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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die bedingte Oorurteilnng

Jahre wieder ein Verbrechen begehst." Mit ander" Worten: "Wenn du im
Laufe dieser Zeit kein Verbrechen begehst, so -- verurteile ich dich nicht." Allein
ans "NichtVerurteilung" lautet kein Richterspruch, die Straflosigkeit wird ver¬
kündigt entweder durch den Nusspruch: "Der Angeklagte wird freigesprochen,"
oder durch deu Ausspruch: "Der Angeklagte wird begnadigt." (Unsre Straf¬
prozeßordnung kennt neben dem Urteil auf Freisprechung und dein "Urteil auf
Verurteilung" (!) auch noch ein Urteil "auf Einstellung des Verfahrens," nämlich
in Fällen, wo es an dein erforderlichen Strafautrag fehlt; das ist in Wirklich¬
keit auch eine Freisprechung, der man nur mit Rücksicht auf die sogenannte
Rechtskraft des Urteils diesen Namen nicht giebt; die bedingte Verurteilung
läßt sich nicht unter diesen Begriff bringen, denn eine "Wiederaufnahme des
Verfahrens" findet in keinem Falle statt: verwirkt der Thäter die Bedingung
der "Nichtvcrurteiluug," so wird die bedingt erkannte Strafe vollzogen -- ob"e
neues Verfahren über die alte That.) Was ist nun der Sinn der bedingten
Verurteilung? Wird unter der entgegengesetzten Bedingung der Verbrecher
freigesprochen oder begnadigt? "Der Angeklagte wird, weil er rechtswidrig
seinen Nachbar am Körper verletzt hat, unter der Bedingung, daß er in den
nächsten drei Jahren niemand am Körper verletzt, voll der Allklage der Körper¬
verletzung freigesprochen" -- das ist ein so großartiger Unsinn, daß darüber kein
weiteres Wort zu verlieren ist. "Der Angeklagte wird im Fall seines Wohl-
verhaltens begnadigt" ^- das hat einen Sinn, d. h. das ist kein Verstoß gegen
die Logik, aber der Satz bedeutet nicht mehr und nicht weniger als die Auf¬
hebung eines bisher nicht bloß in Deutschland, sondern in allen zivilisirten
Staaten anerkannten Grundsatzes, nämlich des staatsrechtlichen Satzes, daß das
Begnadigungsrecht nur dem Staatsoberhaupte zusteht. "Die Gnade fließet
aus vom Throne, das Recht ist ein gemeines Gut" sagt Uhland, und dieses
Dichterwort, meinen wir, soll Wahrheit bleiben, denn wir vermögen die Zweck-
mäßigkeitsgründe nicht anzuerkennen, die für die Durchbrechung jenes staats¬
rechtlichen Grundsatzes ins Feld geführt werden.

Wir stellen rede" das Wort des Deutschen ein Wort des großen britischen
Dichters:


Die Art der Gnade weiß ton keinem Zwang,
Sie träufelt, wie des Himmels milder Regen,
Zur Erde uuter ihr; zwiefach gesegnet:
Sie segnet den, der giebt, nud den, der nimmt.

Der Vorschlag unsrer iuteruativunlen Philanthropen läßt, so scheint es,
dieses Wort gelten, denn er "weiß von keinem Zwang"; der Richter kann die
bedingte Verurteilung aussprechen, aber er muß es nicht, der Vorschlag stellt
es, wir wollen nicht sagen in heilt Belieben, aber in sein Ermessen, ob er
von der ihm erteilte" Befugnis Gebrauch machen will oder nicht. Wird aber
auch diese "Art der Gliade" de" vo" Porzia verheißene" "zwiefache" Segen"


Die bedingte Oorurteilnng

Jahre wieder ein Verbrechen begehst." Mit ander» Worten: „Wenn du im
Laufe dieser Zeit kein Verbrechen begehst, so — verurteile ich dich nicht." Allein
ans „NichtVerurteilung" lautet kein Richterspruch, die Straflosigkeit wird ver¬
kündigt entweder durch den Nusspruch: „Der Angeklagte wird freigesprochen,"
oder durch deu Ausspruch: „Der Angeklagte wird begnadigt." (Unsre Straf¬
prozeßordnung kennt neben dem Urteil auf Freisprechung und dein „Urteil auf
Verurteilung" (!) auch noch ein Urteil „auf Einstellung des Verfahrens," nämlich
in Fällen, wo es an dein erforderlichen Strafautrag fehlt; das ist in Wirklich¬
keit auch eine Freisprechung, der man nur mit Rücksicht auf die sogenannte
Rechtskraft des Urteils diesen Namen nicht giebt; die bedingte Verurteilung
läßt sich nicht unter diesen Begriff bringen, denn eine „Wiederaufnahme des
Verfahrens" findet in keinem Falle statt: verwirkt der Thäter die Bedingung
der „Nichtvcrurteiluug," so wird die bedingt erkannte Strafe vollzogen — ob»e
neues Verfahren über die alte That.) Was ist nun der Sinn der bedingten
Verurteilung? Wird unter der entgegengesetzten Bedingung der Verbrecher
freigesprochen oder begnadigt? „Der Angeklagte wird, weil er rechtswidrig
seinen Nachbar am Körper verletzt hat, unter der Bedingung, daß er in den
nächsten drei Jahren niemand am Körper verletzt, voll der Allklage der Körper¬
verletzung freigesprochen" — das ist ein so großartiger Unsinn, daß darüber kein
weiteres Wort zu verlieren ist. „Der Angeklagte wird im Fall seines Wohl-
verhaltens begnadigt" ^- das hat einen Sinn, d. h. das ist kein Verstoß gegen
die Logik, aber der Satz bedeutet nicht mehr und nicht weniger als die Auf¬
hebung eines bisher nicht bloß in Deutschland, sondern in allen zivilisirten
Staaten anerkannten Grundsatzes, nämlich des staatsrechtlichen Satzes, daß das
Begnadigungsrecht nur dem Staatsoberhaupte zusteht. „Die Gnade fließet
aus vom Throne, das Recht ist ein gemeines Gut" sagt Uhland, und dieses
Dichterwort, meinen wir, soll Wahrheit bleiben, denn wir vermögen die Zweck-
mäßigkeitsgründe nicht anzuerkennen, die für die Durchbrechung jenes staats¬
rechtlichen Grundsatzes ins Feld geführt werden.

