Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Rassen- und Alassenhaß

auf. Aber nicht nur autonome Behörden gehen so vor. "Auch bei Staats¬
behörden, sogar bei Gerichtsbehörden, soll (!) der gleiche Widerstand gegen die
Geltung der zitirten, von Sr. Majestät allergnädigst gewährten und (!) sauktio-
nirten Staatsgrundgesetze bestehen, wenn es sich um unsre Glaubensgenossen
handelt. Während in der andern Reichshälfte, in Ungarn, es verkommt, daß
auch Juden staatsanwaltschnftliche und richterliche Ämter sogar bei dem höchsten
Gerichtshof bekleiden, ohne daß darob oder gar gegen dieselben irgend eine
Klage erhoben wird ^ein Irrtums, gilt in Österreich dermalen die Erlangung
der Stelle selbst eines Staatsanwaltssubstitnten erster Instanz oder einer
eigentlichen Richterstelle (über die (!) des Auskultanten) für einen Juden als
unerreichbar, und wird es sogar beispielsweise seit Jahren als eine Sache
vollständiger Unmöglichkeit angesehen, daß ein Jsraelit auch nur eine Auskul-
tautcustelle beim k. k. Landesgericht erlange." Daß getaufte Juden die
höchsten Stellen im Justizdieuste bekleiden, bleibt natürlich unbeachtet, denn
die sind ja keine Juden mehr. Genug, jüdischen Bewerbern, die nicht so rasch
befördert werden, wie sie wünschen, "gilt" es als feststehend, daß sie ihres
Glaubens wegen gegen "später eingetretene, wenn auch minder gnalifizirte christ¬
liche Kollegen" zurückgesetzt werden, bei Staatsbehörden "soll" Widerstand
gegen die Durchführung der Gleichberechtigung vorkommen, und die Denkschrift
begnügt sich, diese "Beispiele der Nichtbeachtung der Gesetze" anzuführen. Und
ans Grund solcher Darstellungen bittet sie den Minister, "die dem Rechte und
Gesetze entsprechende Verfügung zu treffen," das heißt nach dem gauzen In¬
halte dafür zu forgen, daß die Juden in allen Zweigen des Staatsdienstes
zu den höchsten Stellen gelangen, daß sie in jede Gesellschaft und Verbindung
aufgenommen werden müssen, daß Beamte und Lehrer, die keine Freunde des
Judentums sind, abgesetzt, solche Vereine unterdrückt, solche Zeitungen ver¬
boten, Antisemiten als unfähig für das Geschwornenamt bezeichnet werden u. s. w.
Damit dürften die Herren sich Wohl vorläufig zufrieden geben.

Kann man sich da noch wundern, daß die Zeitungen jener Partei tag¬
täglich förmliche Denunziationen gegen Geistliche bringen, die sich geweigert
haben, den zwanzigsten Jahrestag der Verleihung der Schulgesetze durch Gottes¬
dienst zu begehen? Wahrscheinlich verlangen die Stnatsgruudgcsetze auch, daß
man Gott selbst für die Gesetze danken müsse, die man für schlecht hält. Das
ist die Freiheit, wie die Herren sie meinen. Und sie könnten doch den Gegnern
der Schulgesetzgebung das bischen stille Opposition wirklich gönnen. Die Zeit
ist wieder gekommen, wo die Abgeordneten, wie Bret Harte sagt, zu ihren
Wählern zurückkehren, um ihnen, je nach deren Geschmack, mitzuteilen, daß das
Land dem Ruin entgegengehe, oder daß die Aussichten niemals befriedigender
gewesen seien, wozu in Österreich noch die dritte Weise kommt: "Die Negie¬
rung ist die schlechteste, die sich denken, aber die beste, die sich erwarten läßt;
sie mißhandelt die Slawen, gestattet jedoch diesen, wenn auch noch keineswegs


