Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Litteratur

sie. "Ich habe aber nicht den aus den fünf Sinnen sich meistens ergebenden
sechsten unsichtbaren Sinn der übrigen u. s, w." Leider steht der Verbindung
dieses herrlichen Paares ein düsteres Geheimnis im Wege, und auf die Lösung,
wie auf Margots Träume müssen wir noch einen Monat lang warten, da erst im
nächsten Hefte der Schluß folgt. Die Spannung ist furchtbar. Wir raten hiu
und her, aber, wie noch ein andres Fräulein so schön sagt: "Menschliche Einsicht ist
kürzer als eines Fadens Ende." So müssen wir uns denn gedulden, bis auch
diese Geschichte ein kurzes Ende findet. Immerhin werden unsre Leser uns Dank
wissen für die Einführung in eine so gewählte Gesellschaft, die, mit blühendem
Unsinn bekränzt, des Lebens Unverstand mit Wemut zu genießen versteht.



Litteratur

Von unehrlichen Leuten. Kulturhistorische Studien und Geschichten aus vergangenen
Tagen deutscher Gewerbe und Dienste von Otto Beneke. Zweite vermehrte Auflage. Berlin,
W. Hertz, 1L89

Mit Befriedigung sehen wir den Verfasser aus seiner Vaterstadt Hamburg diesen
Band zum zweitenmal entsenden, und zwar wesentlich vermehrt durch eigne Studicnergeb-
nisse und auf Grund von Mitteilungen, die dem liebenswürdigen Verfasser von Lesern
aus andern deutschen Gauen zugegangen sind. Eine würdige Gesinnung steht hinter
dem bunten Material, das er über Art und Unart unsrer Altvordern aus den Akten¬
stücken in konkreter Weise vorlegt. Man spürt nichts von Ermüdung beim Lesen,
denn bald ist es der Humor, bald eine ernste Reflexion über die erzählten That¬
sachen, die unsre Teilnahme immer wieder auffrischt. Eine Fülle sogenannter un¬
ehrlicher Gewerbe und Dienste werden uns vorgeführt, die ans verschiedenen Gründen
in Deutschland unterhalb der guten ehrlichen Gesellschaft standen. So finden wir
Hirten, Spielleute, Bader und Barbier, Leinweber, Bettelvögte, Nachtwächter, Schergen,
Scharfrichter u. a., die mit ihren Angehörigen der sozialen Geringschätzung verfallen
waren; wir sehen diese Geringschätzung in Beispielen aus dem damaligen Leben,
wir erfreuen uns der obrigkeitlichen Bemühungen, mehreren dieser Klassen von
Unehrlichen ihren Makel abzunehmen, und bemerken mit Erstaunen, wie schwer
diese Bemühungen gegenüber dem Vvlksgefühl durchgesetzt werden. Dabei lernen
wir eine Menge kulturgeschichtlicher Einzelheiten kennen, sogar ein Stück Volks¬
litteratur. Einen versöhnlichen Abschluß giebt der Verfasser seinem Buche dnrch
den Abschnitt vom,,Ehrlichsprechen," denn allerdings gelang es zuweilen und mit
der Zeit immer mehr, daß sowohl einzelne als auch Klassen von Unehrlichen bei
günstiger Gelegenheit vom Kaiser oder andern Obrigkeiten emporgehoben wurden,
sogar Scharfrichter. Und so ist es uns bei diesen letzten lebhaft ausgemalten Ge¬
schichten, als sei das meiste, was wir zuvor an Verdrießlichem gelesen haben, ein
böser Traum gewesen, halb in Vergessenheit geraten durch das erfreuliche Licht
des hellen Tages.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Litteratur

sie. „Ich habe aber nicht den aus den fünf Sinnen sich meistens ergebenden
sechsten unsichtbaren Sinn der übrigen u. s, w." Leider steht der Verbindung
dieses herrlichen Paares ein düsteres Geheimnis im Wege, und auf die Lösung,
wie auf Margots Träume müssen wir noch einen Monat lang warten, da erst im
nächsten Hefte der Schluß folgt. Die Spannung ist furchtbar. Wir raten hiu
und her, aber, wie noch ein andres Fräulein so schön sagt: „Menschliche Einsicht ist
kürzer als eines Fadens Ende." So müssen wir uns denn gedulden, bis auch
diese Geschichte ein kurzes Ende findet. Immerhin werden unsre Leser uns Dank
wissen für die Einführung in eine so gewählte Gesellschaft, die, mit blühendem
Unsinn bekränzt, des Lebens Unverstand mit Wemut zu genießen versteht.



