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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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pädagogische Phrasen

me beliebte Wochenschrift but sich das Verdienst erworben, Männer
von Bedeutung zu kurzen Äußerungen über unser Unterrichts¬
wesen zu veranlassen, die sie unter der Überschrift: Gedenket
eurer Kinder! zusammenstellt. Darunter findet sich manches
köstliche Samenkorn, das, im Boden empfänglicher Leserherzeu
keimend, reiche Frucht bringen kann. Aber auch hochtönende Ornkelsprüche
laufen mit unter, die Großes zu sagen scheinen, in Wirklichkeit aber nur Nebel¬
bilder eines Jdealzustandes vorgaukeln, die sich nicht in feste Formen bringen
lassen. Es mag ja recht unhöflich, wo nicht grausam sein, die Freude an
solchen Bildern zu zerstören, aber es ist notwendig; notwendig gerade im
Interesse der Kinder. Denn wo man sich an den großartigen Umrissen un¬
ausführbarer Reformpläne weidet, da wird das Kleine und Ausführbare als
trocken, kleinlich und pedantisch verschmäht. Während die Zeitungen über die
Abschaffung des Griechischen und Lateinischen debattiren, was ein ganz müßiger
Zeitvertreib ist, verabsäumen sie es, auf Fehler in der Methode des Sprach¬
unterrichts hinzuweisen und auf ungeeignete Lehrbücher aufmerksam zu machen,
wodurch sie taufenden von Schülern eine wirkliche Erleichterung verschaffen
würden. Manche Zeitungspädagogen fordern die Einführung der "biologischen
Methode" in die Schule und wollen den Unterricht mit dem Urnebel begonnen
wissen. Weit nützlicher würden sie sich machen, wenn sie auf Einrichtung
pädagogischer Seminare für die akademischen Lehramtskandidaten dringen wollten.
Das wäre eine wirkliche Wohlthat für die Schüler, sintemal die Not der lieben
Jugend häufig bloß von der mangelhaften pädagogischen Schulung ihrer nur
allzu gelehrten Herren Lehrer herrührt. Die "biologische Methode" wird sofort
in ihr Nichts zurücksinken, wenn man die Biologen auffordert, Lehrpläue und
Schulbücher auszuarbeiten.

Also es mischen sich unter die Fruchtkörner der pädagogischen Autographen¬
sammlung auch taube Nüße. Prüfen wir nur zwei der letztern auf ihren
Inhalt.

"Die Einheit unsrer höhern Schulbildung kann gegenwärtig nicht mehr in
der Alleinherrschaft der klassischen Sprachen bestehen, sondern (ist hier als
Prädikat kann, soll oder muß zu ergänzen?) teils in der stofflichen Verknüpfung
der Lehrfächer unter einander, teils in der harmonischen Vereinigung aller




pädagogische Phrasen

me beliebte Wochenschrift but sich das Verdienst erworben, Männer
von Bedeutung zu kurzen Äußerungen über unser Unterrichts¬
wesen zu veranlassen, die sie unter der Überschrift: Gedenket
eurer Kinder! zusammenstellt. Darunter findet sich manches
köstliche Samenkorn, das, im Boden empfänglicher Leserherzeu
keimend, reiche Frucht bringen kann. Aber auch hochtönende Ornkelsprüche
laufen mit unter, die Großes zu sagen scheinen, in Wirklichkeit aber nur Nebel¬
bilder eines Jdealzustandes vorgaukeln, die sich nicht in feste Formen bringen
lassen. Es mag ja recht unhöflich, wo nicht grausam sein, die Freude an
solchen Bildern zu zerstören, aber es ist notwendig; notwendig gerade im
Interesse der Kinder. Denn wo man sich an den großartigen Umrissen un¬
ausführbarer Reformpläne weidet, da wird das Kleine und Ausführbare als
trocken, kleinlich und pedantisch verschmäht. Während die Zeitungen über die
Abschaffung des Griechischen und Lateinischen debattiren, was ein ganz müßiger
Zeitvertreib ist, verabsäumen sie es, auf Fehler in der Methode des Sprach¬
unterrichts hinzuweisen und auf ungeeignete Lehrbücher aufmerksam zu machen,
wodurch sie taufenden von Schülern eine wirkliche Erleichterung verschaffen
würden. Manche Zeitungspädagogen fordern die Einführung der „biologischen
Methode" in die Schule und wollen den Unterricht mit dem Urnebel begonnen
wissen. Weit nützlicher würden sie sich machen, wenn sie auf Einrichtung
pädagogischer Seminare für die akademischen Lehramtskandidaten dringen wollten.
Das wäre eine wirkliche Wohlthat für die Schüler, sintemal die Not der lieben
Jugend häufig bloß von der mangelhaften pädagogischen Schulung ihrer nur
allzu gelehrten Herren Lehrer herrührt. Die „biologische Methode" wird sofort
in ihr Nichts zurücksinken, wenn man die Biologen auffordert, Lehrpläue und
Schulbücher auszuarbeiten.

