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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Das nachgelassene Werk Immanuel Kants.
von A. Classen.

om Übergänge von der Metaphysik zur Physik -- so, nur noch etwas
ausführlicher, lautet der Titel des nachgelassenen Werkes von Im-
manuel Kant, welches jetzt, populär-wissenschaftlich dargestellt von
Albrecht Krause, als stattlicher Band vor uns liegt.*) Man wird sich
erinnern, daß vor etwa vier Jahren, als Krause die Handschrift Kants
eben käuflich an sich gebracht hatte, in den Zeitungen viel Staub aufgewirbelt wurde,
und daß schließlich von Sr. Exzellenz dem Herrn Kuno Fischer eine ungewöhnlich
leidenschaftliche Philippika gegen Krause losgelassen wurde. Auf Fernerstehende
mußte die Sache schon damals mindestens den Eindruck machen, daß Krause
doch wohl nicht ganz Unrecht haben könne, denn eine ganz unbedeutende Kraft
würde schwerlich einen so vornehmen Mann zu einer solchen Berserkerwut auf¬
geregt haben, die sich geradezu in einem Versuche, den Gegner litterarisch und
moralisch totzumachen, offenbarte. Umso berechtigter war aber die allgemeine
Erwartung, daß man endlich einmal erführe, was es denn in Wahrheit mit
der lange verloren geglaubten und nun wiedergefundenen Handschrift auf sich
habe, die Kant selbst bei Lebzeiten als sein Hauptwerk und den Schlußstein
seines ganzen Systems bezeichnet hatte. Zwar lagen schon seit 1882 eine
Reihe von Bruchstücken durch den Bibliothekar Dr. Neicke in Königsberg, in
der "Altpreußischen Monatsschrift" veröffentlicht, zu jedermanns Einsicht vor.
Aber gerade die unzusammenhängende Form dieser Veröffentlichungen aus der
Handschrift machte das eingehende Studium derselben so schwierig, daß sich bei
weitem die Mehrzahl der eigentlichen Philosophen von Fach vollständig ab¬
lehnend dagegen verhielt, zumal da diejenigen, die sich am meisten für berufene
Kantkenner und -Ausleger hielten, mit Emphase wiederholten, daß der alte
Königsberg?! Weise in seinen letzten Lebensjahren fast ganz stumpfsinnig ge¬
wesen sei und nichts mehr habe leisten können; auch sei ja sein System so voll-



*) Das nachgelassene Werk Immanuel Kants: Vom Übergange von den meta¬
physischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zur Physik. Mit Belegen
populär-wissenschaftlich dargestellt von Albrecht Krause. Frankfurt a. M. und Lahr
M. Schauenburg, 1388.


Das nachgelassene Werk Immanuel Kants.
von A. Classen.

om Übergänge von der Metaphysik zur Physik — so, nur noch etwas
ausführlicher, lautet der Titel des nachgelassenen Werkes von Im-
manuel Kant, welches jetzt, populär-wissenschaftlich dargestellt von
Albrecht Krause, als stattlicher Band vor uns liegt.*) Man wird sich
erinnern, daß vor etwa vier Jahren, als Krause die Handschrift Kants
eben käuflich an sich gebracht hatte, in den Zeitungen viel Staub aufgewirbelt wurde,
und daß schließlich von Sr. Exzellenz dem Herrn Kuno Fischer eine ungewöhnlich
leidenschaftliche Philippika gegen Krause losgelassen wurde. Auf Fernerstehende
mußte die Sache schon damals mindestens den Eindruck machen, daß Krause
doch wohl nicht ganz Unrecht haben könne, denn eine ganz unbedeutende Kraft
würde schwerlich einen so vornehmen Mann zu einer solchen Berserkerwut auf¬
geregt haben, die sich geradezu in einem Versuche, den Gegner litterarisch und
moralisch totzumachen, offenbarte. Umso berechtigter war aber die allgemeine
Erwartung, daß man endlich einmal erführe, was es denn in Wahrheit mit
der lange verloren geglaubten und nun wiedergefundenen Handschrift auf sich
habe, die Kant selbst bei Lebzeiten als sein Hauptwerk und den Schlußstein
seines ganzen Systems bezeichnet hatte. Zwar lagen schon seit 1882 eine
Reihe von Bruchstücken durch den Bibliothekar Dr. Neicke in Königsberg, in
der „Altpreußischen Monatsschrift" veröffentlicht, zu jedermanns Einsicht vor.
Aber gerade die unzusammenhängende Form dieser Veröffentlichungen aus der
Handschrift machte das eingehende Studium derselben so schwierig, daß sich bei
weitem die Mehrzahl der eigentlichen Philosophen von Fach vollständig ab¬
lehnend dagegen verhielt, zumal da diejenigen, die sich am meisten für berufene
Kantkenner und -Ausleger hielten, mit Emphase wiederholten, daß der alte
Königsberg?! Weise in seinen letzten Lebensjahren fast ganz stumpfsinnig ge¬
wesen sei und nichts mehr habe leisten können; auch sei ja sein System so voll-



