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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Immermanns Theaterleitung

,i der Geschichte des deutschen Theaters bildet Jmmcrmaims
Leitung des Düsseldorfer Stadtheaters in den Jahren t8!)2 bis
18,^7 ein tragisches Kapitel, Zum erstenmale wurde dort von
einem Nichtschauspieler und Nichtgeschäftsmann, ohne Unter¬
stützung eiues über Reichtümer und Macht gebietenden Fürsten,
bloß mit Hilfe einer als Aktiengesellschaft sich vereinigenden Anzahl von
Theaterfreunden der Versuch gemacht, eine Bühne mit hohen künstlerischen
Zielen zu gründen und zu erhalten, und dieser Versuch scheiterte. Aber nicht
so, daß er ein für allemal von ähnlichen Unternehmungen abgeschreckt hätte.
Denn seither sind sie öfter gewagt worden, und mit wirklichem Erfolg. Das
ist es, was Immermanns Unternehmen wirklich tragisch erscheinen läßt. Ging
sein Theater anch unter, so siegte doch seine Idee; nu andern Orten und einige
Zeit nachher erstand sie wieder, und keinesfalls ist Immermanns Mühe und
Arbeit vergeblich gewesen. Aber wie bei allen tragischen Erscheinungen die
Meinungen über Schuld oder Unschuld des Helden auseinandergehen, so sind
auch die Urteile über Immermanns Theaterleitnng bis in unsre Zeit sehr ver¬
schieden gewesen. In den Kreisen der Schauspieler und Theaterpraktiker ist
Immermann als Theaterleiter einer zähen Überlieferung zufolge in Verruf.
Die Theaterleute vom Handwerk urteilen so,, wie viele ihresgleichen schon zu
des Dichters Lebzeiten gesprochen säbeln sie spotten über die "gelehrte Bühne"
des Düsseldorfer Intendanten; sie werfen ihm vor, er hätte das Theater nur
zu Experimenten mit bühneunnfähigen Dramen benutzt; die große Kunst, auf
die sich die Praktiker so viel einbilden, eS dem Publikum recht zu machen,
hätte Immermann nicht verstanden, Und auch von den Geheimnissen der
Schauspielkunst nichts! Otto Devrient, der Geschichtschreiber deS deutschen
Schauspiels, der mit dem Dichter selbst in Briefwechsel stand, hat alle Vor¬
würfe des Theatervvlkes gegen Immermann in seinem großen Werke zusammen¬
gefaßt und gleichsam dvgmatisirt. Ein andrer, mehr lokaler Schriftsteller der
Rheingegend, Friedrich Roher, hat ebenfalls die Jminermaunsche Theaterleitung
im Lichte der Schauspielerüberlieferung geschildert, und sehr viel andre, seinem
Charakter ungünstige Gerüchte haben sich in Biographien Grabbes (der als
Theaterrezensent eine Zeit lang in Düsseldorf wirkte) und an verschiednen
andern Orten fortgeschleppt. Die Lebensbeschreibung Immermanns, die seine