Also es mischen sich unter die Fruchtkörner der pädagogischen Autographen¬
sammlung auch taube Nüße. Prüfen wir nur zwei der letztern auf ihren
Inhalt.

„Die Einheit unsrer höhern Schulbildung kann gegenwärtig nicht mehr in
der Alleinherrschaft der klassischen Sprachen bestehen, sondern (ist hier als
Prädikat kann, soll oder muß zu ergänzen?) teils in der stofflichen Verknüpfung
der Lehrfächer unter einander, teils in der harmonischen Vereinigung aller


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[0466] [Abbildung] pädagogische Phrasen me beliebte Wochenschrift but sich das Verdienst erworben, Männer von Bedeutung zu kurzen Äußerungen über unser Unterrichts¬ wesen zu veranlassen, die sie unter der Überschrift: Gedenket eurer Kinder! zusammenstellt. Darunter findet sich manches köstliche Samenkorn, das, im Boden empfänglicher Leserherzeu keimend, reiche Frucht bringen kann. Aber auch hochtönende Ornkelsprüche laufen mit unter, die Großes zu sagen scheinen, in Wirklichkeit aber nur Nebel¬ bilder eines Jdealzustandes vorgaukeln, die sich nicht in feste Formen bringen lassen. Es mag ja recht unhöflich, wo nicht grausam sein, die Freude an solchen Bildern zu zerstören, aber es ist notwendig; notwendig gerade im Interesse der Kinder. Denn wo man sich an den großartigen Umrissen un¬ ausführbarer Reformpläne weidet, da wird das Kleine und Ausführbare als trocken, kleinlich und pedantisch verschmäht. Während die Zeitungen über die Abschaffung des Griechischen und Lateinischen debattiren, was ein ganz müßiger Zeitvertreib ist, verabsäumen sie es, auf Fehler in der Methode des Sprach¬ unterrichts hinzuweisen und auf ungeeignete Lehrbücher aufmerksam zu machen, wodurch sie taufenden von Schülern eine wirkliche Erleichterung verschaffen würden. Manche Zeitungspädagogen fordern die Einführung der „biologischen Methode" in die Schule und wollen den Unterricht mit dem Urnebel begonnen wissen. Weit nützlicher würden sie sich machen, wenn sie auf Einrichtung pädagogischer Seminare für die akademischen Lehramtskandidaten dringen wollten. Das wäre eine wirkliche Wohlthat für die Schüler, sintemal die Not der lieben Jugend häufig bloß von der mangelhaften pädagogischen Schulung ihrer nur allzu gelehrten Herren Lehrer herrührt. Die „biologische Methode" wird sofort in ihr Nichts zurücksinken, wenn man die Biologen auffordert, Lehrpläue und Schulbücher auszuarbeiten. Also es mischen sich unter die Fruchtkörner der pädagogischen Autographen¬ sammlung auch taube Nüße. Prüfen wir nur zwei der letztern auf ihren Inhalt. „Die Einheit unsrer höhern Schulbildung kann gegenwärtig nicht mehr in der Alleinherrschaft der klassischen Sprachen bestehen, sondern (ist hier als Prädikat kann, soll oder muß zu ergänzen?) teils in der stofflichen Verknüpfung der Lehrfächer unter einander, teils in der harmonischen Vereinigung aller

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/466>, abgerufen am 28.06.2024.