Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches seiner Geliebten treu zu bleiben, denn die Prosa zerstörte sein Idealbild und Doch genug der Andeutungen. Wer Grillparzer kennt, wird Volkelts aus ?ost loseren. (Ein Nachwort zum Rückerttage.) Hermann Grimm, bei dem Maßgebliches und Unmaßgebliches seiner Geliebten treu zu bleiben, denn die Prosa zerstörte sein Idealbild und Doch genug der Andeutungen. Wer Grillparzer kennt, wird Volkelts aus ?ost loseren. (Ein Nachwort zum Rückerttage.) Hermann Grimm, bei dem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0250" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204339"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_814" prev="#ID_813"> seiner Geliebten treu zu bleiben, denn die Prosa zerstörte sein Idealbild und<lb/> damit seiue Gefühle für die wirkliche Person. Er geriet zuweilen in eine solche<lb/> Schwäche, daß er sich nicht zur kleinsten Handlung aufraffen konnte: einen einge-<lb/> laufnen Brief fürchtete er sich zu öffnen u. dergl. in. Dabei war aber sein Sinn<lb/> immer auf die Kunst gerichtet; einzig und allein die Poesie war ihm Lebenszweck und<lb/> Wert, und nur der Unsterblichkeit würdige Werke wollte er schaffen, er ließ garnichts<lb/> drucken, was nicht die höchsten Ansprüche erheben oder befriedigen konnte. Er<lb/> war ewig mit sich selbst unzufrieden und krittelte an seinen besten Leistungen, wie<lb/> der „Hero," selbstquälerisch herum. Das ist das Bild seines tragischen Charakters,<lb/> aus dem sich seine dichterischen Motive, seine Geschöpfe, seine Weltanschauung er¬<lb/> klären lassen. Weil er selbst solch ein der Wirklichkeit nicht gewachsener Mensch<lb/> war, darum empfand er die Tragik in der Ohnmacht des Einzelnen gegenüber<lb/> der Welt. Er sah eine Notwendigkeit, gegen die die Freiheit nicht auszukommen<lb/> vermochte, er fühlte das Walten eines Schicksals, das sich wenig um den Gerechten<lb/> kümmert. (Man könnte hier auch ans die Verwandschaft Turgenjews mit Grill-<lb/> parzer verweisen; denn in dieser Anschauung stimmen sie völlig überein.) Hier<lb/> setzt Volkelt ein, um den Nachweis zu führen, daß die Schicksalsidee in der Ahn-<lb/> frau keineswegs bloß auf äußere Eindrücke der Zeit, auf die litterarische Mode der<lb/> zwanziger Jahre zurückzuführen sei, sondern daß schon in dem Jugendwerke sich des<lb/> Dichters Charakter keimend offenbart habe. Ganz eng mit diesem Wesen hängt unter<lb/> anderm Grillpnrzers Auffassung der Liebesleidenschaft, als eines blitzartig wirkenden<lb/> Zaubers zusammen. Sehr glücklich weist auch hier Volkelt die Verwandtschaft des<lb/> Dichters mit Schopenhauers Metaphysik der Liebe nach und zieht die herrliche<lb/> Liebestragödie der Hero als besonders schlagendes Beispiel heran. Und noch<lb/> weiter ging die Verwandtschaft: beide Männer waren Feinde der Geschichtsphilo-<lb/> sophie und ihres Begründers Hegel. Grillparzer war Individualist, weil er<lb/> Künstler war.</p><lb/> <p xml:id="ID_815"> Doch genug der Andeutungen. Wer Grillparzer kennt, wird Volkelts aus<lb/> einer jahrelangen Lektüre des Dichters hervorgegangene Studie mit großen Nutzen<lb/> lesen, wenn auch ihre abstrakte Prosa sich schwieriger liest als die Gegenständlich¬<lb/> keit des Historikers Sauer. Beide haben sich viel Verdienste um den Dichter<lb/> erworben, er hat endlich, nachdem er sein ganzes Leben hindurch unter den Schäden<lb/> einer unverständigen Kritik zu leiden gehabt hatte, seine berufenen Herausgeber<lb/> und Kritiker gefunden. Mögen diese so viel Gutes stiften, als die unberufner<lb/> Rezensenten früher Unheil angerichtet haben.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> ?ost loseren. (Ein Nachwort zum Rückerttage.)</head> <p xml:id="ID_816" next="#ID_817"> Hermann Grimm, bei dem<lb/> man gewohnt ist, in einem wogenden Tumulte von allerhand Gcistreichigkeiteu<lb/> manch scharf gedachtes, warm und frisch empfundenes, manches ehrliche und un¬<lb/> erschrockene Wort zu finden, läßt sich im Maihcfte der Deutschen Rundschau über<lb/> Rückert vernehmen. Es ist, wie alles bei Grimm, stark subjektiv gefärbt, Rückert,<lb/> wie „ich" ihn mir vorstelle. Dagegen wäre nichts zu sagen. Auch trifft ja die<lb/> Schilderung des so energisch sich befördernden im ganzen zu. Aber ist es ganz<lb/> richtig, wenn das für sich stehen eines solchen Menschen, der mit feinem Ohre<lb/> jede Geistesstimme seiner Zeit erlauschte, in dessen Herzen jede Regung des Volks-<lb/> gemütes nachzitterte, als das Ergebnis seiner Anlage nicht uur, sondern auch als<lb/> seine eigentliche Tendenz erscheint? Ich meine, es sei denn doch zweierlei, dem<lb/> widerwärtigen Treiben der politischen Parteien und litterarischen Cliquen, dem<lb/> gesellschaftlichen cloleo Air nisut« sich seitab halten und auf die Wirkung ins Weite</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0250]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