Rassen- und Alassenhaß

auf. Aber nicht nur autonome Behörden gehen so vor. „Auch bei Staats¬
behörden, sogar bei Gerichtsbehörden, soll (!) der gleiche Widerstand gegen die
Geltung der zitirten, von Sr. Majestät allergnädigst gewährten und (!) sauktio-
nirten Staatsgrundgesetze bestehen, wenn es sich um unsre Glaubensgenossen
handelt. Während in der andern Reichshälfte, in Ungarn, es verkommt, daß
auch Juden staatsanwaltschnftliche und richterliche Ämter sogar bei dem höchsten
Gerichtshof bekleiden, ohne daß darob oder gar gegen dieselben irgend eine
Klage erhoben wird ^ein Irrtums, gilt in Österreich dermalen die Erlangung
der Stelle selbst eines Staatsanwaltssubstitnten erster Instanz oder einer
eigentlichen Richterstelle (über die (!) des Auskultanten) für einen Juden als
unerreichbar, und wird es sogar beispielsweise seit Jahren als eine Sache
vollständiger Unmöglichkeit angesehen, daß ein Jsraelit auch nur eine Auskul-
tautcustelle beim k. k. Landesgericht erlange." Daß getaufte Juden die
höchsten Stellen im Justizdieuste bekleiden, bleibt natürlich unbeachtet, denn
die sind ja keine Juden mehr. Genug, jüdischen Bewerbern, die nicht so rasch
befördert werden, wie sie wünschen, „gilt" es als feststehend, daß sie ihres
Glaubens wegen gegen „später eingetretene, wenn auch minder gnalifizirte christ¬
liche Kollegen" zurückgesetzt werden, bei Staatsbehörden „soll" Widerstand
gegen die Durchführung der Gleichberechtigung vorkommen, und die Denkschrift
begnügt sich, diese „Beispiele der Nichtbeachtung der Gesetze" anzuführen. Und
ans Grund solcher Darstellungen bittet sie den Minister, „die dem Rechte und
Gesetze entsprechende Verfügung zu treffen," das heißt nach dem gauzen In¬
halte dafür zu forgen, daß die Juden in allen Zweigen des Staatsdienstes
zu den höchsten Stellen gelangen, daß sie in jede Gesellschaft und Verbindung
aufgenommen werden müssen, daß Beamte und Lehrer, die keine Freunde des
Judentums sind, abgesetzt, solche Vereine unterdrückt, solche Zeitungen ver¬
boten, Antisemiten als unfähig für das Geschwornenamt bezeichnet werden u. s. w.
Damit dürften die Herren sich Wohl vorläufig zufrieden geben.

Kann man sich da noch wundern, daß die Zeitungen jener Partei tag¬
täglich förmliche Denunziationen gegen Geistliche bringen, die sich geweigert
haben, den zwanzigsten Jahrestag der Verleihung der Schulgesetze durch Gottes¬
dienst zu begehen? Wahrscheinlich verlangen die Stnatsgruudgcsetze auch, daß
man Gott selbst für die Gesetze danken müsse, die man für schlecht hält. Das
ist die Freiheit, wie die Herren sie meinen. Und sie könnten doch den Gegnern
der Schulgesetzgebung das bischen stille Opposition wirklich gönnen. Die Zeit
ist wieder gekommen, wo die Abgeordneten, wie Bret Harte sagt, zu ihren
Wählern zurückkehren, um ihnen, je nach deren Geschmack, mitzuteilen, daß das
Land dem Ruin entgegengehe, oder daß die Aussichten niemals befriedigender
gewesen seien, wozu in Österreich noch die dritte Weise kommt: „Die Negie¬
rung ist die schlechteste, die sich denken, aber die beste, die sich erwarten läßt;
sie mißhandelt die Slawen, gestattet jedoch diesen, wenn auch noch keineswegs


