Nach Verlauf von wenigen Atinuten wiederholte sich das Geräusch. Ein Zittern ging durch ihren halb entkleideten Körper, aber sie rührte sich nicht. Ein bleicher Mondstrahl siel durchs Fenster über ihr Bett und glitt an ihrem aufgelösten Haar herab, sodaß er ihre weiße Gestalt wie ein goldner Strom umfloß. Die Finger lagen unbeweglich über dem totenbleichen Gesicht, und sie atmete kaum. Nur ihr Herz schlug heftig.
Viermal wiederholte sich das Pochen, und jedesmal wurde es stärker, gleichsam ungeduldiger, während das Mondlicht sich leise über den Bettpfosten und hinab auf den Fußboden schlich. Dann wurde alles wieder still, laut¬ los still.
Sie richtete sich von ihrem Lager empor lind atmete tief auf.
Vorbei!
Die Hände fielen ihr schlaff herab, das Gesicht verzog sich schmerzlich, sie sank wieder zurück in die Kissen.
Da hörte sie es drinnen in der Gaststube ans Fenster klopfen. Sie fuhr zusammen. War er das? Es klopfte abermals. Ohne Zögern schlug sie einen Shawl um die Schultern und lief in das nebenanliegende Zimmer. Da draußen stand er und flüsterte ihr zu, daß sie doch kommen möge.
Um Gottes willen! rief sie, indem sie vorsichtig das ^ Zimmer öffnete. Gehen Sie doch! Gehen Sie doch! Es könnte jemand kommen und Sie sehen. Ja doch, ja, ich komme schon! Gehen Sie nur zurück in den Wald, dann komme ich.
Sie lief in ihre Kammer und zog ihr Kleid an. Hastig band sie ein kleines Tuch um den Hals und schlug den Shawl über den Kopf. Sie fühlte, daß sie verloren war. Geräuschlos hob sie die eiserne Stange in die Höhe, die die Giebelthür verschloß, und schlich von hinten um das Hans herum in den Wald.
11
Es war früh am Morgen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber weithin, draußen im Osten, erglühte das Meer. Über das weite, flache Küsten¬ land trieben kleine Nebelfetzen, die hie und da um vereinzelt stehenden Büschen und Dorne" hängen blieben, wie Fäden von den weißen Gewändern der Nacht¬ gespenster. Alles Menschliche aber schlief.
Zwischen den svmmergrünen Flächen der Felder und der dunkelblauen Himmelsknppel, unter der winzig kleine, leichte, farbige Wolken gleich losge¬ rissenen Rosenblättern dahinschwebten, stiegen und sanken die morgenfroheu Lerchen in tausendstimmigem Halleluja. In den Gärten der Bauern saßen die Elstern und putzten ihre Federn, und aus dem Walde hernns kamen die Krähen in großen Scharen mit schwerfälligem Flügelschlag, überall, wo sie sich blicken ließen, mit ihrer groben Stimme Geh weg, Geh weg ! rufend, und ließen sich in dem frisch gefurchten Acker nieder -- es war fast ein ohrenzerreißender Lärm.
Juiltze Liebe
Nach Verlauf von wenigen Atinuten wiederholte sich das Geräusch. Ein Zittern ging durch ihren halb entkleideten Körper, aber sie rührte sich nicht. Ein bleicher Mondstrahl siel durchs Fenster über ihr Bett und glitt an ihrem aufgelösten Haar herab, sodaß er ihre weiße Gestalt wie ein goldner Strom umfloß. Die Finger lagen unbeweglich über dem totenbleichen Gesicht, und sie atmete kaum. Nur ihr Herz schlug heftig.
Viermal wiederholte sich das Pochen, und jedesmal wurde es stärker, gleichsam ungeduldiger, während das Mondlicht sich leise über den Bettpfosten und hinab auf den Fußboden schlich. Dann wurde alles wieder still, laut¬ los still.
Sie richtete sich von ihrem Lager empor lind atmete tief auf.
Vorbei!
Die Hände fielen ihr schlaff herab, das Gesicht verzog sich schmerzlich, sie sank wieder zurück in die Kissen.
Da hörte sie es drinnen in der Gaststube ans Fenster klopfen. Sie fuhr zusammen. War er das? Es klopfte abermals. Ohne Zögern schlug sie einen Shawl um die Schultern und lief in das nebenanliegende Zimmer. Da draußen stand er und flüsterte ihr zu, daß sie doch kommen möge.
Um Gottes willen! rief sie, indem sie vorsichtig das ^ Zimmer öffnete. Gehen Sie doch! Gehen Sie doch! Es könnte jemand kommen und Sie sehen. Ja doch, ja, ich komme schon! Gehen Sie nur zurück in den Wald, dann komme ich.