Litteratur

Von unehrlichen Leuten. Kulturhistorische Studien und Geschichten aus vergangenen
Tagen deutscher Gewerbe und Dienste von Otto Beneke. Zweite vermehrte Auflage. Berlin,
W. Hertz, 1L89

Mit Befriedigung sehen wir den Verfasser aus seiner Vaterstadt Hamburg diesen
Band zum zweitenmal entsenden, und zwar wesentlich vermehrt durch eigne Studicnergeb-
nisse und auf Grund von Mitteilungen, die dem liebenswürdigen Verfasser von Lesern
aus andern deutschen Gauen zugegangen sind. Eine würdige Gesinnung steht hinter
dem bunten Material, das er über Art und Unart unsrer Altvordern aus den Akten¬
stücken in konkreter Weise vorlegt. Man spürt nichts von Ermüdung beim Lesen,
denn bald ist es der Humor, bald eine ernste Reflexion über die erzählten That¬
sachen, die unsre Teilnahme immer wieder auffrischt. Eine Fülle sogenannter un¬
ehrlicher Gewerbe und Dienste werden uns vorgeführt, die ans verschiedenen Gründen
in Deutschland unterhalb der guten ehrlichen Gesellschaft standen. So finden wir
Hirten, Spielleute, Bader und Barbier, Leinweber, Bettelvögte, Nachtwächter, Schergen,
Scharfrichter u. a., die mit ihren Angehörigen der sozialen Geringschätzung verfallen
waren; wir sehen diese Geringschätzung in Beispielen aus dem damaligen Leben,
wir erfreuen uns der obrigkeitlichen Bemühungen, mehreren dieser Klassen von
Unehrlichen ihren Makel abzunehmen, und bemerken mit Erstaunen, wie schwer
diese Bemühungen gegenüber dem Vvlksgefühl durchgesetzt werden. Dabei lernen
wir eine Menge kulturgeschichtlicher Einzelheiten kennen, sogar ein Stück Volks¬
litteratur. Einen versöhnlichen Abschluß giebt der Verfasser seinem Buche dnrch
den Abschnitt vom,,Ehrlichsprechen," denn allerdings gelang es zuweilen und mit
der Zeit immer mehr, daß sowohl einzelne als auch Klassen von Unehrlichen bei
günstiger Gelegenheit vom Kaiser oder andern Obrigkeiten emporgehoben wurden,
sogar Scharfrichter. Und so ist es uns bei diesen letzten lebhaft ausgemalten Ge¬
schichten, als sei das meiste, was wir zuvor an Verdrießlichem gelesen haben, ein
böser Traum gewesen, halb in Vergessenheit geraten durch das erfreuliche Licht
des hellen Tages.