Wir stellen rede» das Wort des Deutschen ein Wort des großen britischen
Dichters:


Die Art der Gnade weiß ton keinem Zwang,
Sie träufelt, wie des Himmels milder Regen,
Zur Erde uuter ihr; zwiefach gesegnet:
Sie segnet den, der giebt, nud den, der nimmt.

Der Vorschlag unsrer iuteruativunlen Philanthropen läßt, so scheint es,
dieses Wort gelten, denn er „weiß von keinem Zwang"; der Richter kann die
bedingte Verurteilung aussprechen, aber er muß es nicht, der Vorschlag stellt
es, wir wollen nicht sagen in heilt Belieben, aber in sein Ermessen, ob er
von der ihm erteilte» Befugnis Gebrauch machen will oder nicht. Wird aber
auch diese „Art der Gliade" de» vo» Porzia verheißene» „zwiefache» Segen"


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[0408] Die bedingte Oorurteilnng Jahre wieder ein Verbrechen begehst." Mit ander» Worten: „Wenn du im Laufe dieser Zeit kein Verbrechen begehst, so — verurteile ich dich nicht." Allein ans „NichtVerurteilung" lautet kein Richterspruch, die Straflosigkeit wird ver¬ kündigt entweder durch den Nusspruch: „Der Angeklagte wird freigesprochen," oder durch deu Ausspruch: „Der Angeklagte wird begnadigt." (Unsre Straf¬ prozeßordnung kennt neben dem Urteil auf Freisprechung und dein „Urteil auf Verurteilung" (!) auch noch ein Urteil „auf Einstellung des Verfahrens," nämlich in Fällen, wo es an dein erforderlichen Strafautrag fehlt; das ist in Wirklich¬ keit auch eine Freisprechung, der man nur mit Rücksicht auf die sogenannte Rechtskraft des Urteils diesen Namen nicht giebt; die bedingte Verurteilung läßt sich nicht unter diesen Begriff bringen, denn eine „Wiederaufnahme des Verfahrens" findet in keinem Falle statt: verwirkt der Thäter die Bedingung der „Nichtvcrurteiluug," so wird die bedingt erkannte Strafe vollzogen — ob»e neues Verfahren über die alte That.) Was ist nun der Sinn der bedingten Verurteilung? Wird unter der entgegengesetzten Bedingung der Verbrecher freigesprochen oder begnadigt? „Der Angeklagte wird, weil er rechtswidrig seinen Nachbar am Körper verletzt hat, unter der Bedingung, daß er in den nächsten drei Jahren niemand am Körper verletzt, voll der Allklage der Körper¬ verletzung freigesprochen" — das ist ein so großartiger Unsinn, daß darüber kein weiteres Wort zu verlieren ist. „Der Angeklagte wird im Fall seines Wohl- verhaltens begnadigt" ^- das hat einen Sinn, d. h. das ist kein Verstoß gegen die Logik, aber der Satz bedeutet nicht mehr und nicht weniger als die Auf¬ hebung eines bisher nicht bloß in Deutschland, sondern in allen zivilisirten Staaten anerkannten Grundsatzes, nämlich des staatsrechtlichen Satzes, daß das Begnadigungsrecht nur dem Staatsoberhaupte zusteht. „Die Gnade fließet aus vom Throne, das Recht ist ein gemeines Gut" sagt Uhland, und dieses Dichterwort, meinen wir, soll Wahrheit bleiben, denn wir vermögen die Zweck- mäßigkeitsgründe nicht anzuerkennen, die für die Durchbrechung jenes staats¬ rechtlichen Grundsatzes ins Feld geführt werden. Wir stellen rede» das Wort des Deutschen ein Wort des großen britischen Dichters: Die Art der Gnade weiß ton keinem Zwang, Sie träufelt, wie des Himmels milder Regen, Zur Erde uuter ihr; zwiefach gesegnet: Sie segnet den, der giebt, nud den, der nimmt. Der Vorschlag unsrer iuteruativunlen Philanthropen läßt, so scheint es, dieses Wort gelten, denn er „weiß von keinem Zwang"; der Richter kann die bedingte Verurteilung aussprechen, aber er muß es nicht, der Vorschlag stellt es, wir wollen nicht sagen in heilt Belieben, aber in sein Ermessen, ob er von der ihm erteilte» Befugnis Gebrauch machen will oder nicht. Wird aber auch diese „Art der Gliade" de» vo» Porzia verheißene» „zwiefache» Segen"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/408>, abgerufen am 28.06.2024.