Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.Junge Liebe die Milcheimer an einem Holz über den Schultern tragend, ans dem Wege Martha hatte sich an die Wand gelehnt und blickte mit einem eigentüm¬ schwankend wie im Rausch ging sie an ihr Bette und warf sich darauf, 12 War es denn nun wirklich geschehen? War das Ganze nicht ein Traum, Und er? Wo war er denn jetzt? Sie lag lange grübelnd da und konnte Sie fuhr ans dein Bett auf. Und einem solchen Lumpen hatte sie sich Unsinn! Es war ja nicht möglich, es konnte ja uicht möglich sein! Er Junge Liebe die Milcheimer an einem Holz über den Schultern tragend, ans dem Wege Martha hatte sich an die Wand gelehnt und blickte mit einem eigentüm¬ schwankend wie im Rausch ging sie an ihr Bette und warf sich darauf, 12 War es denn nun wirklich geschehen? War das Ganze nicht ein Traum, Und er? Wo war er denn jetzt? Sie lag lange grübelnd da und konnte Sie fuhr ans dein Bett auf. Und einem solchen Lumpen hatte sie sich Unsinn! Es war ja nicht möglich, es konnte ja uicht möglich sein! Er <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0392" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/206391"/> <fw type="header" place="top"> Junge Liebe</fw><lb/> <p xml:id="ID_1348" prev="#ID_1347"> die Milcheimer an einem Holz über den Schultern tragend, ans dem Wege<lb/> blicken ließ.</p><lb/> <p xml:id="ID_1349"> Martha hatte sich an die Wand gelehnt und blickte mit einem eigentüm¬<lb/> lichen, halb geistesabwesenden Lächeln ans dies erwachende, morgenfrische Lebe».<lb/> Aber allmählich sank sie, überwältigt von Müdigkeit, zusammen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1350"> schwankend wie im Rausch ging sie an ihr Bette und warf sich darauf,<lb/> ohne sich zu entkleiden. Und nachdem sie die Hände über der Stirn gefaltet<lb/> und die Augen geschlossen hatte, lag sie unbeweglich da — halb wachend,<lb/> halb in Träumen.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> 12</head><lb/> <p xml:id="ID_1351"> War es denn nun wirklich geschehen? War das Ganze nicht ein Traum,<lb/> eine leere Einbildung? Es schien ihr ganz unmöglich, daß es wirklich geschehen<lb/> sein sollte. Wieder und wieder ließ sie die Ereignisse der Nacht an ihrem<lb/> Geiste vorüberziehen, sie konnte sie Schritt für Schritt verfolgen, konnte sich<lb/> jedes Wort, jedes Gefühl, jede Seligkeit zurückrufen. Aber jedesmal, wenn<lb/> sie damit zu Ende war, sträubte sie sich daran zu glnnben, daß sich dies alles<lb/> wirklich mit ihr zugetragen habe, daß es nicht eine ganz fremde Person ge¬<lb/> wesen sei, der es widerfahren war. Zuweilen verlor sie den Faden ganz<lb/> und versank dann in einen leichten Schlummer. Aber sobald sie wieder er¬<lb/> wachte, begann sie abermals in Gedanken dieselbe Wanderung! durch den Wald<lb/> hindurch, am See entlang, im Mondschein, zwischen Tannen, und abermals<lb/> glitt dies eigentümlich verstörte Lächeln über ihr Gesicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1352"> Und er? Wo war er denn jetzt? Sie lag lange grübelnd da und konnte<lb/> die Gedanken nicht auf ihn sammeln. Plötzlich richtete sie sich im Bette ans<lb/> und schaute wild um sich. Abgereist? Aber das war ja ganz unmöglich.<lb/> Nach allem, was vorgefallen war! Und doch: sah sie nicht am deutlichsten<lb/> vor allem ihre eigne Gestalt vor ihm in dem feuchten Grase auf den Knieen<lb/> liegen, flehend, weinend, ihn beschwörend, daß er sie doch nicht verlassen möge?<lb/> Und sah sie ihn nicht bleich und bebend im Morgenlichte dastehen, wie ein<lb/> Schulknabe vor seinen eignen Thaten zitternd? lind hatte er sie nicht schließlich<lb/> mit Gewalt vou sich gestoßen und sie trotz ihres Flehens mitten im Walde<lb/> verlassen?</p><lb/> <p xml:id="ID_1353"> Sie fuhr ans dein Bett auf. Und einem solchen Lumpen hatte sie sich<lb/> wirklich hingegeben? Einem solchen elenden Burschen zuliebe hatte sie sich ins<lb/> Unglück gestürzt, hatte sie ihr Leben verspielt, ihren Frieden und ihr Glück auf<lb/> ewig vernichtet?</p><lb/> <p xml:id="ID_1354" next="#ID_1355"> Unsinn! Es war ja nicht möglich, es konnte ja uicht möglich sein! Er<lb/> mußte ganz bestimmt zurückkehren. Wenn er nur erst zur Besinnung gekommen<lb/> war, mußte er bedenken, was er gethan hatte, er konnte sie nicht verlassen.<lb/> Sie war plötzlich felsenfest davon überzeugt, daß er sie nicht aufgeben könne.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0392]
Junge Liebe
die Milcheimer an einem Holz über den Schultern tragend, ans dem Wege
blicken ließ.