seiner Geliebten treu zu bleiben, denn die Prosa zerstörte sein Idealbild und
damit seiue Gefühle für die wirkliche Person. Er geriet zuweilen in eine solche
Schwäche, daß er sich nicht zur kleinsten Handlung aufraffen konnte: einen einge-
laufnen Brief fürchtete er sich zu öffnen u. dergl. in. Dabei war aber sein Sinn
immer auf die Kunst gerichtet; einzig und allein die Poesie war ihm Lebenszweck und
Wert, und nur der Unsterblichkeit würdige Werke wollte er schaffen, er ließ garnichts
drucken, was nicht die höchsten Ansprüche erheben oder befriedigen konnte. Er
war ewig mit sich selbst unzufrieden und krittelte an seinen besten Leistungen, wie
der „Hero," selbstquälerisch herum. Das ist das Bild seines tragischen Charakters,
aus dem sich seine dichterischen Motive, seine Geschöpfe, seine Weltanschauung er¬
klären lassen. Weil er selbst solch ein der Wirklichkeit nicht gewachsener Mensch
war, darum empfand er die Tragik in der Ohnmacht des Einzelnen gegenüber
der Welt. Er sah eine Notwendigkeit, gegen die die Freiheit nicht auszukommen
vermochte, er fühlte das Walten eines Schicksals, das sich wenig um den Gerechten
kümmert. (Man könnte hier auch ans die Verwandschaft Turgenjews mit Grill-
parzer verweisen; denn in dieser Anschauung stimmen sie völlig überein.) Hier
setzt Volkelt ein, um den Nachweis zu führen, daß die Schicksalsidee in der Ahn-
frau keineswegs bloß auf äußere Eindrücke der Zeit, auf die litterarische Mode der
zwanziger Jahre zurückzuführen sei, sondern daß schon in dem Jugendwerke sich des
Dichters Charakter keimend offenbart habe. Ganz eng mit diesem Wesen hängt unter
anderm Grillpnrzers Auffassung der Liebesleidenschaft, als eines blitzartig wirkenden
Zaubers zusammen. Sehr glücklich weist auch hier Volkelt die Verwandtschaft des
Dichters mit Schopenhauers Metaphysik der Liebe nach und zieht die herrliche
Liebestragödie der Hero als besonders schlagendes Beispiel heran. Und noch
weiter ging die Verwandtschaft: beide Männer waren Feinde der Geschichtsphilo-
sophie und ihres Begründers Hegel. Grillparzer war Individualist, weil er
Künstler war.
Doch genug der Andeutungen. Wer Grillparzer kennt, wird Volkelts aus
einer jahrelangen Lektüre des Dichters hervorgegangene Studie mit großen Nutzen
lesen, wenn auch ihre abstrakte Prosa sich schwieriger liest als die Gegenständlich¬
keit des Historikers Sauer. Beide haben sich viel Verdienste um den Dichter
erworben, er hat endlich, nachdem er sein ganzes Leben hindurch unter den Schäden
einer unverständigen Kritik zu leiden gehabt hatte, seine berufenen Herausgeber
und Kritiker gefunden. Mögen diese so viel Gutes stiften, als die unberufner
Rezensenten früher Unheil angerichtet haben.
?ost loseren. (Ein Nachwort zum Rückerttage.) Hermann Grimm, bei dem
man gewohnt ist, in einem wogenden Tumulte von allerhand Gcistreichigkeiteu
manch scharf gedachtes, warm und frisch empfundenes, manches ehrliche und un¬
erschrockene Wort zu finden, läßt sich im Maihcfte der Deutschen Rundschau über
Rückert vernehmen. Es ist, wie alles bei Grimm, stark subjektiv gefärbt, Rückert,
wie „ich" ihn mir vorstelle. Dagegen wäre nichts zu sagen. Auch trifft ja die
Schilderung des so energisch sich befördernden im ganzen zu. Aber ist es ganz
richtig, wenn das für sich stehen eines solchen Menschen, der mit feinem Ohre
jede Geistesstimme seiner Zeit erlauschte, in dessen Herzen jede Regung des Volks-
gemütes nachzitterte, als das Ergebnis seiner Anlage nicht uur, sondern auch als
seine eigentliche Tendenz erscheint? Ich meine, es sei denn doch zweierlei, dem
widerwärtigen Treiben der politischen Parteien und litterarischen Cliquen, dem
gesellschaftlichen cloleo Air nisut« sich seitab halten und auf die Wirkung ins Weite
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |