Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Harte Köpfe
Erzählung von E. Lndde
, 1

urze Zeit,, nachdem ich mich als Arzt in Aachen niedergelassen
hatte, lernte ich den Mann kennen, der nur als der bedeutendste
unter meinen dortigen Kollegen erschien. Er hieß Vennrius,
hatte in den siebziger Jahren durch ebeu so geistvolle wie be¬
schwerliche Untersuchungen über südafrikanische Seuchen sich einen
Namen gemacht, dann aber, in die Heimat zurückgekehrt, mit Vorliebe die
Chirurgie gepflegt. Man weiß doch- einigermaßen genau, was man thut,
wenn man operirt, sagte er, und charakterisirte damit nicht bloß die Spezial¬
Wissenschaft, der er sich ergeben hatte, sondern mehr noch sich selbst. Denn
das merkte der stumpfste, der mit ihm in Berührung kam, sofort: er war
ein ganzer, bis zur Einseitigkeit konsequenter Mann, einer von den wenigen,
die von vorn herein mit allen Folgen ihres Handelns rechnen und deshalb
weder schwanken noch bereue". Einem solchen ist es Bedürfnis, jederzeit zu
wissen, was er thut. Er war jünger als ich, etwa 36 Jahre alt, im äußern
eine kräftige Erscheinung von einer Ruhe, die den schwierigsten Kranken un¬
weigerlich zur Unterwerfung brachte. Daß er mit ebeu dieser Ruhe auch den
Damen imponirte, schien er wohl zu bemerken, aber nur daun, wenn es sich
darum handelte, aufgeregte Angehörige zu schweigender Thätigkeit zu ver¬
anlassen; im übrigen hatte er für weibliche Zuvorkommenheiten meist uur ein
etwas pessinnstisches Lächeln. Meine gute, lebhafte Frau, eine große Freundin
des Ehestistens, fragte ihn einmal über der Theetasse: Doktor, haben Sie nie
daran gedacht, sich zu verheiraten? Da antwortete er: O ja, aber ich bin
davon zurückgekommen, und das wieder mit so ruhiger Bestimmtheit, daß ihr
selbst der Mut verging, ihn weiter auszufragen.

Jetzt ist er gestorben, im Dienst, an Blutvergiftung, und ich kann deshalb
erzählen, wie ich durch ihn einen Blick in den Kampf des Mannes mit dem




Harte Köpfe
Erzählung von E. Lndde
, 1

urze Zeit,, nachdem ich mich als Arzt in Aachen niedergelassen
hatte, lernte ich den Mann kennen, der nur als der bedeutendste
unter meinen dortigen Kollegen erschien. Er hieß Vennrius,
hatte in den siebziger Jahren durch ebeu so geistvolle wie be¬
schwerliche Untersuchungen über südafrikanische Seuchen sich einen
Namen gemacht, dann aber, in die Heimat zurückgekehrt, mit Vorliebe die
Chirurgie gepflegt. Man weiß doch- einigermaßen genau, was man thut,
wenn man operirt, sagte er, und charakterisirte damit nicht bloß die Spezial¬
Wissenschaft, der er sich ergeben hatte, sondern mehr noch sich selbst. Denn
das merkte der stumpfste, der mit ihm in Berührung kam, sofort: er war
ein ganzer, bis zur Einseitigkeit konsequenter Mann, einer von den wenigen,
die von vorn herein mit allen Folgen ihres Handelns rechnen und deshalb
weder schwanken noch bereue«. Einem solchen ist es Bedürfnis, jederzeit zu
wissen, was er thut. Er war jünger als ich, etwa 36 Jahre alt, im äußern
eine kräftige Erscheinung von einer Ruhe, die den schwierigsten Kranken un¬
weigerlich zur Unterwerfung brachte. Daß er mit ebeu dieser Ruhe auch den
Damen imponirte, schien er wohl zu bemerken, aber nur daun, wenn es sich
darum handelte, aufgeregte Angehörige zu schweigender Thätigkeit zu ver¬
anlassen; im übrigen hatte er für weibliche Zuvorkommenheiten meist uur ein
etwas pessinnstisches Lächeln. Meine gute, lebhafte Frau, eine große Freundin
des Ehestistens, fragte ihn einmal über der Theetasse: Doktor, haben Sie nie
daran gedacht, sich zu verheiraten? Da antwortete er: O ja, aber ich bin
davon zurückgekommen, und das wieder mit so ruhiger Bestimmtheit, daß ihr
selbst der Mut verging, ihn weiter auszufragen.

