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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Die Davidsbüudler

Aber man muß bedenken, daß, wer mit Granitblöcken l'und, keine zierlichen
Nipptempel auffiihren kann. Es erfordert eine staunenswerte Formengewand-
heit, die philosophischen Systeme eines Spinoza, Kant oder Hegel, oder die
Theorie eines Darwin in wenigen Versen wiedergeben. Mit welcher sprachlichen
Fertigkeit, die mir wenig an Klarheit zu wünschen übrige läßt, weiß der Dichter
z. B. die Grundgedanken der Kantischen Philosophie auszudrücken: "Ah, du
behauptest deine Sinne über die Natur zu öffnen und das Licht in deinen
Kerker eintreten zu lassen! Ich werde dich das unzerbrechliche Schloß des¬
selben befühlen lassen! Die Welt -- das bist du selbst, und Zeit und
Raum find nur dein Auge, durch das die Erscheinung durchgeht. Dn machst
dir selbst deine Sinne, deine Erde, deinen Horizont. Wer giebt dir genaue
Kunde davon? Sprich, und ich werde dich verwirren, wenn du dich in Frieden
wähnst, herrscht der Kampf selbst hinter deiner Stirn. Die Sinne bezeugen,
die Vernunft widerspricht und läugnet immer, was jene behaupten. Das
Weltall ist begrenzt, aber es kann es in Wirklichkeit nicht sein; es hat be¬
ginnen müssen, aber es hat nicht entstehen können. Nichts ist gewiß, als die
Stimme, die befiehlt oder verteidigt! Ein Gott macht dir Freude! Nun
gut, ich gewähre ihn dir, wie man ein Kind mit einem Bilde tröstet."

Es ist kein Wunder, daß ein Dichter wie' Sullh-Prudhomme, der nu die
Leser höhere Forderuuge" stellt als die ganze Reihe viel gefeierter Schrift¬
steller in Frankreich, keine sehr zahlreiche Gemeinde hat, dennoch wird er einst
zu den wenigen Säulen gezählt werden, die in der zweiten Hälfte unsers Jahr¬
hunderts die französische Litteratur vor ihrem völligen Zusammensturz be¬
wahrt bilden.




Die Davidsbündler
Ein verloren geglaubter Aufsatz Robert Schumamis

elche Bedeutung die musikkritische Thätigkeit Robert Schumanns
nicht nur für seine eigne künstlerische Entwicklung, sondern für
die Entwicklung unsrer ganzen musikalische" Zustände gehabt
hat, hat Gustav Jansen in seinem reichhaltigen Buche "Die
Davidsbüudler" (Leipzig, 1883) trefflich nachgewiesen. Das
Buch ist seinerzeit eingehend in den Grenzboten besprochen worden. Schumann
bekämpfte die Flachheit und Philisterhaftigkeit, die namentlich seit BeethovensM


Die Davidsbüudler

Aber man muß bedenken, daß, wer mit Granitblöcken l'und, keine zierlichen
Nipptempel auffiihren kann. Es erfordert eine staunenswerte Formengewand-
heit, die philosophischen Systeme eines Spinoza, Kant oder Hegel, oder die
Theorie eines Darwin in wenigen Versen wiedergeben. Mit welcher sprachlichen
Fertigkeit, die mir wenig an Klarheit zu wünschen übrige läßt, weiß der Dichter
z. B. die Grundgedanken der Kantischen Philosophie auszudrücken: „Ah, du
behauptest deine Sinne über die Natur zu öffnen und das Licht in deinen
Kerker eintreten zu lassen! Ich werde dich das unzerbrechliche Schloß des¬
selben befühlen lassen! Die Welt — das bist du selbst, und Zeit und
Raum find nur dein Auge, durch das die Erscheinung durchgeht. Dn machst
dir selbst deine Sinne, deine Erde, deinen Horizont. Wer giebt dir genaue
Kunde davon? Sprich, und ich werde dich verwirren, wenn du dich in Frieden
wähnst, herrscht der Kampf selbst hinter deiner Stirn. Die Sinne bezeugen,
die Vernunft widerspricht und läugnet immer, was jene behaupten. Das
Weltall ist begrenzt, aber es kann es in Wirklichkeit nicht sein; es hat be¬
ginnen müssen, aber es hat nicht entstehen können. Nichts ist gewiß, als die
Stimme, die befiehlt oder verteidigt! Ein Gott macht dir Freude! Nun
gut, ich gewähre ihn dir, wie man ein Kind mit einem Bilde tröstet."

Es ist kein Wunder, daß ein Dichter wie' Sullh-Prudhomme, der nu die
Leser höhere Forderuuge» stellt als die ganze Reihe viel gefeierter Schrift¬
steller in Frankreich, keine sehr zahlreiche Gemeinde hat, dennoch wird er einst
zu den wenigen Säulen gezählt werden, die in der zweiten Hälfte unsers Jahr¬
hunderts die französische Litteratur vor ihrem völligen Zusammensturz be¬
wahrt bilden.




Die Davidsbündler
Ein verloren geglaubter Aufsatz Robert Schumamis

elche Bedeutung die musikkritische Thätigkeit Robert Schumanns
nicht nur für seine eigne künstlerische Entwicklung, sondern für
die Entwicklung unsrer ganzen musikalische« Zustände gehabt
hat, hat Gustav Jansen in seinem reichhaltigen Buche „Die
Davidsbüudler" (Leipzig, 1883) trefflich nachgewiesen. Das
Buch ist seinerzeit eingehend in den Grenzboten besprochen worden. Schumann
bekämpfte die Flachheit und Philisterhaftigkeit, die namentlich seit BeethovensM


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/31>, abgerufen am 23.06.2024.