Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Renaissance in der deutschen Dichtung.

der Zukunft hin, zu dem eben der Traumrausch hindrängt für eine Neugestaltung
und Wiedergeburt der Welt nach den Traumbildern, auch politisch. Den Wende¬
punkt in der Richtung der jungen Geister, allerdings eben wacker vorbereitet
mitten in der ästhetischen und philosophischen Ideenwelt, bezeichnet auch sein
goldnes Wort "leben die Bücher bald?" das Wohl noch auf Jahrhunderte hin
als mahnendes Motto hoch über all unsrer Gedankenarbeit dienlich oder nötig
wäre, in einer Ode "an die Deutschen":


spottet ja nicht des Klubs, wenn es mit Peitsch' und Sporn
Auf dem Rosse bon Holz muthig und groß sich dünkt.
Denn ihr Deutsche, auch ihr seid
Thatcnarm und gedankenvoll.
Oder kömmt, wie der Strahl aus dem Gewölke kömmt,
Aus Gedanken die That? Leben die Bücher bald?
O ihr Lieben, so nehmt mich,
Daß ich büße die Lästerung!

Und so geschah es, die That kam aus dem Gedanken, wie der Strahl aus
des Himmels Wolken, als die Zeit erfüllet war. Die ganze deutsche Dichter¬
welt, die unsrer großen Philosophen und Tondichter nicht zu vergessen, war
doch wie eine große Prophetie für ein neues Leben, nicht für uns bloß, son¬
dern für die Welt, wie auch das Ausland rings herum immer mehr empfindet
und anerkennt. Zunächst aber auf uns, für ein neues Leben, welches den Namen
Leben verdiente und ohne welches auch das höhere Leben fest und dauernd
nicht möglich ist. (Schluß folgt.)




Die Renaissance in der deutschen Dichtung.

enden die "Renaisscinee" Mode geworden ist, wird das Wort,
das früher nur eine bestimmte, zeitlich begrenzte kunstgeschichtliche
Bedeutung hatte, auf alles mögliche angewandt. Man verbindet
mit allen künstlerischen Erscheinungen vom fünfzehnten bis ins
siebzehnte Jahrhundert den Namen "Renaissance," jeder unbequeme
. hochrückige Lehnstuhl, jeder messingene oder schmiedeeiserne Leuchter,
der sich in Technik oder Form an ältere Vorbilder anlehnt, wird durch dieses Wort,
das einen gewissen künstlerischen Glanz ausstrahlt, gleichsam geadelt, und während
unser Kunstgewerbe mit raschen Schritten die Jahrhunderte durcheilt und nach
kurzem Verweilen bei den edleren Formen des fünfzehnten und sechzehnten
Jahrhunderts bereits völlig in die Fluten des Barockstils, der den Neigungen
und dem Geschmacke unsrer Geldaristokratie begreiflicherweise mehr entspricht,
untergetaucht ist, bleibt doch der einmal lieb gewonnene, vornehm klingende
Name "Nencnssanee" in aller Munde.

In der Geschichte der Wissenschaften und der bildenden Künste bezeichnet
das Wort zweierlei. Einmal den Vorgang der Wiedergeburt des klassischen


Die Renaissance in der deutschen Dichtung.

der Zukunft hin, zu dem eben der Traumrausch hindrängt für eine Neugestaltung
und Wiedergeburt der Welt nach den Traumbildern, auch politisch. Den Wende¬
punkt in der Richtung der jungen Geister, allerdings eben wacker vorbereitet
mitten in der ästhetischen und philosophischen Ideenwelt, bezeichnet auch sein
goldnes Wort „leben die Bücher bald?" das Wohl noch auf Jahrhunderte hin
als mahnendes Motto hoch über all unsrer Gedankenarbeit dienlich oder nötig
wäre, in einer Ode „an die Deutschen":


spottet ja nicht des Klubs, wenn es mit Peitsch' und Sporn
Auf dem Rosse bon Holz muthig und groß sich dünkt.
Denn ihr Deutsche, auch ihr seid
Thatcnarm und gedankenvoll.
Oder kömmt, wie der Strahl aus dem Gewölke kömmt,
Aus Gedanken die That? Leben die Bücher bald?
O ihr Lieben, so nehmt mich,
Daß ich büße die Lästerung!

