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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr.

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Junge Liebe

Aber in seinem Blick mußte etwas gelegen haben, das sie flehentlich um
mehr bat, denn, nachdem sie sich vorsichtig umgesehen hatte, lehnte sie sich
leise an seine Brust und reichte ihm errötend ihren Mund. Er schlang züchtig
seinen Arm um ihren Leib und küßte sie leise.

Über diese feierliche Liebkosung hätte Mnrtha fast laut ausgelacht. Als
sie aber gleichzeitig deu Blick auffing, mit dem sich die beiden während der
Umarmung gleichsam in einander versenkten -- seinen stillen, brennenden, ihren
feuchten und zitternden -- und die tiefe Nöte, die beim Kusse beiden in die
Wangen schoß, wurde sie plötzlich ganz verschämt und blickte um sich, als
fürchtete sie, daß jemand die Liebenden belauscht hätte.

Klopfenden Herzens beugte sie sich tiefer hinab in ihr Versteck und beob¬
achtete liegehrlich die ans Land steigenden. Atemlos folgte sie ihnen mit den
Augen auf ihrer stillen Wanderung über die Wiese nach dem Waldpfade zu,
und erst, als sie Arm in Arm im Blätterdickicht verschwanden, erhob sie sich
mit glühenden Wangen langsam aus dem Schilf. Aber mich dann blieb sie
noch eine Weile stehen, wie versteinert, lind starrte unbeweglich nach der Stelle
hin, wo sie verschwunden waren.

Plötzlich vernahm sie männliche Schritte ans der Brücke, Hastig raffte
sie ihre Strümpfe ans und lief ans das Haus zu. Als sie jedoch dort ange¬
kommen in den Schritten den Elefantengang Jespers zu erkennen glaubte,
überfiel sie ein Schreck, daß sie ihm gerade jetzt begegnen sollte. Ohne sich zu
besinnen, machte sie kehrt und lief, so schnell sie konnte, in den Wald hinein.
Als sie hinter einem Busch hervvrlugte, sah sie einen biedern Bauersmann mit
einem Sack über deu Schultern des Weges kommen. Sie lächelte über ihre
Furcht, und langsam und sinnend, hin und wieder eine Blume zu ihren Füßen
pflückend, kehrte sie auf dem Hauptwege zurück. Schon vor dem Hause hörte
sie die Mutter in der Küche, daher schlich sie sich um den Giebel herum,
schlüpfte durch den Vorbau und gelaugte unbemerkt in die leere, unbe¬
wohnte obere Stube, deren Thür sie sorgfältig hinter sich schloß. Dann stellte
sie sich an eines der Fenster, die nach dein See hinaus gingen, und öffnete es
vorsichtig.

Unter dein Waldkrcmze hatte es schon angefangen zu dämmern. Über dem
duukelvivletten Nadelbaumrande des Königsrückens lag das glühende Gold des
Sonnenunterganges, das einen feinen Rosenschimmer auf das Wasser warf.
Alles Vogelleben war verstummt. Nur ein stilles, abendliches Säuseln ging
durch deu Wald und erstarb in der Ferne.

Sie legte wie ermüdet ihre Wange in die Hand und schaute lange hinaus.

Sie ahnte, daß das, was sie zwischen jenen beiden belauscht hatte, das,
was jeues wunderbare Feuer in ihren Blicken entflammt und ihre Lippen
zittern gemacht hatte, daß dies das überirdische Glück der Menschen sein müsse,
die heiligste Lust dieses Lebens ^ die Liebe!


Junge Liebe

Aber in seinem Blick mußte etwas gelegen haben, das sie flehentlich um
mehr bat, denn, nachdem sie sich vorsichtig umgesehen hatte, lehnte sie sich
leise an seine Brust und reichte ihm errötend ihren Mund. Er schlang züchtig
seinen Arm um ihren Leib und küßte sie leise.

Über diese feierliche Liebkosung hätte Mnrtha fast laut ausgelacht. Als
sie aber gleichzeitig deu Blick auffing, mit dem sich die beiden während der
Umarmung gleichsam in einander versenkten — seinen stillen, brennenden, ihren
feuchten und zitternden — und die tiefe Nöte, die beim Kusse beiden in die
Wangen schoß, wurde sie plötzlich ganz verschämt und blickte um sich, als
fürchtete sie, daß jemand die Liebenden belauscht hätte.

Klopfenden Herzens beugte sie sich tiefer hinab in ihr Versteck und beob¬
achtete liegehrlich die ans Land steigenden. Atemlos folgte sie ihnen mit den
Augen auf ihrer stillen Wanderung über die Wiese nach dem Waldpfade zu,
und erst, als sie Arm in Arm im Blätterdickicht verschwanden, erhob sie sich
mit glühenden Wangen langsam aus dem Schilf. Aber mich dann blieb sie
noch eine Weile stehen, wie versteinert, lind starrte unbeweglich nach der Stelle
hin, wo sie verschwunden waren.

