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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Junge Liebe

bis dahin gar nicht bemerkt hatte. Vorsichtig, fast ängstlich besah sie es von
allen Seiten und wickelte es dann langsam aus. Eine Schicht Papier folgte
der andern, bis endlich ein kleines Etui zum Vorschein kam. Sie öffnete es
hastig und fand darin eine silberne Chlinderuhr, und darau einen Zettel ge¬
heftet, auf dein mit plumper Hand geschrieben stand: Zur Erinnerung an
Jesper Andersen Duebol.

Die Röte stieg ihr langsam in die Wangen, während sie die Uhr vor¬
sichtig in der Hand hin- und herdrehte. Da fiel ihr plötzlich die Szene auf
dem Kirchhof ein, und eine abermalige, noch heftigere Röte ergoß sich über
ihren entblößten Hals. Endlich setzte sie sich auf den Stuhl und versank in
tiefe Gedanken.

Sie hatte ihr fünfzehntes Jahr noch nicht vollendet.


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Eines Tages, als sie unten um Ufer des Baches stand, um ihre Füße
zu waschen, kam ein kleines, weißes Voot mit zwei Personen auf sie zuge¬
rudert. Um nicht gesehen zu werden, blickte sie sich schnell zwischen das Schilf
und beobachtete von dort neugierig das merkwürdige Paar, das sich langsam
näherte.

Am hinter,, Ende des Bootes saß eine junge Dame in Hellem Sommer-
gewande mit einem hochroten Sonnenschirm, der wie eine vollerblühte Mohn¬
blume leuchtete. Sie hatte die Wange in die Hemd gestützt und schien in
Gedanken versunken unbeweglich in die Landschaft hiuauszustarreu. Der Herr,
der ihr gegenüber an den Rudern saß, war ein junger, blonder Mann von
'nächtiger Gestalt, aber er wandte Martha den Rücken zu, sodaß sie nnr die
breiten Schultern, die leichtgelockten, blonden Nackeuhanre und den ober,, Teil
eines großen, blonden Bartes sehen konnte. Das Gesicht selber sah sie nicht,
aber es war deutlich zu erkennen, daß seine Augen unverwandt auf der jungen
Dame ruhte,,, und der Blick, mit dem er sie betrachtete, verriet sich auch
durch die vorsichtige, fast liebkosende Weise, wie er die Ruder im Wasser bewegte.

Martha war sich sofort darüber klar, daß es ein Brautpaar sein müßte.

Fast lautlos lenkte der Herr plötzlich das Boot ans Ufer und landete im
Schilf dicht "eben ihr. In demselben Augenblick erwachte die Dame aus ihren
Träumen, und indem sie verwundert um sich blickte, überflog eine leichte Röte
ihre Wangen. Sie lächelte, und erst bei diesem Lächeln erkannte Martha, wie
schön sie war.

Habe ich geschlafen? fragte sie mit wunderbar weicher, klangvoller Stimme.

Dn hast gesteuert! erwiderte er und nickte ihr freundlich zu.

Er zog die Ruder ein und erhob sich. Sie ergriff uoch sitzend die Hand,
die er ihr ritterlich reichte, und als sie neben ihm stand, gab sie ihm beide
Hände und blickte zutraulich zu ihm auf.


Junge Liebe

bis dahin gar nicht bemerkt hatte. Vorsichtig, fast ängstlich besah sie es von
allen Seiten und wickelte es dann langsam aus. Eine Schicht Papier folgte
der andern, bis endlich ein kleines Etui zum Vorschein kam. Sie öffnete es
hastig und fand darin eine silberne Chlinderuhr, und darau einen Zettel ge¬
heftet, auf dein mit plumper Hand geschrieben stand: Zur Erinnerung an
Jesper Andersen Duebol.

Die Röte stieg ihr langsam in die Wangen, während sie die Uhr vor¬
sichtig in der Hand hin- und herdrehte. Da fiel ihr plötzlich die Szene auf
dem Kirchhof ein, und eine abermalige, noch heftigere Röte ergoß sich über
ihren entblößten Hals. Endlich setzte sie sich auf den Stuhl und versank in
tiefe Gedanken.

Sie hatte ihr fünfzehntes Jahr noch nicht vollendet.


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Eines Tages, als sie unten um Ufer des Baches stand, um ihre Füße
zu waschen, kam ein kleines, weißes Voot mit zwei Personen auf sie zuge¬
rudert. Um nicht gesehen zu werden, blickte sie sich schnell zwischen das Schilf
und beobachtete von dort neugierig das merkwürdige Paar, das sich langsam
näherte.