Und so geschah es, die That kam aus dem Gedanken, wie der Strahl aus
des Himmels Wolken, als die Zeit erfüllet war. Die ganze deutsche Dichter¬
welt, die unsrer großen Philosophen und Tondichter nicht zu vergessen, war
doch wie eine große Prophetie für ein neues Leben, nicht für uns bloß, son¬
dern für die Welt, wie auch das Ausland rings herum immer mehr empfindet
und anerkennt. Zunächst aber auf uns, für ein neues Leben, welches den Namen
Leben verdiente und ohne welches auch das höhere Leben fest und dauernd
nicht möglich ist. (Schluß folgt.)




Die Renaissance in der deutschen Dichtung.

enden die „Renaisscinee" Mode geworden ist, wird das Wort,
das früher nur eine bestimmte, zeitlich begrenzte kunstgeschichtliche
Bedeutung hatte, auf alles mögliche angewandt. Man verbindet
mit allen künstlerischen Erscheinungen vom fünfzehnten bis ins
siebzehnte Jahrhundert den Namen „Renaissance," jeder unbequeme
. hochrückige Lehnstuhl, jeder messingene oder schmiedeeiserne Leuchter,
der sich in Technik oder Form an ältere Vorbilder anlehnt, wird durch dieses Wort,
das einen gewissen künstlerischen Glanz ausstrahlt, gleichsam geadelt, und während
unser Kunstgewerbe mit raschen Schritten die Jahrhunderte durcheilt und nach
kurzem Verweilen bei den edleren Formen des fünfzehnten und sechzehnten
Jahrhunderts bereits völlig in die Fluten des Barockstils, der den Neigungen
und dem Geschmacke unsrer Geldaristokratie begreiflicherweise mehr entspricht,
untergetaucht ist, bleibt doch der einmal lieb gewonnene, vornehm klingende
Name „Nencnssanee" in aller Munde.

