier am Hause vorüberfahren zu müssen. Jedesmal, wenn sie daran
dachte, ballte sie unwillkürlich die Hände und biß sich in die Lippen. Diese
wohlüberlegte List, diese schlaue Berechnung schien ihr mehr als alles andre
seine feige Gemeinheit zu offenbaren. Und nun, da sie hier wieder zwischen
ihren alten, treuen Freunden saß, die nie etwas andres als ihr Bestes gewollt
hatten, die gern ihr Leben für sie hingegeben hätten, nun begriff sie
Plötzlich nicht, wie sie je so verblendet hatte sein können, wie es ihr nur einen


Junge Liebe

Er war ganz erhitzt von seiner Arbeit gekommen, und den ganzen Abend
wich er nicht von Marthas Seite, sondern saß neben ihr auf der Bank und
streichelte vorsichtig — beinahe ängstlich — ihre feine, weiße, weiche Hand mit
seiner großen, groben, treuen Holzhauerfaust,

Martha war bald, nachdem sich alle versammelt hatten, hereingekommen.
Aber sie hatte sich, sobald sie die Glückwünsche der alten Freunde in Empfang
genommen hatte, in die Ecke gesetzt, wo der tiefste Schatten war, und seitdem
hatte sie sich nicht wieder erhoben. Sie war noch sehr bleich, und es lag
etwas unheimliches in der scheuen und dabei spähenden Art und Weise, mit
der sie hin und wieder ihre dunkeln Augen durchs Zimmer gleiten ließ,
ebenso wie in dem ängstlichen, plötzlichen Zittern, das sie befiel, als Jesper
sich neben sie setzte und ihre Hand in die seine nahm.

Die alten Freunde aber jubelten. In ihrem übertriebenen Entzücken sahen
sie in dieser stummen Verschlossenheit nur die Verlegenheit, die so natürlich
und so hübsch für ein junges, unschuldiges Mädchen ist, das vor einem so
wichtigen, entscheidenden Schritte steht; und namentlich Jesper sand hierin
einen neuen, erfreulichen Beweis, daß sie endlich angefangen habe, die Sache
mit dem nötigen Ernst und Anstand zu betrachten.

Martha selber wußte zeitweise gar nicht, was eigentlich mit ihr vorging
oder wo sie war — so sauste und brauste es noch in ihrem Kopfe.

Sie hatte den Tag auf ihrer Kanuner verbracht, hatte sich zwischen
dumpfer Gefilhllosigkeit und bitterer Verzweiflung hin und hergeworfen.
Es hatte Augenblicke gegeben, wo sie wirklich sür ihren Verstand fürchtete,
und wieder andre, wo ein grenzenloser Haß, eine wilde Naserei gegen
den Elenden, der sie sür ewige Zeiten gebrandmarkt hatte, sie erfaßte,
so daß sie ein Gefühl hatte, als könnte sie nicht leben, ohne Rache zu
nehmen.

Noch als sie ihre Hand ans die Thürklinke gelegt hatte, um in die Schenk¬
stube zu treten, hatte sie sich kühl und ruhig gefragt, ob es nicht doch das
Beste sei, der gauzen Sache ein Ende zu machen und sich in den See zu
stürzen. Und als ihr gleich in der Thür Jespers glückseliger Blick begegnete,
mußte sie sich einen Allgenblick gegen den Pfosten lehnen, um nicht umzusinken.

Am verächtlichsten erschien ihr die Art lind Weise, wie der Falsche sich
in den Wald geschlichen und von dort die Ankunft der Post erwartet hatte,
um nicht hier am Hause vorüberfahren zu müssen. Jedesmal, wenn sie daran
dachte, ballte sie unwillkürlich die Hände und biß sich in die Lippen. Diese
wohlüberlegte List, diese schlaue Berechnung schien ihr mehr als alles andre
seine feige Gemeinheit zu offenbaren. Und nun, da sie hier wieder zwischen
ihren alten, treuen Freunden saß, die nie etwas andres als ihr Bestes gewollt
hatten, die gern ihr Leben für sie hingegeben hätten, nun begriff sie
Plötzlich nicht, wie sie je so verblendet hatte sein können, wie es ihr nur einen


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[0445] Junge Liebe Er war ganz erhitzt von seiner Arbeit gekommen, und den ganzen Abend wich er nicht von Marthas Seite, sondern saß neben ihr auf der Bank und streichelte vorsichtig — beinahe ängstlich — ihre feine, weiße, weiche Hand mit seiner großen, groben, treuen Holzhauerfaust, Martha war bald, nachdem sich alle versammelt hatten, hereingekommen. Aber sie hatte sich, sobald sie die Glückwünsche der alten Freunde in Empfang genommen hatte, in die Ecke gesetzt, wo der tiefste Schatten war, und seitdem hatte sie sich nicht wieder erhoben. Sie war noch sehr bleich, und es lag etwas unheimliches in der scheuen und dabei spähenden Art und Weise, mit der sie hin und wieder ihre dunkeln Augen durchs Zimmer gleiten ließ, ebenso wie in dem ängstlichen, plötzlichen Zittern, das sie befiel, als Jesper sich neben sie setzte und ihre Hand in die seine nahm. Die alten Freunde aber jubelten. In ihrem übertriebenen Entzücken sahen sie in dieser stummen Verschlossenheit nur die Verlegenheit, die so natürlich und so hübsch für ein junges, unschuldiges Mädchen ist, das vor einem so wichtigen, entscheidenden Schritte steht; und namentlich Jesper sand hierin einen neuen, erfreulichen Beweis, daß sie endlich angefangen habe, die Sache mit dem nötigen Ernst und Anstand zu betrachten. Martha selber wußte zeitweise gar nicht, was eigentlich mit ihr vorging oder wo sie war — so sauste und brauste es noch in ihrem Kopfe. Sie hatte den Tag auf ihrer Kanuner verbracht, hatte sich zwischen dumpfer Gefilhllosigkeit und bitterer Verzweiflung hin und hergeworfen. Es hatte Augenblicke gegeben, wo sie wirklich sür ihren Verstand fürchtete, und wieder andre, wo ein grenzenloser Haß, eine wilde Naserei gegen den Elenden, der sie sür ewige Zeiten gebrandmarkt hatte, sie erfaßte, so daß sie ein Gefühl hatte, als könnte sie nicht leben, ohne Rache zu nehmen. Noch als sie ihre Hand ans die Thürklinke gelegt hatte, um in die Schenk¬ stube zu treten, hatte sie sich kühl und ruhig gefragt, ob es nicht doch das Beste sei, der gauzen Sache ein Ende zu machen und sich in den See zu stürzen. Und als ihr gleich in der Thür Jespers glückseliger Blick begegnete, mußte sie sich einen Allgenblick gegen den Pfosten lehnen, um nicht umzusinken. Am verächtlichsten erschien ihr die Art lind Weise, wie der Falsche sich in den Wald geschlichen und von dort die Ankunft der Post erwartet hatte, um nicht hier am Hause vorüberfahren zu müssen. Jedesmal, wenn sie daran dachte, ballte sie unwillkürlich die Hände und biß sich in die Lippen. Diese wohlüberlegte List, diese schlaue Berechnung schien ihr mehr als alles andre seine feige Gemeinheit zu offenbaren. Und nun, da sie hier wieder zwischen ihren alten, treuen Freunden saß, die nie etwas andres als ihr Bestes gewollt hatten, die gern ihr Leben für sie hingegeben hätten, nun begriff sie Plötzlich nicht, wie sie je so verblendet hatte sein können, wie es ihr nur einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/445>, abgerufen am 22.12.2024.