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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben.

diesem Gebiete, wie etwa mit Diderots Rezensionen der Pariser Salons von
1737 bis 1766, schon eher befreunden können. Daß Winckelmann dann den
Künstlern seiner Zeit und ihrem welschen Ungeschmack energisch den Standpunkt
klar 'wachte, ist den Jüngern seiner Wissenschaft, den Kunstgelehrten, namentlich
in Deutschland, ein verhängnisvolles Erbe geworden. Der Gegensatz zwischen
"Kunstschreibcrn und Künstlern" ist seitdem nie wieder ganz von der Bildfläche ver¬
schwunden, nur daß in jüngster Zeit die Künstler auch zur Feder gegriffen
haben, statt ihre Gegner mit dem Pinsel aus dem Felde zu schlagen. Schon
1833 erschienen "Drei Schreiben ans Rom gegen Kunstschreiberei in Deutsch¬
land," und ein so thörichtes Pamphlet wie Karl Hoffs "Künstler und Kunst¬
schreiber" erlebte noch vor fünf Jahren zwei Auflagen. Wenn wir auch nicht
mehr ganz das Wort des Altdorfer Professors Diltherr aus dem siebzehnten
Jahrhundert auf unsre Tage anwenden können: Hmsyuis xiotorum nostro-
rum ruäitatöm volusrit oorriAero, is xroteoto otium üksvöravkrit omniun": acleo
insrucliti sunt xlsriciuo, acloo ovAnitionsin oinnsin anticiuitatis turviter ad-
^'se-srunt, so besteht doch auch heute noch der Ausspruch des alten kunsterfahrenen
Cassiodor zu Recht: NaZvg, g.rs est, contra artilloes locM et axuä illos all^uta
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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben.
15. nervöse Leute.

rlcmben Sie mal: Rom ist untergegangen, aber nicht am Kaisertum.
Was diese römische Republik angeht -- mein Gott, das waren keine
großen Zeiten. Dieser alte Cicero kommt mir vor wie einer unsrer
guten Revolutionäre der achtundvierziger Schule, der über die beste
der Staatsformen leitartikelt. Fragen Sie Mommsen. Nein, mein
Lieber, Roms Blüte beginnt mit Augustus und der Errichtung des
Reiches -- schade, daß wir nicht auch einen Kanzler in Parallele zu stellen haben.
Rom ist nicht an diesem Reiche, sondern an den Nerven untergegangen. Wahr¬
haftig. Verbrauchte, nervös ruinirte Leute und unsre Naturmenschen von Ger¬
manen, das giebt ungleichen Kampf und bedeutet das Ende vom Liede.

Und passen Sie mal ans, uns wirds gerade so gehen. Eugen und Konsorten
werden das Reich weder retten noch stürzen, aber die verfluchten Nerven. Daran
gehen wir zu Grunde. Unsre Zeit ist groß, aber mit den Nerven kommen wir
alle Jahre mehr herunter.

Sie meinen, ich übertreibe. Nicht die Idee! Die Nervosität ist nicht mehr
eine Krankheit einzelner alter Damen, die nichts zu thun haben, es ist eine Volks-


Skizzen aus unserm heutigen Volksleben.

diesem Gebiete, wie etwa mit Diderots Rezensionen der Pariser Salons von
1737 bis 1766, schon eher befreunden können. Daß Winckelmann dann den
Künstlern seiner Zeit und ihrem welschen Ungeschmack energisch den Standpunkt
klar 'wachte, ist den Jüngern seiner Wissenschaft, den Kunstgelehrten, namentlich
in Deutschland, ein verhängnisvolles Erbe geworden. Der Gegensatz zwischen
„Kunstschreibcrn und Künstlern" ist seitdem nie wieder ganz von der Bildfläche ver¬
schwunden, nur daß in jüngster Zeit die Künstler auch zur Feder gegriffen
haben, statt ihre Gegner mit dem Pinsel aus dem Felde zu schlagen. Schon
1833 erschienen „Drei Schreiben ans Rom gegen Kunstschreiberei in Deutsch¬
land," und ein so thörichtes Pamphlet wie Karl Hoffs „Künstler und Kunst¬
schreiber" erlebte noch vor fünf Jahren zwei Auflagen. Wenn wir auch nicht
mehr ganz das Wort des Altdorfer Professors Diltherr aus dem siebzehnten
Jahrhundert auf unsre Tage anwenden können: Hmsyuis xiotorum nostro-
rum ruäitatöm volusrit oorriAero, is xroteoto otium üksvöravkrit omniun»: acleo
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^'se-srunt, so besteht doch auch heute noch der Ausspruch des alten kunsterfahrenen
Cassiodor zu Recht: NaZvg, g.rs est, contra artilloes locM et axuä illos all^uta
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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben.
15. nervöse Leute.

