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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Erinnerungen aus Alt-Zena,

uns zu erkennen. In der Naturphilosophie wurden diese Prinzipien praktisch
auf die wirklichen Dinge angewandt, und es zeigte sich, daß sie in der That
geeignet waren, ohne alle Mystik und ohne Phantasterei die empirischen That¬
sachen in ein zusammenhängendes Ganze der Erkenntnis zu bringen. Die
Vollendung des Ganzen, die Lehre von den höchsten Ideen, zu der die Kritik
der praktischen Vernunft die Vorarbeit war, liegt noch in unverstandener Form
im Manuskript. Nur wenn unser Volk sein Interesse ihm in ganz andrer Weise
als bisher zuwendet, werden wir der herrlichen Früchte uns erfreuen können.




Erinnerungen aus Alt-Jena.
(Fortsetzung.)

le originellste Gestalt nnter allen Lehrern der Hochschule und
zugleich eine der ersten Zierden derselben war unbestritten der
Philologe K. M. Göttling. Als Gelehrter anerkannt, als
Mensch eine echte Thüringer Natur der besten Art, gutmütig
und zugleich mit einem prächtige!,, oft allerdings etwas derben
Humor ausgestattet, war er in der Gesellschaft ein unschätzbares Element. Für
Jena wurde er u. a. durch die Gründung des archäologischen Museums und
der zu diesem Zwecke von ihm ins Leben gerufenen sogenannten Nosenvorlesungcn
von nachhaltiger Bedeutung. Als jüngerer Mann hatte er zu Goethe in ziem¬
lich nahen Beziehungen gestanden. Ans diesem Verkehr mit dem greisen
Dichter wußte er im vertraulichen Kreise manches Pikante mitzuteilen, was
nicht gerade für die Verbreitung durch den Druck bestimmt war. Wenn man
von Göttlings menschlicher Erscheinung spricht, darf man seine Schwester At¬
ome billigerweise nicht mit Stillschweigen übergehen. Ohne geistreich zu sein,
hatte sie, als ein untrennbares Teil ihres Bruders, getragen von seiner warmen
Anhänglichkeit wie durch ihre lebhafte Teilnahme an den Menschen und Dingen,
eine unverkennbare Bedeutung in der Gesellschaft und der sie umgebenden Kreise
gewonnen. Zu ihren Lieblingen gehörte u. a. Robert Prutz, der wiederholt
langem Aufenthalt in Jena nahm.

Nicht versagen kann ich es mir an dieser Stelle, einen Mann zu erwähnen, zu
dem ich zwar so wenig als vielleicht irgend ein andrer in eine Beziehung getreten
bin, der aber, jetzt so gut als vergessen, damals wenn nicht zu den Merkwürdig-


Erinnerungen aus Alt-Zena,

uns zu erkennen. In der Naturphilosophie wurden diese Prinzipien praktisch
auf die wirklichen Dinge angewandt, und es zeigte sich, daß sie in der That
geeignet waren, ohne alle Mystik und ohne Phantasterei die empirischen That¬
sachen in ein zusammenhängendes Ganze der Erkenntnis zu bringen. Die
Vollendung des Ganzen, die Lehre von den höchsten Ideen, zu der die Kritik
der praktischen Vernunft die Vorarbeit war, liegt noch in unverstandener Form
im Manuskript. Nur wenn unser Volk sein Interesse ihm in ganz andrer Weise
als bisher zuwendet, werden wir der herrlichen Früchte uns erfreuen können.