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0448" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204537"/>
            <fw type="header" place="top"> Litteratur</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1473" prev="#ID_1472"> sie. &#x201E;Ich habe aber nicht den aus den fünf Sinnen sich meistens ergebenden<lb/>
sechsten unsichtbaren Sinn der übrigen u. s, w." Leider steht der Verbindung<lb/>
dieses herrlichen Paares ein düsteres Geheimnis im Wege, und auf die Lösung,<lb/>
wie auf Margots Träume müssen wir noch einen Monat lang warten, da erst im<lb/>
nächsten Hefte der Schluß folgt. Die Spannung ist furchtbar. Wir raten hiu<lb/>
und her, aber, wie noch ein andres Fräulein so schön sagt: &#x201E;Menschliche Einsicht ist<lb/>
kürzer als eines Fadens Ende." So müssen wir uns denn gedulden, bis auch<lb/>
diese Geschichte ein kurzes Ende findet. Immerhin werden unsre Leser uns Dank<lb/>
wissen für die Einführung in eine so gewählte Gesellschaft, die, mit blühendem<lb/>
Unsinn bekränzt, des Lebens Unverstand mit Wemut zu genießen versteht.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Litteratur</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1474"> Von unehrlichen Leuten. Kulturhistorische Studien und Geschichten aus vergangenen<lb/>
Tagen deutscher Gewerbe und Dienste von Otto Beneke. Zweite vermehrte Auflage. Berlin,<lb/>
W. Hertz, 1L89</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1475"> Mit Befriedigung sehen wir den Verfasser aus seiner Vaterstadt Hamburg diesen<lb/>
Band zum zweitenmal entsenden, und zwar wesentlich vermehrt durch eigne Studicnergeb-<lb/>
nisse und auf Grund von Mitteilungen, die dem liebenswürdigen Verfasser von Lesern<lb/>
aus andern deutschen Gauen zugegangen sind. Eine würdige Gesinnung steht hinter<lb/>
dem bunten Material, das er über Art und Unart unsrer Altvordern aus den Akten¬<lb/>
stücken in konkreter Weise vorlegt. Man spürt nichts von Ermüdung beim Lesen,<lb/>
denn bald ist es der Humor, bald eine ernste Reflexion über die erzählten That¬<lb/>
sachen, die unsre Teilnahme immer wieder auffrischt. Eine Fülle sogenannter un¬<lb/>
ehrlicher Gewerbe und Dienste werden uns vorgeführt, die ans verschiedenen Gründen<lb/>
in Deutschland unterhalb der guten ehrlichen Gesellschaft standen. So finden wir<lb/>
Hirten, Spielleute, Bader und Barbier, Leinweber, Bettelvögte, Nachtwächter, Schergen,<lb/>
Scharfrichter u. a., die mit ihren Angehörigen der sozialen Geringschätzung verfallen<lb/>
waren; wir sehen diese Geringschätzung in Beispielen aus dem damaligen Leben,<lb/>
wir erfreuen uns der obrigkeitlichen Bemühungen, mehreren dieser Klassen von<lb/>
Unehrlichen ihren Makel abzunehmen, und bemerken mit Erstaunen, wie schwer<lb/>
diese Bemühungen gegenüber dem Vvlksgefühl durchgesetzt werden. Dabei lernen<lb/>
wir eine Menge kulturgeschichtlicher Einzelheiten kennen, sogar ein Stück Volks¬<lb/>
litteratur. Einen versöhnlichen Abschluß giebt der Verfasser seinem Buche dnrch<lb/>
den Abschnitt vom,,Ehrlichsprechen," denn allerdings gelang es zuweilen und mit<lb/>
der Zeit immer mehr, daß sowohl einzelne als auch Klassen von Unehrlichen bei<lb/>
günstiger Gelegenheit vom Kaiser oder andern Obrigkeiten emporgehoben wurden,<lb/>
sogar Scharfrichter. Und so ist es uns bei diesen letzten lebhaft ausgemalten Ge¬<lb/>
schichten, als sei das meiste, was wir zuvor an Verdrießlichem gelesen haben, ein<lb/>
böser Traum gewesen, halb in Vergessenheit geraten durch das erfreuliche Licht<lb/>
des hellen Tages.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <note type="byline"> Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig<lb/>
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig &#x2014; Druck von Carl Marquart in Leipzig</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0448] Litteratur sie. „Ich habe aber nicht den aus den fünf Sinnen sich meistens ergebenden sechsten unsichtbaren Sinn der übrigen u. s, w." Leider steht der Verbindung dieses herrlichen Paares ein düsteres Geheimnis im Wege, und auf die Lösung, wie auf Margots Träume müssen wir noch einen Monat lang warten, da erst im nächsten Hefte der Schluß folgt. Die Spannung ist furchtbar. Wir raten hiu und her, aber, wie noch ein andres Fräulein so schön sagt: „Menschliche Einsicht ist kürzer als eines Fadens Ende." So müssen wir uns denn gedulden, bis auch diese Geschichte ein kurzes Ende findet. Immerhin werden unsre Leser uns Dank wissen für die Einführung in eine so gewählte Gesellschaft, die, mit blühendem Unsinn bekränzt, des Lebens Unverstand mit Wemut zu genießen versteht. Litteratur Von unehrlichen Leuten. Kulturhistorische Studien und Geschichten aus vergangenen Tagen deutscher Gewerbe und Dienste von Otto Beneke. Zweite vermehrte Auflage. Berlin, W. Hertz, 1L89 Mit Befriedigung sehen wir den Verfasser aus seiner Vaterstadt Hamburg diesen Band zum zweitenmal entsenden, und zwar wesentlich vermehrt durch eigne Studicnergeb- nisse und auf Grund von Mitteilungen, die dem liebenswürdigen Verfasser von Lesern aus andern deutschen Gauen zugegangen sind. Eine würdige Gesinnung steht hinter dem bunten Material, das er über Art und Unart unsrer Altvordern aus den Akten¬ stücken in konkreter Weise vorlegt. Man spürt nichts von Ermüdung beim Lesen, denn bald ist es der Humor, bald eine ernste Reflexion über die erzählten That¬ sachen, die unsre Teilnahme immer wieder auffrischt. Eine Fülle sogenannter un¬ ehrlicher Gewerbe und Dienste werden uns vorgeführt, die ans verschiedenen Gründen in Deutschland unterhalb der guten ehrlichen Gesellschaft standen. So finden wir Hirten, Spielleute, Bader und Barbier, Leinweber, Bettelvögte, Nachtwächter, Schergen, Scharfrichter u. a., die mit ihren Angehörigen der sozialen Geringschätzung verfallen waren; wir sehen diese Geringschätzung in Beispielen aus dem damaligen Leben, wir erfreuen uns der obrigkeitlichen Bemühungen, mehreren dieser Klassen von Unehrlichen ihren Makel abzunehmen, und bemerken mit Erstaunen, wie schwer diese Bemühungen gegenüber dem Vvlksgefühl durchgesetzt werden. Dabei lernen wir eine Menge kulturgeschichtlicher Einzelheiten kennen, sogar ein Stück Volks¬ litteratur. Einen versöhnlichen Abschluß giebt der Verfasser seinem Buche dnrch den Abschnitt vom,,Ehrlichsprechen," denn allerdings gelang es zuweilen und mit der Zeit immer mehr, daß sowohl einzelne als auch Klassen von Unehrlichen bei günstiger Gelegenheit vom Kaiser oder andern Obrigkeiten emporgehoben wurden, sogar Scharfrichter. Und so ist es uns bei diesen letzten lebhaft ausgemalten Ge¬ schichten, als sei das meiste, was wir zuvor an Verdrießlichem gelesen haben, ein böser Traum gewesen, halb in Vergessenheit geraten durch das erfreuliche Licht des hellen Tages. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Carl Marquart in Leipzig

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/448
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/448>, abgerufen am 28.06.2024.