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0438" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/205169"/>
          <fw type="header" place="top"> Rassen- und Alassenhaß</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1219" prev="#ID_1218"> auf. Aber nicht nur autonome Behörden gehen so vor. &#x201E;Auch bei Staats¬<lb/>
behörden, sogar bei Gerichtsbehörden, soll (!) der gleiche Widerstand gegen die<lb/>
Geltung der zitirten, von Sr. Majestät allergnädigst gewährten und (!) sauktio-<lb/>
nirten Staatsgrundgesetze bestehen, wenn es sich um unsre Glaubensgenossen<lb/>
handelt. Während in der andern Reichshälfte, in Ungarn, es verkommt, daß<lb/>
auch Juden staatsanwaltschnftliche und richterliche Ämter sogar bei dem höchsten<lb/>
Gerichtshof bekleiden, ohne daß darob oder gar gegen dieselben irgend eine<lb/>
Klage erhoben wird ^ein Irrtums, gilt in Österreich dermalen die Erlangung<lb/>
der Stelle selbst eines Staatsanwaltssubstitnten erster Instanz oder einer<lb/>
eigentlichen Richterstelle (über die (!) des Auskultanten) für einen Juden als<lb/>
unerreichbar, und wird es sogar beispielsweise seit Jahren als eine Sache<lb/>
vollständiger Unmöglichkeit angesehen, daß ein Jsraelit auch nur eine Auskul-<lb/>
tautcustelle beim k. k. Landesgericht erlange." Daß getaufte Juden die<lb/>
höchsten Stellen im Justizdieuste bekleiden, bleibt natürlich unbeachtet, denn<lb/>
die sind ja keine Juden mehr. Genug, jüdischen Bewerbern, die nicht so rasch<lb/>
befördert werden, wie sie wünschen, &#x201E;gilt" es als feststehend, daß sie ihres<lb/>
Glaubens wegen gegen &#x201E;später eingetretene, wenn auch minder gnalifizirte christ¬<lb/>
liche Kollegen" zurückgesetzt werden, bei Staatsbehörden &#x201E;soll" Widerstand<lb/>
gegen die Durchführung der Gleichberechtigung vorkommen, und die Denkschrift<lb/>
begnügt sich, diese &#x201E;Beispiele der Nichtbeachtung der Gesetze" anzuführen. Und<lb/>
ans Grund solcher Darstellungen bittet sie den Minister, &#x201E;die dem Rechte und<lb/>
Gesetze entsprechende Verfügung zu treffen," das heißt nach dem gauzen In¬<lb/>
halte dafür zu forgen, daß die Juden in allen Zweigen des Staatsdienstes<lb/>
zu den höchsten Stellen gelangen, daß sie in jede Gesellschaft und Verbindung<lb/>
aufgenommen werden müssen, daß Beamte und Lehrer, die keine Freunde des<lb/>
Judentums sind, abgesetzt, solche Vereine unterdrückt, solche Zeitungen ver¬<lb/>
boten, Antisemiten als unfähig für das Geschwornenamt bezeichnet werden u. s. w.<lb/>
Damit dürften die Herren sich Wohl vorläufig zufrieden geben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1220" next="#ID_1221"> Kann man sich da noch wundern, daß die Zeitungen jener Partei tag¬<lb/>
täglich förmliche Denunziationen gegen Geistliche bringen, die sich geweigert<lb/>
haben, den zwanzigsten Jahrestag der Verleihung der Schulgesetze durch Gottes¬<lb/>
dienst zu begehen? Wahrscheinlich verlangen die Stnatsgruudgcsetze auch, daß<lb/>
man Gott selbst für die Gesetze danken müsse, die man für schlecht hält. Das<lb/>
ist die Freiheit, wie die Herren sie meinen. Und sie könnten doch den Gegnern<lb/>
der Schulgesetzgebung das bischen stille Opposition wirklich gönnen. Die Zeit<lb/>
ist wieder gekommen, wo die Abgeordneten, wie Bret Harte sagt, zu ihren<lb/>
Wählern zurückkehren, um ihnen, je nach deren Geschmack, mitzuteilen, daß das<lb/>
Land dem Ruin entgegengehe, oder daß die Aussichten niemals befriedigender<lb/>
gewesen seien, wozu in Österreich noch die dritte Weise kommt: &#x201E;Die Negie¬<lb/>