Am hinter,, Ende des Bootes saß eine junge Dame in Hellem Sommer-
gewande mit einem hochroten Sonnenschirm, der wie eine vollerblühte Mohn¬
blume leuchtete. Sie hatte die Wange in die Hemd gestützt und schien in
Gedanken versunken unbeweglich in die Landschaft hiuauszustarreu. Der Herr,
der ihr gegenüber an den Rudern saß, war ein junger, blonder Mann von
'nächtiger Gestalt, aber er wandte Martha den Rücken zu, sodaß sie nnr die
breiten Schultern, die leichtgelockten, blonden Nackeuhanre und den ober,, Teil
eines großen, blonden Bartes sehen konnte. Das Gesicht selber sah sie nicht,
aber es war deutlich zu erkennen, daß seine Augen unverwandt auf der jungen
Dame ruhte,,, und der Blick, mit dem er sie betrachtete, verriet sich auch
durch die vorsichtige, fast liebkosende Weise, wie er die Ruder im Wasser bewegte.

Martha war sich sofort darüber klar, daß es ein Brautpaar sein müßte.

Fast lautlos lenkte der Herr plötzlich das Boot ans Ufer und landete im
Schilf dicht „eben ihr. In demselben Augenblick erwachte die Dame aus ihren
Träumen, und indem sie verwundert um sich blickte, überflog eine leichte Röte
ihre Wangen. Sie lächelte, und erst bei diesem Lächeln erkannte Martha, wie
schön sie war.

Habe ich geschlafen? fragte sie mit wunderbar weicher, klangvoller Stimme.

Dn hast gesteuert! erwiderte er und nickte ihr freundlich zu.

Er zog die Ruder ein und erhob sich. Sie ergriff uoch sitzend die Hand,
die er ihr ritterlich reichte, und als sie neben ihm stand, gab sie ihm beide
Hände und blickte zutraulich zu ihm auf.


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[0107] Junge Liebe bis dahin gar nicht bemerkt hatte. Vorsichtig, fast ängstlich besah sie es von allen Seiten und wickelte es dann langsam aus. Eine Schicht Papier folgte der andern, bis endlich ein kleines Etui zum Vorschein kam. Sie öffnete es hastig und fand darin eine silberne Chlinderuhr, und darau einen Zettel ge¬ heftet, auf dein mit plumper Hand geschrieben stand: Zur Erinnerung an Jesper Andersen Duebol. Die Röte stieg ihr langsam in die Wangen, während sie die Uhr vor¬ sichtig in der Hand hin- und herdrehte. Da fiel ihr plötzlich die Szene auf dem Kirchhof ein, und eine abermalige, noch heftigere Röte ergoß sich über ihren entblößten Hals. Endlich setzte sie sich auf den Stuhl und versank in tiefe Gedanken. Sie hatte ihr fünfzehntes Jahr noch nicht vollendet. 5 Eines Tages, als sie unten um Ufer des Baches stand, um ihre Füße zu waschen, kam ein kleines, weißes Voot mit zwei Personen auf sie zuge¬ rudert. Um nicht gesehen zu werden, blickte sie sich schnell zwischen das Schilf und beobachtete von dort neugierig das merkwürdige Paar, das sich langsam näherte. Am hinter,, Ende des Bootes saß eine junge Dame in Hellem Sommer- gewande mit einem hochroten Sonnenschirm, der wie eine vollerblühte Mohn¬ blume leuchtete. Sie hatte die Wange in die Hemd gestützt und schien in Gedanken versunken unbeweglich in die Landschaft hiuauszustarreu. Der Herr, der ihr gegenüber an den Rudern saß, war ein junger, blonder Mann von 'nächtiger Gestalt, aber er wandte Martha den Rücken zu, sodaß sie nnr die breiten Schultern, die leichtgelockten, blonden Nackeuhanre und den ober,, Teil eines großen, blonden Bartes sehen konnte. Das Gesicht selber sah sie nicht, aber es war deutlich zu erkennen, daß seine Augen unverwandt auf der jungen Dame ruhte,,, und der Blick, mit dem er sie betrachtete, verriet sich auch durch die vorsichtige, fast liebkosende Weise, wie er die Ruder im Wasser bewegte. Martha war sich sofort darüber klar, daß es ein Brautpaar sein müßte. Fast lautlos lenkte der Herr plötzlich das Boot ans Ufer und landete im Schilf dicht „eben ihr. In demselben Augenblick erwachte die Dame aus ihren Träumen, und indem sie verwundert um sich blickte, überflog eine leichte Röte ihre Wangen. Sie lächelte, und erst bei diesem Lächeln erkannte Martha, wie schön sie war. Habe ich geschlafen? fragte sie mit wunderbar weicher, klangvoller Stimme. Dn hast gesteuert! erwiderte er und nickte ihr freundlich zu. Er zog die Ruder ein und erhob sich. Sie ergriff uoch sitzend die Hand, die er ihr ritterlich reichte, und als sie neben ihm stand, gab sie ihm beide Hände und blickte zutraulich zu ihm auf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/107>, abgerufen am 23.06.2024.