Martha hatte sich an die Wand gelehnt und blickte mit einem eigentüm¬
lichen, halb geistesabwesenden Lächeln ans dies erwachende, morgenfrische Lebe».
Aber allmählich sank sie, überwältigt von Müdigkeit, zusammen.
schwankend wie im Rausch ging sie an ihr Bette und warf sich darauf,
ohne sich zu entkleiden. Und nachdem sie die Hände über der Stirn gefaltet
und die Augen geschlossen hatte, lag sie unbeweglich da — halb wachend,
halb in Träumen.
12
War es denn nun wirklich geschehen? War das Ganze nicht ein Traum,
eine leere Einbildung? Es schien ihr ganz unmöglich, daß es wirklich geschehen
sein sollte. Wieder und wieder ließ sie die Ereignisse der Nacht an ihrem
Geiste vorüberziehen, sie konnte sie Schritt für Schritt verfolgen, konnte sich
jedes Wort, jedes Gefühl, jede Seligkeit zurückrufen. Aber jedesmal, wenn
sie damit zu Ende war, sträubte sie sich daran zu glnnben, daß sich dies alles
wirklich mit ihr zugetragen habe, daß es nicht eine ganz fremde Person ge¬
wesen sei, der es widerfahren war. Zuweilen verlor sie den Faden ganz
und versank dann in einen leichten Schlummer. Aber sobald sie wieder er¬
wachte, begann sie abermals in Gedanken dieselbe Wanderung! durch den Wald
hindurch, am See entlang, im Mondschein, zwischen Tannen, und abermals
glitt dies eigentümlich verstörte Lächeln über ihr Gesicht.
Und er? Wo war er denn jetzt? Sie lag lange grübelnd da und konnte
die Gedanken nicht auf ihn sammeln. Plötzlich richtete sie sich im Bette ans
und schaute wild um sich. Abgereist? Aber das war ja ganz unmöglich.
Nach allem, was vorgefallen war! Und doch: sah sie nicht am deutlichsten
vor allem ihre eigne Gestalt vor ihm in dem feuchten Grase auf den Knieen
liegen, flehend, weinend, ihn beschwörend, daß er sie doch nicht verlassen möge?
Und sah sie ihn nicht bleich und bebend im Morgenlichte dastehen, wie ein
Schulknabe vor seinen eignen Thaten zitternd? lind hatte er sie nicht schließlich
mit Gewalt vou sich gestoßen und sie trotz ihres Flehens mitten im Walde
verlassen?
Sie fuhr ans dein Bett auf. Und einem solchen Lumpen hatte sie sich
wirklich hingegeben? Einem solchen elenden Burschen zuliebe hatte sie sich ins
Unglück gestürzt, hatte sie ihr Leben verspielt, ihren Frieden und ihr Glück auf
ewig vernichtet?
Unsinn! Es war ja nicht möglich, es konnte ja uicht möglich sein! Er
mußte ganz bestimmt zurückkehren. Wenn er nur erst zur Besinnung gekommen
war, mußte er bedenken, was er gethan hatte, er konnte sie nicht verlassen.
Sie war plötzlich felsenfest davon überzeugt, daß er sie nicht aufgeben könne.
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