Skizzen aus unserm heutigen Volksleben. 14. Die notleidende Zuckerfabrik.
ber lieber Amtsrat, Sie reden ja wie der reine Eugen. Wenn wir alles sterben lassen wollen, was nicht leben kann, so geht die ganze Landwirtschaft zum Teufel und -- Pardon -- Sie mit.
Herr Regierungsrat, ich rede nicht von allem, sondern nur von faulen Zuckerfabriken. Sie werden mir wohl glauben, daß ich eben so gut wie jeder andre lieber eine Mark fünfzig als achtzig Pfen¬ nige für den Zentner nehme; aber das Gute haben die schlechten Preise wenigstens, daß Klarheit in die Situation kommt, und daß mit den faulen Existenzen aufge¬ räumt wird.
Damit Ihre und andre starke Fabriken die Konkurrenz los werden und desto fettere Dividenden zahlen können. Das ist es ja eben, was ich meine, daß ganz be¬ sonders in kritischen Zeiten der wirtschaftlich schwächere von dem wirtschaftlich stär¬ kern aufgezehrt wird. Aber jede vou dem großen Besitz ausgesogene kleine Existenz bedeutet einen Verlust für den Staat. Der Staat hat die Pflicht, dafür zu sorgen, daß ihm die breite Grundlage des bäuerlichen Besitzes nicht verkürzt wird. Ich begreife wirklich nicht, daß ganz konservative Leute wie Sie, lieber Amtsrat, das nicht auf den ersten Blick einsehen. Die Sache ist doch ganz einfach. Daß die Bauern Zuckerbarone werden, Klaviere anschaffen und ihre Töchter in Pensionen schicken, ist allerdings nicht nötig; aber der Preis darf nicht bis unter die Grenze der Produktionskosten sinken. Wird der Preis des Zuckers -- etwa durch ausländische Konkurrenz -- bis unter diese Grenze herabgedrückt, müssen die Fa¬ briken mit Unterbilanz arbeiten, so darf sich der Staat nicht daneben stellen und ab¬ warten, was leben kann und was nicht, er muß seine Gesetzgebung als Regulator einfügen.
Schön, meinte der Herr Kreisbaumeister, der am Nebentische an einem Pro¬ tokoll schrieb, aber wo liegt denn diese Grenze? In Schlimmbach liegt sie bei 19 Mark und in Hedeborn bei 21 Mark.
Wieso?
Nun, wenn der Zucker 20 Mark steht, so setzen sie in Schlimmbach eine Mark zu, und in Hedeborn verdienen sie eine Mark. Uebrigens ist mein Protokoll fertig. Wollen die Herrn vielleicht so gut sein, zu unterschreiben?
Wir befinden uns nämlich im Speisezimmer des Herren Amtsrates in Hede- born. Es ist ein feines Frühstück aufgetragen. Der Herr Amtsrat frühstückt mit
Skizzen aus unserm heutigen Volksleben. 14. Die notleidende Zuckerfabrik.
ber lieber Amtsrat, Sie reden ja wie der reine Eugen. Wenn wir alles sterben lassen wollen, was nicht leben kann, so geht die ganze Landwirtschaft zum Teufel und — Pardon — Sie mit.
Herr Regierungsrat, ich rede nicht von allem, sondern nur von faulen Zuckerfabriken. Sie werden mir wohl glauben, daß ich eben so gut wie jeder andre lieber eine Mark fünfzig als achtzig Pfen¬ nige für den Zentner nehme; aber das Gute haben die schlechten Preise wenigstens, daß Klarheit in die Situation kommt, und daß mit den faulen Existenzen aufge¬ räumt wird.
Damit Ihre und andre starke Fabriken die Konkurrenz los werden und desto fettere Dividenden zahlen können. Das ist es ja eben, was ich meine, daß ganz be¬ sonders in kritischen Zeiten der wirtschaftlich schwächere von dem wirtschaftlich stär¬ kern aufgezehrt wird. Aber jede vou dem großen Besitz ausgesogene kleine Existenz bedeutet einen Verlust für den Staat. Der Staat hat die Pflicht, dafür zu sorgen, daß ihm die breite Grundlage des bäuerlichen Besitzes nicht verkürzt wird. Ich begreife wirklich nicht, daß ganz konservative Leute wie Sie, lieber Amtsrat, das nicht auf den ersten Blick einsehen. Die Sache ist doch ganz einfach. Daß die Bauern Zuckerbarone werden, Klaviere anschaffen und ihre Töchter in Pensionen schicken, ist allerdings nicht nötig; aber der Preis darf nicht bis unter die Grenze der Produktionskosten sinken. Wird der Preis des Zuckers — etwa durch ausländische Konkurrenz — bis unter diese Grenze herabgedrückt, müssen die Fa¬ briken mit Unterbilanz arbeiten, so darf sich der Staat nicht daneben stellen und ab¬ warten, was leben kann und was nicht, er muß seine Gesetzgebung als Regulator einfügen.
Schön, meinte der Herr Kreisbaumeister, der am Nebentische an einem Pro¬ tokoll schrieb, aber wo liegt denn diese Grenze? In Schlimmbach liegt sie bei 19 Mark und in Hedeborn bei 21 Mark.
Wieso?
Nun, wenn der Zucker 20 Mark steht, so setzen sie in Schlimmbach eine Mark zu, und in Hedeborn verdienen sie eine Mark. Uebrigens ist mein Protokoll fertig. Wollen die Herrn vielleicht so gut sein, zu unterschreiben?
Wir befinden uns nämlich im Speisezimmer des Herren Amtsrates in Hede- born. Es ist ein feines Frühstück aufgetragen. Der Herr Amtsrat frühstückt mit
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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben.
14. Die notleidende Zuckerfabrik.
ber lieber Amtsrat, Sie reden ja wie der reine Eugen. Wenn wir
alles sterben lassen wollen, was nicht leben kann, so geht die ganze
Landwirtschaft zum Teufel und — Pardon — Sie mit.
Herr Regierungsrat, ich rede nicht von allem, sondern nur von
faulen Zuckerfabriken. Sie werden mir wohl glauben, daß ich eben
so gut wie jeder andre lieber eine Mark fünfzig als achtzig Pfen¬
nige für den Zentner nehme; aber das Gute haben die schlechten Preise wenigstens,
daß Klarheit in die Situation kommt, und daß mit den faulen Existenzen aufge¬
räumt wird.
Damit Ihre und andre starke Fabriken die Konkurrenz los werden und desto
fettere Dividenden zahlen können. Das ist es ja eben, was ich meine, daß ganz be¬
sonders in kritischen Zeiten der wirtschaftlich schwächere von dem wirtschaftlich stär¬
kern aufgezehrt wird. Aber jede vou dem großen Besitz ausgesogene kleine Existenz
bedeutet einen Verlust für den Staat. Der Staat hat die Pflicht, dafür zu sorgen,
daß ihm die breite Grundlage des bäuerlichen Besitzes nicht verkürzt wird. Ich
begreife wirklich nicht, daß ganz konservative Leute wie Sie, lieber Amtsrat, das
nicht auf den ersten Blick einsehen. Die Sache ist doch ganz einfach. Daß die
Bauern Zuckerbarone werden, Klaviere anschaffen und ihre Töchter in Pensionen
schicken, ist allerdings nicht nötig; aber der Preis darf nicht bis unter die
Grenze der Produktionskosten sinken. Wird der Preis des Zuckers — etwa durch
ausländische Konkurrenz — bis unter diese Grenze herabgedrückt, müssen die Fa¬
briken mit Unterbilanz arbeiten, so darf sich der Staat nicht daneben stellen und ab¬
warten, was leben kann und was nicht, er muß seine Gesetzgebung als Regulator
einfügen.
Schön, meinte der Herr Kreisbaumeister, der am Nebentische an einem Pro¬
tokoll schrieb, aber wo liegt denn diese Grenze? In Schlimmbach liegt sie bei
19 Mark und in Hedeborn bei 21 Mark.
Wieso?
Nun, wenn der Zucker 20 Mark steht, so setzen sie in Schlimmbach eine Mark
zu, und in Hedeborn verdienen sie eine Mark. Uebrigens ist mein Protokoll fertig.
Wollen die Herrn vielleicht so gut sein, zu unterschreiben?
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born. Es ist ein feines Frühstück aufgetragen. Der Herr Amtsrat frühstückt mit
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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/40>, abgerufen am 24.01.2025.
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