Immermanns Theaterleitung

,i der Geschichte des deutschen Theaters bildet Jmmcrmaims
Leitung des Düsseldorfer Stadtheaters in den Jahren t8!)2 bis
18,^7 ein tragisches Kapitel, Zum erstenmale wurde dort von
einem Nichtschauspieler und Nichtgeschäftsmann, ohne Unter¬
stützung eiues über Reichtümer und Macht gebietenden Fürsten,
bloß mit Hilfe einer als Aktiengesellschaft sich vereinigenden Anzahl von
Theaterfreunden der Versuch gemacht, eine Bühne mit hohen künstlerischen
Zielen zu gründen und zu erhalten, und dieser Versuch scheiterte. Aber nicht
so, daß er ein für allemal von ähnlichen Unternehmungen abgeschreckt hätte.
Denn seither sind sie öfter gewagt worden, und mit wirklichem Erfolg. Das
ist es, was Immermanns Unternehmen wirklich tragisch erscheinen läßt. Ging
sein Theater anch unter, so siegte doch seine Idee; nu andern Orten und einige
Zeit nachher erstand sie wieder, und keinesfalls ist Immermanns Mühe und
Arbeit vergeblich gewesen. Aber wie bei allen tragischen Erscheinungen die
Meinungen über Schuld oder Unschuld des Helden auseinandergehen, so sind
auch die Urteile über Immermanns Theaterleitnng bis in unsre Zeit sehr ver¬
schieden gewesen. In den Kreisen der Schauspieler und Theaterpraktiker ist
Immermann als Theaterleiter einer zähen Überlieferung zufolge in Verruf.
Die Theaterleute vom Handwerk urteilen so,, wie viele ihresgleichen schon zu
des Dichters Lebzeiten gesprochen säbeln sie spotten über die „gelehrte Bühne"
des Düsseldorfer Intendanten; sie werfen ihm vor, er hätte das Theater nur
zu Experimenten mit bühneunnfähigen Dramen benutzt; die große Kunst, auf
die sich die Praktiker so viel einbilden, eS dem Publikum recht zu machen,
hätte Immermann nicht verstanden, Und auch von den Geheimnissen der
Schauspielkunst nichts! Otto Devrient, der Geschichtschreiber deS deutschen
Schauspiels, der mit dem Dichter selbst in Briefwechsel stand, hat alle Vor¬
würfe des Theatervvlkes gegen Immermann in seinem großen Werke zusammen¬
gefaßt und gleichsam dvgmatisirt. Ein andrer, mehr lokaler Schriftsteller der
Rheingegend, Friedrich Roher, hat ebenfalls die Jminermaunsche Theaterleitung
im Lichte der Schauspielerüberlieferung geschildert, und sehr viel andre, seinem
Charakter ungünstige Gerüchte haben sich in Biographien Grabbes (der als
Theaterrezensent eine Zeit lang in Düsseldorf wirkte) und an verschiednen
andern Orten fortgeschleppt. Die Lebensbeschreibung Immermanns, die seine


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[0327] [Abbildung] Immermanns Theaterleitung ,i der Geschichte des deutschen Theaters bildet Jmmcrmaims Leitung des Düsseldorfer Stadtheaters in den Jahren t8!)2 bis 18,^7 ein tragisches Kapitel, Zum erstenmale wurde dort von einem Nichtschauspieler und Nichtgeschäftsmann, ohne Unter¬ stützung eiues über Reichtümer und Macht gebietenden Fürsten, bloß mit Hilfe einer als Aktiengesellschaft sich vereinigenden Anzahl von Theaterfreunden der Versuch gemacht, eine Bühne mit hohen künstlerischen Zielen zu gründen und zu erhalten, und dieser Versuch scheiterte. Aber nicht so, daß er ein für allemal von ähnlichen Unternehmungen abgeschreckt hätte. Denn seither sind sie öfter gewagt worden, und mit wirklichem Erfolg. Das ist es, was Immermanns Unternehmen wirklich tragisch erscheinen läßt. Ging sein Theater anch unter, so siegte doch seine Idee; nu andern Orten und einige Zeit nachher erstand sie wieder, und keinesfalls ist Immermanns Mühe und Arbeit vergeblich gewesen. Aber wie bei allen tragischen Erscheinungen die Meinungen über Schuld oder Unschuld des Helden auseinandergehen, so sind auch die Urteile über Immermanns Theaterleitnng bis in unsre Zeit sehr ver¬ schieden gewesen. In den Kreisen der Schauspieler und Theaterpraktiker ist Immermann als Theaterleiter einer zähen Überlieferung zufolge in Verruf. Die Theaterleute vom Handwerk urteilen so,, wie viele ihresgleichen schon zu des Dichters Lebzeiten gesprochen säbeln sie spotten über die „gelehrte Bühne" des Düsseldorfer Intendanten; sie werfen ihm vor, er hätte das Theater nur zu Experimenten mit bühneunnfähigen Dramen benutzt; die große Kunst, auf die sich die Praktiker so viel einbilden, eS dem Publikum recht zu machen, hätte Immermann nicht verstanden, Und auch von den Geheimnissen der Schauspielkunst nichts! Otto Devrient, der Geschichtschreiber deS deutschen Schauspiels, der mit dem Dichter selbst in Briefwechsel stand, hat alle Vor¬ würfe des Theatervvlkes gegen Immermann in seinem großen Werke zusammen¬ gefaßt und gleichsam dvgmatisirt. Ein andrer, mehr lokaler Schriftsteller der Rheingegend, Friedrich Roher, hat ebenfalls die Jminermaunsche Theaterleitung im Lichte der Schauspielerüberlieferung geschildert, und sehr viel andre, seinem Charakter ungünstige Gerüchte haben sich in Biographien Grabbes (der als Theaterrezensent eine Zeit lang in Düsseldorf wirkte) und an verschiednen andern Orten fortgeschleppt. Die Lebensbeschreibung Immermanns, die seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/327>, abgerufen am 23.06.2024.