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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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betreffenden Zeitraumes tadellos verhalten hat, und was dergleichen mehr
ist. Doch wir warten weitere Nachrichten über die Grundsätze und Ziele
der "Internationalen strafrechtlichen Bereinigung" al> und werden vielleicht
dann noch einmal auf diese Dinge zurückkommen.




(Line neue (Lthik

ieser stattliche Band von 8(>0 Seiten über die Ethik und ihre
wichtigsten Anwendungsgebiete, von einem Gelehrten, der in der
Litteratur wohl bekannt ist und von seinen zahlreichen Zuhörern
verehrt wird, kann um so mehr ans eine gute Aufnahme rechnen,
als er die Ethik mehr als üblich mit der neuer" Entwicklungs¬
lehre und überhaupt mit der Naturwissenschaft in Berührung setzt,")

Diese Berührung wurde bisher meist vermieden. Für die Frage, wie
sich unser Wille zu den Mitmenschen und zu der gesellschaftliche" Welt, die
wir als eine zweite Welt der natürlichen hinzugefügt haben, stellen solle, schien
die theoretische Erkenntnis keine Hilfe zu biete". Die gänzliche Erfolglosigkeit
solcher Formeln, wie LvvmxZuin und,nrg.in vivorv, die große Dunkelheit in der
Lehre von der Stellung und der Bestimmung des Menschen, schreckte davon
ab, die Moral ans theoretische Grundlagen zu stellen. Es schien leichter und
aussichtsvvller aus der praktischen Befragung des Gewissens, ans der prak¬
tischen Feststellung dessen, was der Mensch soll, das zu bestimmen, was er
ist, als umgekehrt. In den letzten Jahrzehnten mehre" sich aber die Stimmen,
die wieder den frühern Weg einzuschlagen raten, wahrscheinlich weil sie glauben,
mit neuern Mitteln ans diesem theoretischen Boden mehr Licht über die Moral
verbreiten zu können. Eduard von Hartmann, Wilhelm Wunde u. a. haben
diese neuen Grundlagen in ihren Schriften benutzt, die man mit dem Namen
Evolutionismus bezeichnet, und die man, ohne damit einen Tadel anzudeuten,
eine Anwendung des Darwinismus nennen kann. Dieser Auffassung schließt
sich im Ganzen auch Paulsen an. Wenn sie ihre Vorzüge hat, wie nicht zu
leugnen ist, so liegen diese nach unsrer Ansicht uicht in der Begründung,
sondern in ihrer weiten Aussicht auf das staatliche und wirtschaftliche Leben,



System der Ethik mit einem Umriß der Staats- und^ Gesellschaftslehre von
Friedrich Pnulsen, c>. v. Prof. um der Universität Berlin. Berlin, W. Hertz, 1889.
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betreffenden Zeitraumes tadellos verhalten hat, und was dergleichen mehr
ist. Doch wir warten weitere Nachrichten über die Grundsätze und Ziele
der „Internationalen strafrechtlichen Bereinigung" al> und werden vielleicht
dann noch einmal auf diese Dinge zurückkommen.




(Line neue (Lthik

ieser stattliche Band von 8(>0 Seiten über die Ethik und ihre
wichtigsten Anwendungsgebiete, von einem Gelehrten, der in der
Litteratur wohl bekannt ist und von seinen zahlreichen Zuhörern
verehrt wird, kann um so mehr ans eine gute Aufnahme rechnen,
als er die Ethik mehr als üblich mit der neuer» Entwicklungs¬
lehre und überhaupt mit der Naturwissenschaft in Berührung setzt,")

