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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Das Sozialistengesetz und die nationalliberalo Partei

Von andrer Seite würde man zwar wider die Beibehaltung eines besonders
gegen die Sozialdemokratie gerichteten Gesetzes (eines sogenannten Spezinlgesetzes)
nichts einzuwenden haben; das Gesetz soll dann aber mildere Bestimmungen
enthalten und mit großem Rechtsbürgschaften umgeben sein. Man will also
unter allen Umständen ein Gesetz, das minder einschneidend, folglich auch minder
wirksam sein, dafür dann aber auch dauernd gemacht werden soll. Die Frage
ist um die: ist ein solches Gesetz möglich, ohne daß die Gefahren der Sozial-
demokratie bedeutend wachsen?

Mit "gemeinrechtlichen" Vorschriften der Sozialdemokratie entgegenzutreten,
hat man ja schon mehrfach versucht. Bereits die Strafgesetznvvelle, die in:
Jahre 1875 dem Reichstage vorgelegt wurde, enthielt folgende wider die
Sozialdemokratie gerichtete Bestimmung: "Wer in einer den öffentlichen Frieden
gefährdenden Weise verschiedne Klassen der Bevölkerung gegen einander
öffentlich aufsetzt, oder wer in gleicher Weise die Institute der Ehe, der
Familie oder des Eigentums öffentlich durch Rede oder Schrift angreift, wird
mit Gefängnis bestraft." Der Vorschlag fand keinen Beifall. Minister Eulen¬
burg der ältere, der ihn vertrat, wurde namentlich von dem Abgeordneten
Bamberger, der im Namen der Nationalliberalen redete, mit dein größten
Hohn überschüttet. Das Haus lehnte den Paragraphen ab.

Als dann im Herbst 1878 das Feuer auf den Nägeln brannte, trat die
Fortschrittspartei, um das in ihren Augen so heillose Sozialisteugesctz abzu¬
wenden, mit dem Vorschlag einer "gemeinrechtlichen" Bestimmung hervor. Bei
der Koinnnsfivnsberatung stellte der Abgeordnete Hänel einen Antrag ans
folgenden Artikel: "Wer in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise
oder wer durch beschimpfende Äußerungen über die religiösen Überzeugungen
andrer, oder über die Einrichtungen der Ehe, der Familie oder des Staates,
oder über die Ordnung des Privateigentums die Angehörigen des Staates zu
feindseligen Parteiungen gegen einander öffentlich auffordert oder aufreizt, wird
mit Geldstrafe bis zu 600 Mark oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre
bestraft." Der Antrag wurde in der Kommission mit 13 gegen 8 Stimmen
abgelehnt. Bei der Plenarverhandlung wurde kein Versuch gemacht, ihn zu
erneuern.

Neuerdings hat verlautet, daß in einer preußischen Vorlage beim Bundes¬
rate die zu unterdrückenden Bestrebungen der Sozialdemokratie solgende "ge¬
meinrechtliche" Definition haben erhalten sollen: Bestrebungen, welche die
Grundlage der Staats- und Gesellschaftsordnung, insbesondre Monarchie,
Religion, Ehe und Eigentum gefährden. Säiutliche nationalliberale Blätter
erklärten eine solche Bestimmung für unannehmbar. Die Vorlage ist nicht
über den Bundesrat hinausgekommen.

Nach allen diesen Versuchen sind wir der Ansicht, daß es nicht möglich
sein wird, eine "gemeinrechtliche" Bestimmung so zu formuliren, daß sie einer-


Das Sozialistengesetz und die nationalliberalo Partei

Von andrer Seite würde man zwar wider die Beibehaltung eines besonders
gegen die Sozialdemokratie gerichteten Gesetzes (eines sogenannten Spezinlgesetzes)
nichts einzuwenden haben; das Gesetz soll dann aber mildere Bestimmungen
enthalten und mit großem Rechtsbürgschaften umgeben sein. Man will also
unter allen Umständen ein Gesetz, das minder einschneidend, folglich auch minder
wirksam sein, dafür dann aber auch dauernd gemacht werden soll. Die Frage
ist um die: ist ein solches Gesetz möglich, ohne daß die Gefahren der Sozial-
demokratie bedeutend wachsen?

Mit „gemeinrechtlichen" Vorschriften der Sozialdemokratie entgegenzutreten,
hat man ja schon mehrfach versucht. Bereits die Strafgesetznvvelle, die in:
Jahre 1875 dem Reichstage vorgelegt wurde, enthielt folgende wider die
Sozialdemokratie gerichtete Bestimmung: „Wer in einer den öffentlichen Frieden
gefährdenden Weise verschiedne Klassen der Bevölkerung gegen einander
öffentlich aufsetzt, oder wer in gleicher Weise die Institute der Ehe, der
Familie oder des Eigentums öffentlich durch Rede oder Schrift angreift, wird
mit Gefängnis bestraft." Der Vorschlag fand keinen Beifall. Minister Eulen¬
burg der ältere, der ihn vertrat, wurde namentlich von dem Abgeordneten
Bamberger, der im Namen der Nationalliberalen redete, mit dein größten
Hohn überschüttet. Das Haus lehnte den Paragraphen ab.

