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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Wahrscheinlich wird weder der Verfasser, noch wird die "Internationale
strafrechtliche Vereinigung" dies wollein Nun gut, so sage man, was man
will, beschränke sich aber nicht darauf, zu sagen: Was jetzt da ist, taugt
nichts, und verfahre vor allen Dingen etwas vorsichtiger beim Herausgreifen
von Beispielen solcher Einrichtungen, die nichts nütze sein sollen, um dabei
nicht, wie in dem besprochnen Falle, dein Verdacht Raum zu geben, man kenne
die Wahrheit, habe aber ein Juteresse daran, hiezu verschweigen -- einem Verdacht,
den wir übrigens durchans nicht hegen wollen. Interessant wäre es, beiläufig
bemerkt, noch zu erfahren, wie sich der Verfasser die Möglichkeit denkt, jemand
zum vierzigstenmale als Dieb (das soll doch wohl heißen wegen des vierzigsten
von ihm begangnen und als solchen nachgewiesnen, folglich auch mit Strafe
geführten Diebstahls) aus der Anklagebank zu sehen. Ein solcher Mensch müßte
sich, wissenschaftlich ausgedrückt, im nchtunddreißigsten Rückfnll befinden. Die
betreffende HanptverlMidlung dürfte dann am zweckmäßigsten mit dem jüngsten
Gericht zu vereinigen sein, denn schon wer ein dutzendmal wegen Rückfalls ins
Zuchthaus gekommen ist, pflegt das Ende der letzten Strafe nicht zu erleben.
Wozu also, fragen wir, bei einer ernsthaft gemeinten und einer weitern Aus¬
führung wert scheinende" Mitteilung, wie der in Ur. 7 der Grenzboten, solche
Übertreibungen?

Wir würden kein Wort verloren haben, hätten wir den Aufsatz über die
Umbildung des Strafrechts in einer andern als der uns lieb gewordenen
Zeitschrift im grünen Gewände, etwa in einer Fachzeitung, deren Leser
durchweg sachliches Urteil haben, oder in einem Tageblatte gesundem, dessen
Spalten die große Menge durchfliegt, ohne viel dabei zu denken. Die Grenz¬
boten aber werden von Leuten gelesen, die man zu den Gebildeten rechnen
muß, auch ohne daß sie sich darüber, daß das Gesetz jetzt schon einen
Gelegeilheitsdieb ganz anders "behandelt und bestraft" als euren Gewohnheits-
dieb, klar sind. Bei solchen Lenken kann durch vorschnell hingeworfene
Bemerkungen, wie die von der angeblich vorhandenen "Widersinnigkeit" der
"gleichmäsngen Beurteilung" eines einfachen Gelegenheits- und eines vierzig-
fachen Gewohnheitsdiebes (man verzeihe die kurzgewählte Ausdrucksweise),
leicht ein sehr unbegründetes Mißtrauen gegen die gesetzlich bestehenden Ein¬
richtungen wachgerufen werden, und das könnte unter Umständen geradezu
gefährlich werden; es regt zur Auflehnung gegen den Rechtsstaat an auch in
solchen Kreisen, die darauf gerichteten Einwirkungen sonst unzugänglich zu
bleiben pflegen.

Noch manches andre, was der Herr Verfasser an der jetzigen Strafrechts¬
pflege bemäkelt, scheint uns einer Widerlegung bedürftig. So scheint ihm z. B.
unbekannt zu sein, daß es Staaten in Deutschland giebt, die schon längst Zucht¬
haus strüflinge vor dem im Urteil festgesetzten Ende ihrer Strafzeit entlassen
und den Strafrest als verbüßt ansehen, wenn der Sträfling sich während des


Wahrscheinlich wird weder der Verfasser, noch wird die „Internationale
strafrechtliche Vereinigung" dies wollein Nun gut, so sage man, was man
will, beschränke sich aber nicht darauf, zu sagen: Was jetzt da ist, taugt
nichts, und verfahre vor allen Dingen etwas vorsichtiger beim Herausgreifen
von Beispielen solcher Einrichtungen, die nichts nütze sein sollen, um dabei
nicht, wie in dem besprochnen Falle, dein Verdacht Raum zu geben, man kenne
die Wahrheit, habe aber ein Juteresse daran, hiezu verschweigen — einem Verdacht,
den wir übrigens durchans nicht hegen wollen. Interessant wäre es, beiläufig
bemerkt, noch zu erfahren, wie sich der Verfasser die Möglichkeit denkt, jemand
zum vierzigstenmale als Dieb (das soll doch wohl heißen wegen des vierzigsten
von ihm begangnen und als solchen nachgewiesnen, folglich auch mit Strafe
geführten Diebstahls) aus der Anklagebank zu sehen. Ein solcher Mensch müßte
sich, wissenschaftlich ausgedrückt, im nchtunddreißigsten Rückfnll befinden. Die
betreffende HanptverlMidlung dürfte dann am zweckmäßigsten mit dem jüngsten
Gericht zu vereinigen sein, denn schon wer ein dutzendmal wegen Rückfalls ins
Zuchthaus gekommen ist, pflegt das Ende der letzten Strafe nicht zu erleben.
Wozu also, fragen wir, bei einer ernsthaft gemeinten und einer weitern Aus¬
führung wert scheinende» Mitteilung, wie der in Ur. 7 der Grenzboten, solche
Übertreibungen?