Sie lief in ihre Kammer und zog ihr Kleid an. Hastig band sie ein kleines Tuch um den Hals und schlug den Shawl über den Kopf. Sie fühlte, daß sie verloren war. Geräuschlos hob sie die eiserne Stange in die Höhe, die die Giebelthür verschloß, und schlich von hinten um das Hans herum in den Wald.
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Es war früh am Morgen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber weithin, draußen im Osten, erglühte das Meer. Über das weite, flache Küsten¬ land trieben kleine Nebelfetzen, die hie und da um vereinzelt stehenden Büschen und Dorne» hängen blieben, wie Fäden von den weißen Gewändern der Nacht¬ gespenster. Alles Menschliche aber schlief.
Zwischen den svmmergrünen Flächen der Felder und der dunkelblauen Himmelsknppel, unter der winzig kleine, leichte, farbige Wolken gleich losge¬ rissenen Rosenblättern dahinschwebten, stiegen und sanken die morgenfroheu Lerchen in tausendstimmigem Halleluja. In den Gärten der Bauern saßen die Elstern und putzten ihre Federn, und aus dem Walde hernns kamen die Krähen in großen Scharen mit schwerfälligem Flügelschlag, überall, wo sie sich blicken ließen, mit ihrer groben Stimme Geh weg, Geh weg ! rufend, und ließen sich in dem frisch gefurchten Acker nieder — es war fast ein ohrenzerreißender Lärm.
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Juiltze Liebe
Nach Verlauf von wenigen Atinuten wiederholte sich das Geräusch. Ein
Zittern ging durch ihren halb entkleideten Körper, aber sie rührte sich nicht.
Ein bleicher Mondstrahl siel durchs Fenster über ihr Bett und glitt an
ihrem aufgelösten Haar herab, sodaß er ihre weiße Gestalt wie ein goldner
Strom umfloß. Die Finger lagen unbeweglich über dem totenbleichen Gesicht,
und sie atmete kaum. Nur ihr Herz schlug heftig.
Viermal wiederholte sich das Pochen, und jedesmal wurde es stärker,
gleichsam ungeduldiger, während das Mondlicht sich leise über den Bettpfosten
und hinab auf den Fußboden schlich. Dann wurde alles wieder still, laut¬
los still.
Sie richtete sich von ihrem Lager empor lind atmete tief auf.
Vorbei!
Die Hände fielen ihr schlaff herab, das Gesicht verzog sich schmerzlich, sie
sank wieder zurück in die Kissen.
Da hörte sie es drinnen in der Gaststube ans Fenster klopfen. Sie fuhr
zusammen. War er das? Es klopfte abermals. Ohne Zögern schlug sie
einen Shawl um die Schultern und lief in das nebenanliegende Zimmer. Da
draußen stand er und flüsterte ihr zu, daß sie doch kommen möge.
Um Gottes willen! rief sie, indem sie vorsichtig das ^ Zimmer öffnete.
Gehen Sie doch! Gehen Sie doch! Es könnte jemand kommen und Sie
sehen. Ja doch, ja, ich komme schon! Gehen Sie nur zurück in den Wald,
dann komme ich.
Sie lief in ihre Kammer und zog ihr Kleid an. Hastig band sie ein
kleines Tuch um den Hals und schlug den Shawl über den Kopf. Sie
fühlte, daß sie verloren war. Geräuschlos hob sie die eiserne Stange in die
Höhe, die die Giebelthür verschloß, und schlich von hinten um das Hans herum
in den Wald.
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Es war früh am Morgen. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber
weithin, draußen im Osten, erglühte das Meer. Über das weite, flache Küsten¬
land trieben kleine Nebelfetzen, die hie und da um vereinzelt stehenden Büschen
und Dorne» hängen blieben, wie Fäden von den weißen Gewändern der Nacht¬
gespenster. Alles Menschliche aber schlief.
Zwischen den svmmergrünen Flächen der Felder und der dunkelblauen
Himmelsknppel, unter der winzig kleine, leichte, farbige Wolken gleich losge¬
rissenen Rosenblättern dahinschwebten, stiegen und sanken die morgenfroheu
Lerchen in tausendstimmigem Halleluja. In den Gärten der Bauern saßen die
Elstern und putzten ihre Federn, und aus dem Walde hernns kamen die Krähen
in großen Scharen mit schwerfälligem Flügelschlag, überall, wo sie sich blicken
ließen, mit ihrer groben Stimme Geh weg, Geh weg ! rufend, und ließen sich
in dem frisch gefurchten Acker nieder — es war fast ein ohrenzerreißender Lärm.
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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/390>, abgerufen am 06.01.2025.
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