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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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in genügende"! Umfange, die Deutschen zu mißhandeln, deshalb wollen wir ihr
in Erwartung besserer Zeiten noch das Leben gönnen." Und für alle Par¬
teien ist diesmal wieder das Hauptthema die Schule, aber vergebens hofft
man auf eine Äußerung gesunder Realpolitik. Der Unterrichtsminister hat den
Versuch gemacht, sich zwischen den Parteifordernngen hindurch zu winden, und
hat dadurch glücklich alle Parteien gegen sich aufgebracht. Die Klerikalen thun
es ohne die Konkordatschule nicht, die Liberalen begnügen sich nicht, gegen
diese Bestrebungen Front zu machen, sondern verkünden überall unter "stür¬
mischem Beifall" die Lehre, daß ein Volk um glücklichsten sein würde, wenn
jeder männliche Staatsbürger den Doktorhut trüge und jedes Mädchen wenigstens
das Lehrerinnenexamen ablegen könnte, die Tschechen fordern überall, wo einige
Dutzende ihrer Landsleute sich niedergelassen haben, tschechische Gemeinde- oder
womöglich StaatSschnlen u. s. w., und da die liebe Jugend nicht früh genug
durch Zeitungslektüre gebildet werden kann, wird in der That der "Rasseu-
und Klassenhaß" fast zugleich mit deu Blattern eingeimpft. Was da aufgeht,
wird die Zukunft spüre".




Litteratur
Moderne Argonauten. Humoristischer Roman von Frank Harknt. Jena, ^ermann
Costenoble, 1389

Dieser humoristische Roman von Frank Harlut, dem Verfasser von "Sylvia"
(einem Buche, das wir, wie wir gestehen, nicht kennen) verspricht in seinen Anfängen
viel, leider mehr, als er in der spätern Ausführung zu halten vermag. Der Roman
schildert eine mehr und mehr überHand nehmende Menschenart, die die Engländer
"Globetrotter" (das deutsche "Weltbummler" scheint uus ziemlich gleichwertig) zu
nennen pflegen, Menschen, die überall, nur nicht bei sich zu Hause sind. Dus
eigentliche Vaterland dieser Weltbummler ist England, aber neben ein paar eng¬
lischen Exemplaren der Gattung fuhrt der Verfasser der "Modernen Argonauten"
mich ein deutsches vor: Herrn Gustav Tiesewinkel, wegen seiner Verdienste um die
Republik Tehuantepec "Don Gustavo" genannt. Dieser alte Junggeselle und ewig junge
Hamburger Geschäftsmann lernt auf einer abenteuerlichen Fahrt nach Malakka eine
exotische Schönheit, halb Malaiin, halb Europäerin, aber ganz malaiische Patriotin
kennen. Mata Niala alias Marion Nhborg sucht überall nach Bundesgenossen, um
einen von England begünstigten Usurpator irgend eines malaiischen Sultanats zu
stürzen; Herr Gustav Tiesewinkel, gleichzeitig von einem späten Johannistrieb, von
Gold- und Erwerbsdurst und vou der abenteuerlichen Aussicht berauscht, in irgend
einem hinterindischen Ländchen die deutsche Schutzhcrrschaft an die Stelle der bri¬
tischen zu setzen, läßt sich auf eine Art Verschwörung ein, wirbt in Deutschland


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in genügende»! Umfange, die Deutschen zu mißhandeln, deshalb wollen wir ihr
in Erwartung besserer Zeiten noch das Leben gönnen." Und für alle Par¬
teien ist diesmal wieder das Hauptthema die Schule, aber vergebens hofft
man auf eine Äußerung gesunder Realpolitik. Der Unterrichtsminister hat den
Versuch gemacht, sich zwischen den Parteifordernngen hindurch zu winden, und
hat dadurch glücklich alle Parteien gegen sich aufgebracht. Die Klerikalen thun
es ohne die Konkordatschule nicht, die Liberalen begnügen sich nicht, gegen
diese Bestrebungen Front zu machen, sondern verkünden überall unter „stür¬
mischem Beifall" die Lehre, daß ein Volk um glücklichsten sein würde, wenn
jeder männliche Staatsbürger den Doktorhut trüge und jedes Mädchen wenigstens
das Lehrerinnenexamen ablegen könnte, die Tschechen fordern überall, wo einige
Dutzende ihrer Landsleute sich niedergelassen haben, tschechische Gemeinde- oder
womöglich StaatSschnlen u. s. w., und da die liebe Jugend nicht früh genug
durch Zeitungslektüre gebildet werden kann, wird in der That der „Rasseu-
und Klassenhaß" fast zugleich mit deu Blattern eingeimpft. Was da aufgeht,
wird die Zukunft spüre».




Litteratur
Moderne Argonauten. Humoristischer Roman von Frank Harknt. Jena, ^ermann
Costenoble, 1389

Dieser humoristische Roman von Frank Harlut, dem Verfasser von „Sylvia"
(einem Buche, das wir, wie wir gestehen, nicht kennen) verspricht in seinen Anfängen
viel, leider mehr, als er in der spätern Ausführung zu halten vermag. Der Roman
schildert eine mehr und mehr überHand nehmende Menschenart, die die Engländer
„Globetrotter" (das deutsche „Weltbummler" scheint uus ziemlich gleichwertig) zu
nennen pflegen, Menschen, die überall, nur nicht bei sich zu Hause sind. Dus
eigentliche Vaterland dieser Weltbummler ist England, aber neben ein paar eng¬
lischen Exemplaren der Gattung fuhrt der Verfasser der „Modernen Argonauten"
mich ein deutsches vor: Herrn Gustav Tiesewinkel, wegen seiner Verdienste um die
Republik Tehuantepec „Don Gustavo" genannt. Dieser alte Junggeselle und ewig junge
Hamburger Geschäftsmann lernt auf einer abenteuerlichen Fahrt nach Malakka eine
exotische Schönheit, halb Malaiin, halb Europäerin, aber ganz malaiische Patriotin
kennen. Mata Niala alias Marion Nhborg sucht überall nach Bundesgenossen, um
einen von England begünstigten Usurpator irgend eines malaiischen Sultanats zu
stürzen; Herr Gustav Tiesewinkel, gleichzeitig von einem späten Johannistrieb, von
Gold- und Erwerbsdurst und vou der abenteuerlichen Aussicht berauscht, in irgend
einem hinterindischen Ländchen die deutsche Schutzhcrrschaft an die Stelle der bri¬
tischen zu setzen, läßt sich auf eine Art Verschwörung ein, wirbt in Deutschland


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/439>, abgerufen am 05.02.2025.