Erinnerungen aus Alt-Jena.
(Fortsetzung.)

le originellste Gestalt nnter allen Lehrern der Hochschule und
zugleich eine der ersten Zierden derselben war unbestritten der
Philologe K. M. Göttling. Als Gelehrter anerkannt, als
Mensch eine echte Thüringer Natur der besten Art, gutmütig
und zugleich mit einem prächtige!,, oft allerdings etwas derben
Humor ausgestattet, war er in der Gesellschaft ein unschätzbares Element. Für
Jena wurde er u. a. durch die Gründung des archäologischen Museums und
der zu diesem Zwecke von ihm ins Leben gerufenen sogenannten Nosenvorlesungcn
von nachhaltiger Bedeutung. Als jüngerer Mann hatte er zu Goethe in ziem¬
lich nahen Beziehungen gestanden. Ans diesem Verkehr mit dem greisen
Dichter wußte er im vertraulichen Kreise manches Pikante mitzuteilen, was
nicht gerade für die Verbreitung durch den Druck bestimmt war. Wenn man
von Göttlings menschlicher Erscheinung spricht, darf man seine Schwester At¬
ome billigerweise nicht mit Stillschweigen übergehen. Ohne geistreich zu sein,
hatte sie, als ein untrennbares Teil ihres Bruders, getragen von seiner warmen
Anhänglichkeit wie durch ihre lebhafte Teilnahme an den Menschen und Dingen,
eine unverkennbare Bedeutung in der Gesellschaft und der sie umgebenden Kreise
gewonnen. Zu ihren Lieblingen gehörte u. a. Robert Prutz, der wiederholt
langem Aufenthalt in Jena nahm.

Nicht versagen kann ich es mir an dieser Stelle, einen Mann zu erwähnen, zu
dem ich zwar so wenig als vielleicht irgend ein andrer in eine Beziehung getreten
bin, der aber, jetzt so gut als vergessen, damals wenn nicht zu den Merkwürdig-


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[0317] Erinnerungen aus Alt-Zena, uns zu erkennen. In der Naturphilosophie wurden diese Prinzipien praktisch auf die wirklichen Dinge angewandt, und es zeigte sich, daß sie in der That geeignet waren, ohne alle Mystik und ohne Phantasterei die empirischen That¬ sachen in ein zusammenhängendes Ganze der Erkenntnis zu bringen. Die Vollendung des Ganzen, die Lehre von den höchsten Ideen, zu der die Kritik der praktischen Vernunft die Vorarbeit war, liegt noch in unverstandener Form im Manuskript. Nur wenn unser Volk sein Interesse ihm in ganz andrer Weise als bisher zuwendet, werden wir der herrlichen Früchte uns erfreuen können. Erinnerungen aus Alt-Jena. (Fortsetzung.) le originellste Gestalt nnter allen Lehrern der Hochschule und zugleich eine der ersten Zierden derselben war unbestritten der Philologe K. M. Göttling. Als Gelehrter anerkannt, als Mensch eine echte Thüringer Natur der besten Art, gutmütig und zugleich mit einem prächtige!,, oft allerdings etwas derben Humor ausgestattet, war er in der Gesellschaft ein unschätzbares Element. Für Jena wurde er u. a. durch die Gründung des archäologischen Museums und der zu diesem Zwecke von ihm ins Leben gerufenen sogenannten Nosenvorlesungcn von nachhaltiger Bedeutung. Als jüngerer Mann hatte er zu Goethe in ziem¬ lich nahen Beziehungen gestanden. Ans diesem Verkehr mit dem greisen Dichter wußte er im vertraulichen Kreise manches Pikante mitzuteilen, was nicht gerade für die Verbreitung durch den Druck bestimmt war. Wenn man von Göttlings menschlicher Erscheinung spricht, darf man seine Schwester At¬ ome billigerweise nicht mit Stillschweigen übergehen. Ohne geistreich zu sein, hatte sie, als ein untrennbares Teil ihres Bruders, getragen von seiner warmen Anhänglichkeit wie durch ihre lebhafte Teilnahme an den Menschen und Dingen, eine unverkennbare Bedeutung in der Gesellschaft und der sie umgebenden Kreise gewonnen. Zu ihren Lieblingen gehörte u. a. Robert Prutz, der wiederholt langem Aufenthalt in Jena nahm. Nicht versagen kann ich es mir an dieser Stelle, einen Mann zu erwähnen, zu dem ich zwar so wenig als vielleicht irgend ein andrer in eine Beziehung getreten bin, der aber, jetzt so gut als vergessen, damals wenn nicht zu den Merkwürdig-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/317>, abgerufen am 22.07.2024.