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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die bedingte Verurteilung

le Bestrebungen der internationalen Philanthropie haben kürzlich
von einer Seite Unterstützung gefunden, von der wohl nur wenige
sie erwartet haben: die "norddeutsche Allgemeine Zeitung" hat
sich sehr beifällig über den Vorschlag der bedingten Verurteilung
ausgesprochen. Vielleicht stellt der Aufsatz nnr die Äußerung
eines beliebigen Privatmanns vor, dein die neue Einrichtung gefällt; vielleicht
aber stammt er auch aus Kreisen, die auf die Gestaltung unsers Strafrechts
Einfluß haben, und diese Möglichkeit wird eS rechtfertigen, wenn wir an dieser
Stelle nochmals auf die bedingte Verurteilung zurückkommen.^)

Wir gestehen, daß wir dem Vorschlag ganz und gar keinen Geschmack ab¬
gewinnen können, er scheint uns den schwerste!? formellen und materiellen Be¬
denken zu unterliegen: formellen Bedenken, sofern er gegen die Logik des Rechts
verstößt; materiellen, sofern dieser Verstoß nicht, wie es ja in andern Fällen
zuweilen geschieht, durch überwiegende Rücksichten der Zweckmäßigkeit entschuldigt
oder gerechtfertigt wird.

Der Inhalt des Vorschlages ist bekannt: er geht im wesentlichen dahin,
daß dem Richter die Befugnis eingeräumt werden soll, gegen den Gesetzes¬
übertreter eine Strafe in der Art zu verhängen, daß sie nur dann vollzogen
wird, wenn der Thäter sich innerhalb einer gewissen Frist eine abermalige Ver¬
letzung des Gesetzes zu schulden kommen läßt.

Betrachten wir die Sache zunächst unter dem Gesichtspunkte der juristischen
Logik. Wer etwas unter einer Bedingung zu wollen erklärt, der erklärt damit,
daß er unter der entgegengesetzten Bedingung das Gegenteil Null. Nach dem
Vorschlage der internationalen kriminalistischen Vereinigung soll der Richter dein
Verbrecher""') sagen: "Ich verurteile dich, wen" du in? Laufe der nächsten drei




*) Neuerdings hat sich die Nordd. Allg, Zeitung gegen die bedingte Verurteilung aus¬
gesprochen, die frühere Äußerung wird also nicht als offiziös einzusehen sein.
Nach dem Vorschlage soll die Wohlthat der bedingten Verurteilung nur dein zu
gute kommen, der eine Gefängnisstrafe verwirkt hat, also nach der französischen Terminologie
unsers Strafgeschbnchs nur dem, der ein "Bergehen," nicht auch dem, der ein "Verbrechen"
verübt hat; da aber die deutsche Sprache uur einen Verbrecher, nicht auch einen Vergeher
kennt, so erlauben wir uns, den GeseheSiibertreter, den der Vorschlag im Auge Hai, kurz als
Verbrecher zu bezeichnen.


Die bedingte Verurteilung

le Bestrebungen der internationalen Philanthropie haben kürzlich
von einer Seite Unterstützung gefunden, von der wohl nur wenige
sie erwartet haben: die „norddeutsche Allgemeine Zeitung" hat
sich sehr beifällig über den Vorschlag der bedingten Verurteilung
ausgesprochen. Vielleicht stellt der Aufsatz nnr die Äußerung
eines beliebigen Privatmanns vor, dein die neue Einrichtung gefällt; vielleicht
aber stammt er auch aus Kreisen, die auf die Gestaltung unsers Strafrechts
Einfluß haben, und diese Möglichkeit wird eS rechtfertigen, wenn wir an dieser
Stelle nochmals auf die bedingte Verurteilung zurückkommen.^)

Wir gestehen, daß wir dem Vorschlag ganz und gar keinen Geschmack ab¬
gewinnen können, er scheint uns den schwerste!? formellen und materiellen Be¬
denken zu unterliegen: formellen Bedenken, sofern er gegen die Logik des Rechts
verstößt; materiellen, sofern dieser Verstoß nicht, wie es ja in andern Fällen
zuweilen geschieht, durch überwiegende Rücksichten der Zweckmäßigkeit entschuldigt
oder gerechtfertigt wird.

Der Inhalt des Vorschlages ist bekannt: er geht im wesentlichen dahin,
daß dem Richter die Befugnis eingeräumt werden soll, gegen den Gesetzes¬
übertreter eine Strafe in der Art zu verhängen, daß sie nur dann vollzogen
wird, wenn der Thäter sich innerhalb einer gewissen Frist eine abermalige Ver¬
letzung des Gesetzes zu schulden kommen läßt.

Betrachten wir die Sache zunächst unter dem Gesichtspunkte der juristischen
Logik. Wer etwas unter einer Bedingung zu wollen erklärt, der erklärt damit,
daß er unter der entgegengesetzten Bedingung das Gegenteil Null. Nach dem
Vorschlage der internationalen kriminalistischen Vereinigung soll der Richter dein
Verbrecher""') sagen: „Ich verurteile dich, wen» du in? Laufe der nächsten drei




*) Neuerdings hat sich die Nordd. Allg, Zeitung gegen die bedingte Verurteilung aus¬
gesprochen, die frühere Äußerung wird also nicht als offiziös einzusehen sein.
Nach dem Vorschlage soll die Wohlthat der bedingten Verurteilung nur dein zu
gute kommen, der eine Gefängnisstrafe verwirkt hat, also nach der französischen Terminologie
unsers Strafgeschbnchs nur dem, der ein „Bergehen," nicht auch dem, der ein „Verbrechen"
verübt hat; da aber die deutsche Sprache uur einen Verbrecher, nicht auch einen Vergeher
kennt, so erlauben wir uns, den GeseheSiibertreter, den der Vorschlag im Auge Hai, kurz als
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/407>, abgerufen am 23.06.2024.