Diese Berührung wurde bisher meist vermieden. Für die Frage, wie
sich unser Wille zu den Mitmenschen und zu der gesellschaftliche» Welt, die
wir als eine zweite Welt der natürlichen hinzugefügt haben, stellen solle, schien
die theoretische Erkenntnis keine Hilfe zu biete». Die gänzliche Erfolglosigkeit
solcher Formeln, wie LvvmxZuin und,nrg.in vivorv, die große Dunkelheit in der
Lehre von der Stellung und der Bestimmung des Menschen, schreckte davon
ab, die Moral ans theoretische Grundlagen zu stellen. Es schien leichter und
aussichtsvvller aus der praktischen Befragung des Gewissens, ans der prak¬
tischen Feststellung dessen, was der Mensch soll, das zu bestimmen, was er
ist, als umgekehrt. In den letzten Jahrzehnten mehre» sich aber die Stimmen,
die wieder den frühern Weg einzuschlagen raten, wahrscheinlich weil sie glauben,
mit neuern Mitteln ans diesem theoretischen Boden mehr Licht über die Moral
verbreiten zu können. Eduard von Hartmann, Wilhelm Wunde u. a. haben
diese neuen Grundlagen in ihren Schriften benutzt, die man mit dem Namen
Evolutionismus bezeichnet, und die man, ohne damit einen Tadel anzudeuten,
eine Anwendung des Darwinismus nennen kann. Dieser Auffassung schließt
sich im Ganzen auch Paulsen an. Wenn sie ihre Vorzüge hat, wie nicht zu
leugnen ist, so liegen diese nach unsrer Ansicht uicht in der Begründung,
sondern in ihrer weiten Aussicht auf das staatliche und wirtschaftliche Leben,



System der Ethik mit einem Umriß der Staats- und^ Gesellschaftslehre von
Friedrich Pnulsen, c>. v. Prof. um der Universität Berlin. Berlin, W. Hertz, 1889.
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[0605] Line neue Ethik betreffenden Zeitraumes tadellos verhalten hat, und was dergleichen mehr ist. Doch wir warten weitere Nachrichten über die Grundsätze und Ziele der „Internationalen strafrechtlichen Bereinigung" al> und werden vielleicht dann noch einmal auf diese Dinge zurückkommen. (Line neue (Lthik ieser stattliche Band von 8(>0 Seiten über die Ethik und ihre wichtigsten Anwendungsgebiete, von einem Gelehrten, der in der Litteratur wohl bekannt ist und von seinen zahlreichen Zuhörern verehrt wird, kann um so mehr ans eine gute Aufnahme rechnen, als er die Ethik mehr als üblich mit der neuer» Entwicklungs¬ lehre und überhaupt mit der Naturwissenschaft in Berührung setzt,") Diese Berührung wurde bisher meist vermieden. Für die Frage, wie sich unser Wille zu den Mitmenschen und zu der gesellschaftliche» Welt, die wir als eine zweite Welt der natürlichen hinzugefügt haben, stellen solle, schien die theoretische Erkenntnis keine Hilfe zu biete». Die gänzliche Erfolglosigkeit solcher Formeln, wie LvvmxZuin und,nrg.in vivorv, die große Dunkelheit in der Lehre von der Stellung und der Bestimmung des Menschen, schreckte davon ab, die Moral ans theoretische Grundlagen zu stellen. Es schien leichter und aussichtsvvller aus der praktischen Befragung des Gewissens, ans der prak¬ tischen Feststellung dessen, was der Mensch soll, das zu bestimmen, was er ist, als umgekehrt. In den letzten Jahrzehnten mehre» sich aber die Stimmen, die wieder den frühern Weg einzuschlagen raten, wahrscheinlich weil sie glauben, mit neuern Mitteln ans diesem theoretischen Boden mehr Licht über die Moral verbreiten zu können. Eduard von Hartmann, Wilhelm Wunde u. a. haben diese neuen Grundlagen in ihren Schriften benutzt, die man mit dem Namen Evolutionismus bezeichnet, und die man, ohne damit einen Tadel anzudeuten, eine Anwendung des Darwinismus nennen kann. Dieser Auffassung schließt sich im Ganzen auch Paulsen an. Wenn sie ihre Vorzüge hat, wie nicht zu leugnen ist, so liegen diese nach unsrer Ansicht uicht in der Begründung, sondern in ihrer weiten Aussicht auf das staatliche und wirtschaftliche Leben, System der Ethik mit einem Umriß der Staats- und^ Gesellschaftslehre von Friedrich Pnulsen, c>. v. Prof. um der Universität Berlin. Berlin, W. Hertz, 1889.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/605>, abgerufen am 22.07.2024.