In der Geschichte der Wissenschaften und der bildenden Künste bezeichnet
das Wort zweierlei. Einmal den Vorgang der Wiedergeburt des klassischen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0088" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289211"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Renaissance in der deutschen Dichtung.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_326" prev="#ID_325" next="#ID_327"> der Zukunft hin, zu dem eben der Traumrausch hindrängt für eine Neugestaltung<lb/>
und Wiedergeburt der Welt nach den Traumbildern, auch politisch. Den Wende¬<lb/>
punkt in der Richtung der jungen Geister, allerdings eben wacker vorbereitet<lb/>
mitten in der ästhetischen und philosophischen Ideenwelt, bezeichnet auch sein<lb/>
goldnes Wort &#x201E;leben die Bücher bald?" das Wohl noch auf Jahrhunderte hin<lb/>
als mahnendes Motto hoch über all unsrer Gedankenarbeit dienlich oder nötig<lb/>
wäre, in einer Ode &#x201E;an die Deutschen":</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_30" type="poem">
              <l> spottet ja nicht des Klubs, wenn es mit Peitsch' und Sporn<lb/>
Auf dem Rosse bon Holz muthig und groß sich dünkt.<lb/>
Denn ihr Deutsche, auch ihr seid<lb/>
Thatcnarm und gedankenvoll.<lb/>
Oder kömmt, wie der Strahl aus dem Gewölke kömmt,<lb/>
Aus Gedanken die That? Leben die Bücher bald?<lb/>
O ihr Lieben, so nehmt mich,<lb/>
Daß ich büße die Lästerung!<lb/></l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_327" prev="#ID_326"> Und so geschah es, die That kam aus dem Gedanken, wie der Strahl aus<lb/>
des Himmels Wolken, als die Zeit erfüllet war. Die ganze deutsche Dichter¬<lb/>
welt, die unsrer großen Philosophen und Tondichter nicht zu vergessen, war<lb/>
doch wie eine große Prophetie für ein neues Leben, nicht für uns bloß, son¬<lb/>
dern für die Welt, wie auch das Ausland rings herum immer mehr empfindet<lb/>
und anerkennt. Zunächst aber auf uns, für ein neues Leben, welches den Namen<lb/>
Leben verdiente und ohne welches auch das höhere Leben fest und dauernd<lb/>
nicht möglich ist. (Schluß folgt.)</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Renaissance in der deutschen Dichtung.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_328"> enden die &#x201E;Renaisscinee" Mode geworden ist, wird das Wort,<lb/>
das früher nur eine bestimmte, zeitlich begrenzte kunstgeschichtliche<lb/>
Bedeutung hatte, auf alles mögliche angewandt. Man verbindet<lb/>
mit allen künstlerischen Erscheinungen vom fünfzehnten bis ins<lb/>
siebzehnte Jahrhundert den Namen &#x201E;Renaissance," jeder unbequeme<lb/>
. hochrückige Lehnstuhl, jeder messingene oder schmiedeeiserne Leuchter,<lb/>
der sich in Technik oder Form an ältere Vorbilder anlehnt, wird durch dieses Wort,<lb/>
das einen gewissen künstlerischen Glanz ausstrahlt, gleichsam geadelt, und während<lb/>
unser Kunstgewerbe mit raschen Schritten die Jahrhunderte durcheilt und nach<lb/>
kurzem Verweilen bei den edleren Formen des fünfzehnten und sechzehnten<lb/>
Jahrhunderts bereits völlig in die Fluten des Barockstils, der den Neigungen<lb/>
und dem Geschmacke unsrer Geldaristokratie begreiflicherweise mehr entspricht,<lb/>
untergetaucht ist, bleibt doch der einmal lieb gewonnene, vornehm klingende<lb/>
Name &#x201E;Nencnssanee" in aller Munde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_329" next="#ID_330"> In der Geschichte der Wissenschaften und der bildenden Künste bezeichnet<lb/>
das Wort zweierlei.  Einmal den Vorgang der Wiedergeburt des klassischen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0088] Die Renaissance in der deutschen Dichtung. der Zukunft hin, zu dem eben der Traumrausch hindrängt für eine Neugestaltung und Wiedergeburt der Welt nach den Traumbildern, auch politisch. Den Wende¬ punkt in der Richtung der jungen Geister, allerdings eben wacker vorbereitet mitten in der ästhetischen und philosophischen Ideenwelt, bezeichnet auch sein goldnes Wort „leben die Bücher bald?" das Wohl noch auf Jahrhunderte hin als mahnendes Motto hoch über all unsrer Gedankenarbeit dienlich oder nötig wäre, in einer Ode „an die Deutschen": spottet ja nicht des Klubs, wenn es mit Peitsch' und Sporn Auf dem Rosse bon Holz muthig und groß sich dünkt. Denn ihr Deutsche, auch ihr seid Thatcnarm und gedankenvoll. Oder kömmt, wie der Strahl aus dem Gewölke kömmt, Aus Gedanken die That? Leben die Bücher bald? O ihr Lieben, so nehmt mich, Daß ich büße die Lästerung! Und so geschah es, die That kam aus dem Gedanken, wie der Strahl aus des Himmels Wolken, als die Zeit erfüllet war. Die ganze deutsche Dichter¬ welt, die unsrer großen Philosophen und Tondichter nicht zu vergessen, war doch wie eine große Prophetie für ein neues Leben, nicht für uns bloß, son¬ dern für die Welt, wie auch das Ausland rings herum immer mehr empfindet und anerkennt. Zunächst aber auf uns, für ein neues Leben, welches den Namen Leben verdiente und ohne welches auch das höhere Leben fest und dauernd nicht möglich ist. (Schluß folgt.) Die Renaissance in der deutschen Dichtung. enden die „Renaisscinee" Mode geworden ist, wird das Wort, das früher nur eine bestimmte, zeitlich begrenzte kunstgeschichtliche Bedeutung hatte, auf alles mögliche angewandt. Man verbindet mit allen künstlerischen Erscheinungen vom fünfzehnten bis ins siebzehnte Jahrhundert den Namen „Renaissance," jeder unbequeme . hochrückige Lehnstuhl, jeder messingene oder schmiedeeiserne Leuchter, der sich in Technik oder Form an ältere Vorbilder anlehnt, wird durch dieses Wort, das einen gewissen künstlerischen Glanz ausstrahlt, gleichsam geadelt, und während unser Kunstgewerbe mit raschen Schritten die Jahrhunderte durcheilt und nach kurzem Verweilen bei den edleren Formen des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts bereits völlig in die Fluten des Barockstils, der den Neigungen und dem Geschmacke unsrer Geldaristokratie begreiflicherweise mehr entspricht, untergetaucht ist, bleibt doch der einmal lieb gewonnene, vornehm klingende Name „Nencnssanee" in aller Munde. In der Geschichte der Wissenschaften und der bildenden Künste bezeichnet das Wort zweierlei. Einmal den Vorgang der Wiedergeburt des klassischen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/88
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/88>, abgerufen am 22.07.2024.