Plötzlich vernahm sie männliche Schritte ans der Brücke, Hastig raffte
sie ihre Strümpfe ans und lief ans das Haus zu. Als sie jedoch dort ange¬
kommen in den Schritten den Elefantengang Jespers zu erkennen glaubte,
überfiel sie ein Schreck, daß sie ihm gerade jetzt begegnen sollte. Ohne sich zu
besinnen, machte sie kehrt und lief, so schnell sie konnte, in den Wald hinein.
Als sie hinter einem Busch hervvrlugte, sah sie einen biedern Bauersmann mit
einem Sack über deu Schultern des Weges kommen. Sie lächelte über ihre
Furcht, und langsam und sinnend, hin und wieder eine Blume zu ihren Füßen
pflückend, kehrte sie auf dem Hauptwege zurück. Schon vor dem Hause hörte
sie die Mutter in der Küche, daher schlich sie sich um den Giebel herum,
schlüpfte durch den Vorbau und gelaugte unbemerkt in die leere, unbe¬
wohnte obere Stube, deren Thür sie sorgfältig hinter sich schloß. Dann stellte
sie sich an eines der Fenster, die nach dein See hinaus gingen, und öffnete es
vorsichtig.

Unter dein Waldkrcmze hatte es schon angefangen zu dämmern. Über dem
duukelvivletten Nadelbaumrande des Königsrückens lag das glühende Gold des
Sonnenunterganges, das einen feinen Rosenschimmer auf das Wasser warf.
Alles Vogelleben war verstummt. Nur ein stilles, abendliches Säuseln ging
durch deu Wald und erstarb in der Ferne.

Sie legte wie ermüdet ihre Wange in die Hand und schaute lange hinaus.

Sie ahnte, daß das, was sie zwischen jenen beiden belauscht hatte, das,
was jeues wunderbare Feuer in ihren Blicken entflammt und ihre Lippen
zittern gemacht hatte, daß dies das überirdische Glück der Menschen sein müsse,
die heiligste Lust dieses Lebens ^ die Liebe!


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[0108] Junge Liebe Aber in seinem Blick mußte etwas gelegen haben, das sie flehentlich um mehr bat, denn, nachdem sie sich vorsichtig umgesehen hatte, lehnte sie sich leise an seine Brust und reichte ihm errötend ihren Mund. Er schlang züchtig seinen Arm um ihren Leib und küßte sie leise. Über diese feierliche Liebkosung hätte Mnrtha fast laut ausgelacht. Als sie aber gleichzeitig deu Blick auffing, mit dem sich die beiden während der Umarmung gleichsam in einander versenkten — seinen stillen, brennenden, ihren feuchten und zitternden — und die tiefe Nöte, die beim Kusse beiden in die Wangen schoß, wurde sie plötzlich ganz verschämt und blickte um sich, als fürchtete sie, daß jemand die Liebenden belauscht hätte. Klopfenden Herzens beugte sie sich tiefer hinab in ihr Versteck und beob¬ achtete liegehrlich die ans Land steigenden. Atemlos folgte sie ihnen mit den Augen auf ihrer stillen Wanderung über die Wiese nach dem Waldpfade zu, und erst, als sie Arm in Arm im Blätterdickicht verschwanden, erhob sie sich mit glühenden Wangen langsam aus dem Schilf. Aber mich dann blieb sie noch eine Weile stehen, wie versteinert, lind starrte unbeweglich nach der Stelle hin, wo sie verschwunden waren. Plötzlich vernahm sie männliche Schritte ans der Brücke, Hastig raffte sie ihre Strümpfe ans und lief ans das Haus zu. Als sie jedoch dort ange¬ kommen in den Schritten den Elefantengang Jespers zu erkennen glaubte, überfiel sie ein Schreck, daß sie ihm gerade jetzt begegnen sollte. Ohne sich zu besinnen, machte sie kehrt und lief, so schnell sie konnte, in den Wald hinein. Als sie hinter einem Busch hervvrlugte, sah sie einen biedern Bauersmann mit einem Sack über deu Schultern des Weges kommen. Sie lächelte über ihre Furcht, und langsam und sinnend, hin und wieder eine Blume zu ihren Füßen pflückend, kehrte sie auf dem Hauptwege zurück. Schon vor dem Hause hörte sie die Mutter in der Küche, daher schlich sie sich um den Giebel herum, schlüpfte durch den Vorbau und gelaugte unbemerkt in die leere, unbe¬ wohnte obere Stube, deren Thür sie sorgfältig hinter sich schloß. Dann stellte sie sich an eines der Fenster, die nach dein See hinaus gingen, und öffnete es vorsichtig. Unter dein Waldkrcmze hatte es schon angefangen zu dämmern. Über dem duukelvivletten Nadelbaumrande des Königsrückens lag das glühende Gold des Sonnenunterganges, das einen feinen Rosenschimmer auf das Wasser warf. Alles Vogelleben war verstummt. Nur ein stilles, abendliches Säuseln ging durch deu Wald und erstarb in der Ferne. Sie legte wie ermüdet ihre Wange in die Hand und schaute lange hinaus. Sie ahnte, daß das, was sie zwischen jenen beiden belauscht hatte, das, was jeues wunderbare Feuer in ihren Blicken entflammt und ihre Lippen zittern gemacht hatte, daß dies das überirdische Glück der Menschen sein müsse, die heiligste Lust dieses Lebens ^ die Liebe!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_205998/108>, abgerufen am 28.06.2024.