Wir würden kein Wort verloren haben, hätten wir den Aufsatz über die
Umbildung des Strafrechts in einer andern als der uns lieb gewordenen
Zeitschrift im grünen Gewände, etwa in einer Fachzeitung, deren Leser
durchweg sachliches Urteil haben, oder in einem Tageblatte gesundem, dessen
Spalten die große Menge durchfliegt, ohne viel dabei zu denken. Die Grenz¬
boten aber werden von Leuten gelesen, die man zu den Gebildeten rechnen
muß, auch ohne daß sie sich darüber, daß das Gesetz jetzt schon einen
Gelegeilheitsdieb ganz anders „behandelt und bestraft" als euren Gewohnheits-
dieb, klar sind. Bei solchen Lenken kann durch vorschnell hingeworfene
Bemerkungen, wie die von der angeblich vorhandenen „Widersinnigkeit" der
„gleichmäsngen Beurteilung" eines einfachen Gelegenheits- und eines vierzig-
fachen Gewohnheitsdiebes (man verzeihe die kurzgewählte Ausdrucksweise),
leicht ein sehr unbegründetes Mißtrauen gegen die gesetzlich bestehenden Ein¬
richtungen wachgerufen werden, und das könnte unter Umständen geradezu
gefährlich werden; es regt zur Auflehnung gegen den Rechtsstaat an auch in
solchen Kreisen, die darauf gerichteten Einwirkungen sonst unzugänglich zu
bleiben pflegen.

Noch manches andre, was der Herr Verfasser an der jetzigen Strafrechts¬
pflege bemäkelt, scheint uns einer Widerlegung bedürftig. So scheint ihm z. B.
unbekannt zu sein, daß es Staaten in Deutschland giebt, die schon längst Zucht¬
haus strüflinge vor dem im Urteil festgesetzten Ende ihrer Strafzeit entlassen
und den Strafrest als verbüßt ansehen, wenn der Sträfling sich während des


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[0604] Wahrscheinlich wird weder der Verfasser, noch wird die „Internationale strafrechtliche Vereinigung" dies wollein Nun gut, so sage man, was man will, beschränke sich aber nicht darauf, zu sagen: Was jetzt da ist, taugt nichts, und verfahre vor allen Dingen etwas vorsichtiger beim Herausgreifen von Beispielen solcher Einrichtungen, die nichts nütze sein sollen, um dabei nicht, wie in dem besprochnen Falle, dein Verdacht Raum zu geben, man kenne die Wahrheit, habe aber ein Juteresse daran, hiezu verschweigen — einem Verdacht, den wir übrigens durchans nicht hegen wollen. Interessant wäre es, beiläufig bemerkt, noch zu erfahren, wie sich der Verfasser die Möglichkeit denkt, jemand zum vierzigstenmale als Dieb (das soll doch wohl heißen wegen des vierzigsten von ihm begangnen und als solchen nachgewiesnen, folglich auch mit Strafe geführten Diebstahls) aus der Anklagebank zu sehen. Ein solcher Mensch müßte sich, wissenschaftlich ausgedrückt, im nchtunddreißigsten Rückfnll befinden. Die betreffende HanptverlMidlung dürfte dann am zweckmäßigsten mit dem jüngsten Gericht zu vereinigen sein, denn schon wer ein dutzendmal wegen Rückfalls ins Zuchthaus gekommen ist, pflegt das Ende der letzten Strafe nicht zu erleben. Wozu also, fragen wir, bei einer ernsthaft gemeinten und einer weitern Aus¬ führung wert scheinende» Mitteilung, wie der in Ur. 7 der Grenzboten, solche Übertreibungen? Wir würden kein Wort verloren haben, hätten wir den Aufsatz über die Umbildung des Strafrechts in einer andern als der uns lieb gewordenen Zeitschrift im grünen Gewände, etwa in einer Fachzeitung, deren Leser durchweg sachliches Urteil haben, oder in einem Tageblatte gesundem, dessen Spalten die große Menge durchfliegt, ohne viel dabei zu denken. Die Grenz¬ boten aber werden von Leuten gelesen, die man zu den Gebildeten rechnen muß, auch ohne daß sie sich darüber, daß das Gesetz jetzt schon einen Gelegeilheitsdieb ganz anders „behandelt und bestraft" als euren Gewohnheits- dieb, klar sind. Bei solchen Lenken kann durch vorschnell hingeworfene Bemerkungen, wie die von der angeblich vorhandenen „Widersinnigkeit" der „gleichmäsngen Beurteilung" eines einfachen Gelegenheits- und eines vierzig- fachen Gewohnheitsdiebes (man verzeihe die kurzgewählte Ausdrucksweise), leicht ein sehr unbegründetes Mißtrauen gegen die gesetzlich bestehenden Ein¬ richtungen wachgerufen werden, und das könnte unter Umständen geradezu gefährlich werden; es regt zur Auflehnung gegen den Rechtsstaat an auch in solchen Kreisen, die darauf gerichteten Einwirkungen sonst unzugänglich zu bleiben pflegen. Noch manches andre, was der Herr Verfasser an der jetzigen Strafrechts¬ pflege bemäkelt, scheint uns einer Widerlegung bedürftig. So scheint ihm z. B. unbekannt zu sein, daß es Staaten in Deutschland giebt, die schon längst Zucht¬ haus strüflinge vor dem im Urteil festgesetzten Ende ihrer Strafzeit entlassen und den Strafrest als verbüßt ansehen, wenn der Sträfling sich während des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/604>, abgerufen am 24.08.2024.