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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Das Sozialisteugesetz und die nationalliberale Partei

richtung Bestand zu gewinnen vermag gegenüber dem Wunsche des Volkes, sich
in einer imposanten und glänzend auftretenden Persönlichkeit, seinem Abbilde,
gewissermaßen dem Normalfranzmann abgespiegelt zu sehen. Dazu sind keine
großen Eigenschaften, keine militärischen Erfolge, keine politischen Leistungen
nötig; es genügt die Gabe, sich geschickt und dreist vorzudrängen, und beharr¬
liche Anwendung dieser Gabe.

Wir bemerken noch, daß von den Mitgliedern des Kabinets Tirard bis
jetzt vier gewählt sind: sputter, Thvvenet, Nouvier und Falliöres. Uves
Guyot und der energische Constans haben sich der Stichwahl zu unterwerfen,
sind aber fo gut wie sicher, ein Mandat zu erhalten, da neben ihnen sich nnr
Republikaner beworben haben, die zu ihren Gunsten zurückzutreten bereit sind.




Das ^ozialistengesetz und die nationalliberale Partei

s unterliegt keinem Zweifel, daß in der bevorstehenden Neichstags-
sessivn die Frage über Fortbestand oder Nichtfortbestcmd des
Svzialistengesetzes zur Entscheidung kommen wird. Wir sehen
aber in der Art und Weise, wie diese Frage in der Presse be¬
handelt wird, eine Gefahr, welche die Errungenschaften der
Reichstagswahl vom 21. Februar 1887 von neuem in Frage zu stellen droht.

Nachdem die Abstimmung vom 24. Mai 1878 für die nationalliberale
Partei so verhängnisvoll geworden war, hat diese Partei vom 19. Oktober 1878
bis zum 17. Februar 1888 ohne Unterbrechung für die Fortdauer des jetzt
in Geltung bestehenden Svzialistengesetzes gestimmt. Seitdem haben gewichtige
Organe derselben die Losung ausgegeben, es dürfe das Gesetz keinesfalls
verlängert, vielmehr müsse es durch ein Gesetz andern Inhalts, das aber
dann dauernd werden solle, ersetzt werden. Ob dieses mit so großer Bestimmt¬
heit auftretende Verlangen von der ganzen Partei oder nur vou einer Anzahl
einflußreicher Mitglieder gestellt wird, wissen wir nicht. Ebenso haben die
Organe der Partei uns im Unklaren darüber gelassen, wie denn nun eigentlich
das Gesetz gedacht wird, das an die Stelle des bisherigen Gesetzes treten soll.
Die Regierungen sollen nach etwas suchen, was es ersetzen könne. Auf einigen
Seiten scheint man dabei das alte Schlngwort von der "Rückkehr zum gemeinen
Recht" im Sinne zu haben, d. h. man verlangt allgemein formulirte Vor¬
schriften, die dann auch zur Bekämpfung der Sozialdemokratie ausreichen sollen.


Das Sozialisteugesetz und die nationalliberale Partei

richtung Bestand zu gewinnen vermag gegenüber dem Wunsche des Volkes, sich
in einer imposanten und glänzend auftretenden Persönlichkeit, seinem Abbilde,
gewissermaßen dem Normalfranzmann abgespiegelt zu sehen. Dazu sind keine
großen Eigenschaften, keine militärischen Erfolge, keine politischen Leistungen
nötig; es genügt die Gabe, sich geschickt und dreist vorzudrängen, und beharr¬
liche Anwendung dieser Gabe.

Wir bemerken noch, daß von den Mitgliedern des Kabinets Tirard bis
jetzt vier gewählt sind: sputter, Thvvenet, Nouvier und Falliöres. Uves
Guyot und der energische Constans haben sich der Stichwahl zu unterwerfen,
sind aber fo gut wie sicher, ein Mandat zu erhalten, da neben ihnen sich nnr
Republikaner beworben haben, die zu ihren Gunsten zurückzutreten bereit sind.




Das ^ozialistengesetz und die nationalliberale Partei

s unterliegt keinem Zweifel, daß in der bevorstehenden Neichstags-
sessivn die Frage über Fortbestand oder Nichtfortbestcmd des
Svzialistengesetzes zur Entscheidung kommen wird. Wir sehen
aber in der Art und Weise, wie diese Frage in der Presse be¬
handelt wird, eine Gefahr, welche die Errungenschaften der
Reichstagswahl vom 21. Februar 1887 von neuem in Frage zu stellen droht.

Nachdem die Abstimmung vom 24. Mai 1878 für die nationalliberale
Partei so verhängnisvoll geworden war, hat diese Partei vom 19. Oktober 1878
bis zum 17. Februar 1888 ohne Unterbrechung für die Fortdauer des jetzt
in Geltung bestehenden Svzialistengesetzes gestimmt. Seitdem haben gewichtige
Organe derselben die Losung ausgegeben, es dürfe das Gesetz keinesfalls
verlängert, vielmehr müsse es durch ein Gesetz andern Inhalts, das aber
dann dauernd werden solle, ersetzt werden. Ob dieses mit so großer Bestimmt¬
heit auftretende Verlangen von der ganzen Partei oder nur vou einer Anzahl
einflußreicher Mitglieder gestellt wird, wissen wir nicht. Ebenso haben die
Organe der Partei uns im Unklaren darüber gelassen, wie denn nun eigentlich
das Gesetz gedacht wird, das an die Stelle des bisherigen Gesetzes treten soll.
Die Regierungen sollen nach etwas suchen, was es ersetzen könne. Auf einigen
Seiten scheint man dabei das alte Schlngwort von der „Rückkehr zum gemeinen
Recht" im Sinne zu haben, d. h. man verlangt allgemein formulirte Vor¬
schriften, die dann auch zur Bekämpfung der Sozialdemokratie ausreichen sollen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/15>, abgerufen am 23.06.2024.