rlcmben Sie mal: Rom ist untergegangen, aber nicht am Kaisertum.
Was diese römische Republik angeht — mein Gott, das waren keine
großen Zeiten. Dieser alte Cicero kommt mir vor wie einer unsrer
guten Revolutionäre der achtundvierziger Schule, der über die beste
der Staatsformen leitartikelt. Fragen Sie Mommsen. Nein, mein
Lieber, Roms Blüte beginnt mit Augustus und der Errichtung des
Reiches — schade, daß wir nicht auch einen Kanzler in Parallele zu stellen haben.
Rom ist nicht an diesem Reiche, sondern an den Nerven untergegangen. Wahr¬
haftig. Verbrauchte, nervös ruinirte Leute und unsre Naturmenschen von Ger¬
manen, das giebt ungleichen Kampf und bedeutet das Ende vom Liede.

Und passen Sie mal ans, uns wirds gerade so gehen. Eugen und Konsorten
werden das Reich weder retten noch stürzen, aber die verfluchten Nerven. Daran
gehen wir zu Grunde. Unsre Zeit ist groß, aber mit den Nerven kommen wir
alle Jahre mehr herunter.

Sie meinen, ich übertreibe. Nicht die Idee! Die Nervosität ist nicht mehr
eine Krankheit einzelner alter Damen, die nichts zu thun haben, es ist eine Volks-


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[0426] Skizzen aus unserm heutigen Volksleben. diesem Gebiete, wie etwa mit Diderots Rezensionen der Pariser Salons von 1737 bis 1766, schon eher befreunden können. Daß Winckelmann dann den Künstlern seiner Zeit und ihrem welschen Ungeschmack energisch den Standpunkt klar 'wachte, ist den Jüngern seiner Wissenschaft, den Kunstgelehrten, namentlich in Deutschland, ein verhängnisvolles Erbe geworden. Der Gegensatz zwischen „Kunstschreibcrn und Künstlern" ist seitdem nie wieder ganz von der Bildfläche ver¬ schwunden, nur daß in jüngster Zeit die Künstler auch zur Feder gegriffen haben, statt ihre Gegner mit dem Pinsel aus dem Felde zu schlagen. Schon 1833 erschienen „Drei Schreiben ans Rom gegen Kunstschreiberei in Deutsch¬ land," und ein so thörichtes Pamphlet wie Karl Hoffs „Künstler und Kunst¬ schreiber" erlebte noch vor fünf Jahren zwei Auflagen. Wenn wir auch nicht mehr ganz das Wort des Altdorfer Professors Diltherr aus dem siebzehnten Jahrhundert auf unsre Tage anwenden können: Hmsyuis xiotorum nostro- rum ruäitatöm volusrit oorriAero, is xroteoto otium üksvöravkrit omniun»: acleo insrucliti sunt xlsriciuo, acloo ovAnitionsin oinnsin anticiuitatis turviter ad- ^'se-srunt, so besteht doch auch heute noch der Ausspruch des alten kunsterfahrenen Cassiodor zu Recht: NaZvg, g.rs est, contra artilloes locM et axuä illos all^uta —er. ÄMrs, eini 8ö xn.eg.ut omnia xsrviÄsrs. Skizzen aus unserm heutigen Volksleben. 15. nervöse Leute. rlcmben Sie mal: Rom ist untergegangen, aber nicht am Kaisertum. Was diese römische Republik angeht — mein Gott, das waren keine großen Zeiten. Dieser alte Cicero kommt mir vor wie einer unsrer guten Revolutionäre der achtundvierziger Schule, der über die beste der Staatsformen leitartikelt. Fragen Sie Mommsen. Nein, mein Lieber, Roms Blüte beginnt mit Augustus und der Errichtung des Reiches — schade, daß wir nicht auch einen Kanzler in Parallele zu stellen haben. Rom ist nicht an diesem Reiche, sondern an den Nerven untergegangen. Wahr¬ haftig. Verbrauchte, nervös ruinirte Leute und unsre Naturmenschen von Ger¬ manen, das giebt ungleichen Kampf und bedeutet das Ende vom Liede. Und passen Sie mal ans, uns wirds gerade so gehen. Eugen und Konsorten werden das Reich weder retten noch stürzen, aber die verfluchten Nerven. Daran gehen wir zu Grunde. Unsre Zeit ist groß, aber mit den Nerven kommen wir alle Jahre mehr herunter. Sie meinen, ich übertreibe. Nicht die Idee! Die Nervosität ist nicht mehr eine Krankheit einzelner alter Damen, die nichts zu thun haben, es ist eine Volks-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/426>, abgerufen am 22.07.2024.