rung ist die schlechteste, die sich denken, aber die beste, die sich erwarten läßt;<lb/>
sie mißhandelt die Slawen, gestattet jedoch diesen, wenn auch noch keineswegs</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0438] Rassen- und Alassenhaß auf. Aber nicht nur autonome Behörden gehen so vor. „Auch bei Staats¬ behörden, sogar bei Gerichtsbehörden, soll (!) der gleiche Widerstand gegen die Geltung der zitirten, von Sr. Majestät allergnädigst gewährten und (!) sauktio- nirten Staatsgrundgesetze bestehen, wenn es sich um unsre Glaubensgenossen handelt. Während in der andern Reichshälfte, in Ungarn, es verkommt, daß auch Juden staatsanwaltschnftliche und richterliche Ämter sogar bei dem höchsten Gerichtshof bekleiden, ohne daß darob oder gar gegen dieselben irgend eine Klage erhoben wird ^ein Irrtums, gilt in Österreich dermalen die Erlangung der Stelle selbst eines Staatsanwaltssubstitnten erster Instanz oder einer eigentlichen Richterstelle (über die (!) des Auskultanten) für einen Juden als unerreichbar, und wird es sogar beispielsweise seit Jahren als eine Sache vollständiger Unmöglichkeit angesehen, daß ein Jsraelit auch nur eine Auskul- tautcustelle beim k. k. Landesgericht erlange." Daß getaufte Juden die höchsten Stellen im Justizdieuste bekleiden, bleibt natürlich unbeachtet, denn die sind ja keine Juden mehr. Genug, jüdischen Bewerbern, die nicht so rasch befördert werden, wie sie wünschen, „gilt" es als feststehend, daß sie ihres Glaubens wegen gegen „später eingetretene, wenn auch minder gnalifizirte christ¬ liche Kollegen" zurückgesetzt werden, bei Staatsbehörden „soll" Widerstand gegen die Durchführung der Gleichberechtigung vorkommen, und die Denkschrift begnügt sich, diese „Beispiele der Nichtbeachtung der Gesetze" anzuführen. Und ans Grund solcher Darstellungen bittet sie den Minister, „die dem Rechte und Gesetze entsprechende Verfügung zu treffen," das heißt nach dem gauzen In¬ halte dafür zu forgen, daß die Juden in allen Zweigen des Staatsdienstes zu den höchsten Stellen gelangen, daß sie in jede Gesellschaft und Verbindung aufgenommen werden müssen, daß Beamte und Lehrer, die keine Freunde des Judentums sind, abgesetzt, solche Vereine unterdrückt, solche Zeitungen ver¬ boten, Antisemiten als unfähig für das Geschwornenamt bezeichnet werden u. s. w. Damit dürften die Herren sich Wohl vorläufig zufrieden geben. Kann man sich da noch wundern, daß die Zeitungen jener Partei tag¬ täglich förmliche Denunziationen gegen Geistliche bringen, die sich geweigert haben, den zwanzigsten Jahrestag der Verleihung der Schulgesetze durch Gottes¬ dienst zu begehen? Wahrscheinlich verlangen die Stnatsgruudgcsetze auch, daß man Gott selbst für die Gesetze danken müsse, die man für schlecht hält. Das ist die Freiheit, wie die Herren sie meinen. Und sie könnten doch den Gegnern der Schulgesetzgebung das bischen stille Opposition wirklich gönnen. Die Zeit ist wieder gekommen, wo die Abgeordneten, wie Bret Harte sagt, zu ihren Wählern zurückkehren, um ihnen, je nach deren Geschmack, mitzuteilen, daß das Land dem Ruin entgegengehe, oder daß die Aussichten niemals befriedigender gewesen seien, wozu in Österreich noch die dritte Weise kommt: „Die Negie¬ rung ist die schlechteste, die sich denken, aber die beste, die sich erwarten läßt; sie mißhandelt die Slawen, gestattet jedoch diesen, wenn auch noch keineswegs

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/438
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/438>, abgerufen am 05.02.2025.