Als dann im Herbst 1878 das Feuer auf den Nägeln brannte, trat die
Fortschrittspartei, um das in ihren Augen so heillose Sozialisteugesctz abzu¬
wenden, mit dem Vorschlag einer „gemeinrechtlichen" Bestimmung hervor. Bei
der Koinnnsfivnsberatung stellte der Abgeordnete Hänel einen Antrag ans
folgenden Artikel: „Wer in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise
oder wer durch beschimpfende Äußerungen über die religiösen Überzeugungen
andrer, oder über die Einrichtungen der Ehe, der Familie oder des Staates,
oder über die Ordnung des Privateigentums die Angehörigen des Staates zu
feindseligen Parteiungen gegen einander öffentlich auffordert oder aufreizt, wird
mit Geldstrafe bis zu 600 Mark oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre
bestraft." Der Antrag wurde in der Kommission mit 13 gegen 8 Stimmen
abgelehnt. Bei der Plenarverhandlung wurde kein Versuch gemacht, ihn zu
erneuern.

Neuerdings hat verlautet, daß in einer preußischen Vorlage beim Bundes¬
rate die zu unterdrückenden Bestrebungen der Sozialdemokratie solgende „ge¬
meinrechtliche" Definition haben erhalten sollen: Bestrebungen, welche die
Grundlage der Staats- und Gesellschaftsordnung, insbesondre Monarchie,
Religion, Ehe und Eigentum gefährden. Säiutliche nationalliberale Blätter
erklärten eine solche Bestimmung für unannehmbar. Die Vorlage ist nicht
über den Bundesrat hinausgekommen.

Nach allen diesen Versuchen sind wir der Ansicht, daß es nicht möglich
sein wird, eine „gemeinrechtliche" Bestimmung so zu formuliren, daß sie einer-


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[0016] Das Sozialistengesetz und die nationalliberalo Partei Von andrer Seite würde man zwar wider die Beibehaltung eines besonders gegen die Sozialdemokratie gerichteten Gesetzes (eines sogenannten Spezinlgesetzes) nichts einzuwenden haben; das Gesetz soll dann aber mildere Bestimmungen enthalten und mit großem Rechtsbürgschaften umgeben sein. Man will also unter allen Umständen ein Gesetz, das minder einschneidend, folglich auch minder wirksam sein, dafür dann aber auch dauernd gemacht werden soll. Die Frage ist um die: ist ein solches Gesetz möglich, ohne daß die Gefahren der Sozial- demokratie bedeutend wachsen? Mit „gemeinrechtlichen" Vorschriften der Sozialdemokratie entgegenzutreten, hat man ja schon mehrfach versucht. Bereits die Strafgesetznvvelle, die in: Jahre 1875 dem Reichstage vorgelegt wurde, enthielt folgende wider die Sozialdemokratie gerichtete Bestimmung: „Wer in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise verschiedne Klassen der Bevölkerung gegen einander öffentlich aufsetzt, oder wer in gleicher Weise die Institute der Ehe, der Familie oder des Eigentums öffentlich durch Rede oder Schrift angreift, wird mit Gefängnis bestraft." Der Vorschlag fand keinen Beifall. Minister Eulen¬ burg der ältere, der ihn vertrat, wurde namentlich von dem Abgeordneten Bamberger, der im Namen der Nationalliberalen redete, mit dein größten Hohn überschüttet. Das Haus lehnte den Paragraphen ab. Als dann im Herbst 1878 das Feuer auf den Nägeln brannte, trat die Fortschrittspartei, um das in ihren Augen so heillose Sozialisteugesctz abzu¬ wenden, mit dem Vorschlag einer „gemeinrechtlichen" Bestimmung hervor. Bei der Koinnnsfivnsberatung stellte der Abgeordnete Hänel einen Antrag ans folgenden Artikel: „Wer in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise oder wer durch beschimpfende Äußerungen über die religiösen Überzeugungen andrer, oder über die Einrichtungen der Ehe, der Familie oder des Staates, oder über die Ordnung des Privateigentums die Angehörigen des Staates zu feindseligen Parteiungen gegen einander öffentlich auffordert oder aufreizt, wird mit Geldstrafe bis zu 600 Mark oder mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft." Der Antrag wurde in der Kommission mit 13 gegen 8 Stimmen abgelehnt. Bei der Plenarverhandlung wurde kein Versuch gemacht, ihn zu erneuern. Neuerdings hat verlautet, daß in einer preußischen Vorlage beim Bundes¬ rate die zu unterdrückenden Bestrebungen der Sozialdemokratie solgende „ge¬ meinrechtliche" Definition haben erhalten sollen: Bestrebungen, welche die Grundlage der Staats- und Gesellschaftsordnung, insbesondre Monarchie, Religion, Ehe und Eigentum gefährden. Säiutliche nationalliberale Blätter erklärten eine solche Bestimmung für unannehmbar. Die Vorlage ist nicht über den Bundesrat hinausgekommen. Nach allen diesen Versuchen sind wir der Ansicht, daß es nicht möglich sein wird, eine „gemeinrechtliche" Bestimmung so zu formuliren, daß sie einer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/16>, abgerufen am 22.07.2024.