Jetzt ist er gestorben, im Dienst, an Blutvergiftung, und ich kann deshalb
erzählen, wie ich durch ihn einen Blick in den Kampf des Mannes mit dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0432" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204521"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341849_204088/figures/grenzboten_341849_204088_204521_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Harte Köpfe<lb/><note type="byline"> Erzählung von E. Lndde</note></head><lb/>
          <div n="2">
            <head> , 1</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1382"> urze Zeit,, nachdem ich mich als Arzt in Aachen niedergelassen<lb/>
hatte, lernte ich den Mann kennen, der nur als der bedeutendste<lb/>
unter meinen dortigen Kollegen erschien. Er hieß Vennrius,<lb/>
hatte in den siebziger Jahren durch ebeu so geistvolle wie be¬<lb/>
schwerliche Untersuchungen über südafrikanische Seuchen sich einen<lb/>
Namen gemacht, dann aber, in die Heimat zurückgekehrt, mit Vorliebe die<lb/>
Chirurgie gepflegt. Man weiß doch- einigermaßen genau, was man thut,<lb/>
wenn man operirt, sagte er, und charakterisirte damit nicht bloß die Spezial¬<lb/>
Wissenschaft, der er sich ergeben hatte, sondern mehr noch sich selbst. Denn<lb/>
das merkte der stumpfste, der mit ihm in Berührung kam, sofort: er war<lb/>
ein ganzer, bis zur Einseitigkeit konsequenter Mann, einer von den wenigen,<lb/>
die von vorn herein mit allen Folgen ihres Handelns rechnen und deshalb<lb/>
weder schwanken noch bereue«. Einem solchen ist es Bedürfnis, jederzeit zu<lb/>
wissen, was er thut. Er war jünger als ich, etwa 36 Jahre alt, im äußern<lb/>
eine kräftige Erscheinung von einer Ruhe, die den schwierigsten Kranken un¬<lb/>
weigerlich zur Unterwerfung brachte. Daß er mit ebeu dieser Ruhe auch den<lb/>
Damen imponirte, schien er wohl zu bemerken, aber nur daun, wenn es sich<lb/>
darum handelte, aufgeregte Angehörige zu schweigender Thätigkeit zu ver¬<lb/>
anlassen; im übrigen hatte er für weibliche Zuvorkommenheiten meist uur ein<lb/>
etwas pessinnstisches Lächeln. Meine gute, lebhafte Frau, eine große Freundin<lb/>
des Ehestistens, fragte ihn einmal über der Theetasse: Doktor, haben Sie nie<lb/>
daran gedacht, sich zu verheiraten? Da antwortete er: O ja, aber ich bin<lb/>
davon zurückgekommen, und das wieder mit so ruhiger Bestimmtheit, daß ihr<lb/>
selbst der Mut verging, ihn weiter auszufragen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1383" next="#ID_1384"> Jetzt ist er gestorben, im Dienst, an Blutvergiftung, und ich kann deshalb<lb/>
erzählen, wie ich durch ihn einen Blick in den Kampf des Mannes mit dem</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0432] [Abbildung] Harte Köpfe Erzählung von E. Lndde , 1 urze Zeit,, nachdem ich mich als Arzt in Aachen niedergelassen hatte, lernte ich den Mann kennen, der nur als der bedeutendste unter meinen dortigen Kollegen erschien. Er hieß Vennrius, hatte in den siebziger Jahren durch ebeu so geistvolle wie be¬ schwerliche Untersuchungen über südafrikanische Seuchen sich einen Namen gemacht, dann aber, in die Heimat zurückgekehrt, mit Vorliebe die Chirurgie gepflegt. Man weiß doch- einigermaßen genau, was man thut, wenn man operirt, sagte er, und charakterisirte damit nicht bloß die Spezial¬ Wissenschaft, der er sich ergeben hatte, sondern mehr noch sich selbst. Denn das merkte der stumpfste, der mit ihm in Berührung kam, sofort: er war ein ganzer, bis zur Einseitigkeit konsequenter Mann, einer von den wenigen, die von vorn herein mit allen Folgen ihres Handelns rechnen und deshalb weder schwanken noch bereue«. Einem solchen ist es Bedürfnis, jederzeit zu wissen, was er thut. Er war jünger als ich, etwa 36 Jahre alt, im äußern eine kräftige Erscheinung von einer Ruhe, die den schwierigsten Kranken un¬ weigerlich zur Unterwerfung brachte. Daß er mit ebeu dieser Ruhe auch den Damen imponirte, schien er wohl zu bemerken, aber nur daun, wenn es sich darum handelte, aufgeregte Angehörige zu schweigender Thätigkeit zu ver¬ anlassen; im übrigen hatte er für weibliche Zuvorkommenheiten meist uur ein etwas pessinnstisches Lächeln. Meine gute, lebhafte Frau, eine große Freundin des Ehestistens, fragte ihn einmal über der Theetasse: Doktor, haben Sie nie daran gedacht, sich zu verheiraten? Da antwortete er: O ja, aber ich bin davon zurückgekommen, und das wieder mit so ruhiger Bestimmtheit, daß ihr selbst der Mut verging, ihn weiter auszufragen. Jetzt ist er gestorben, im Dienst, an Blutvergiftung, und ich kann deshalb erzählen, wie ich durch ihn einen Blick in den Kampf des Mannes mit dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/432
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/432>, abgerufen am 28.06.2024.