*) Das nachgelassene Werk Immanuel Kants: Vom Übergange von den meta¬
physischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zur Physik. Mit Belegen
populär-wissenschaftlich dargestellt von Albrecht Krause. Frankfurt a. M. und Lahr
M. Schauenburg, 1388.
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[0255] [Abbildung] Das nachgelassene Werk Immanuel Kants. von A. Classen. om Übergänge von der Metaphysik zur Physik — so, nur noch etwas ausführlicher, lautet der Titel des nachgelassenen Werkes von Im- manuel Kant, welches jetzt, populär-wissenschaftlich dargestellt von Albrecht Krause, als stattlicher Band vor uns liegt.*) Man wird sich erinnern, daß vor etwa vier Jahren, als Krause die Handschrift Kants eben käuflich an sich gebracht hatte, in den Zeitungen viel Staub aufgewirbelt wurde, und daß schließlich von Sr. Exzellenz dem Herrn Kuno Fischer eine ungewöhnlich leidenschaftliche Philippika gegen Krause losgelassen wurde. Auf Fernerstehende mußte die Sache schon damals mindestens den Eindruck machen, daß Krause doch wohl nicht ganz Unrecht haben könne, denn eine ganz unbedeutende Kraft würde schwerlich einen so vornehmen Mann zu einer solchen Berserkerwut auf¬ geregt haben, die sich geradezu in einem Versuche, den Gegner litterarisch und moralisch totzumachen, offenbarte. Umso berechtigter war aber die allgemeine Erwartung, daß man endlich einmal erführe, was es denn in Wahrheit mit der lange verloren geglaubten und nun wiedergefundenen Handschrift auf sich habe, die Kant selbst bei Lebzeiten als sein Hauptwerk und den Schlußstein seines ganzen Systems bezeichnet hatte. Zwar lagen schon seit 1882 eine Reihe von Bruchstücken durch den Bibliothekar Dr. Neicke in Königsberg, in der „Altpreußischen Monatsschrift" veröffentlicht, zu jedermanns Einsicht vor. Aber gerade die unzusammenhängende Form dieser Veröffentlichungen aus der Handschrift machte das eingehende Studium derselben so schwierig, daß sich bei weitem die Mehrzahl der eigentlichen Philosophen von Fach vollständig ab¬ lehnend dagegen verhielt, zumal da diejenigen, die sich am meisten für berufene Kantkenner und -Ausleger hielten, mit Emphase wiederholten, daß der alte Königsberg?! Weise in seinen letzten Lebensjahren fast ganz stumpfsinnig ge¬ wesen sei und nichts mehr habe leisten können; auch sei ja sein System so voll- *) Das nachgelassene Werk Immanuel Kants: Vom Übergange von den meta¬ physischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zur Physik. Mit Belegen populär-wissenschaftlich dargestellt von Albrecht Krause. Frankfurt a. M. und Lahr M. Schauenburg, 1388.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/255>, abgerufen am 22.07.2024.