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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Kleinere Mitteilungen.

Zur Aufklärung.

In den "Bremer Nachrichten" und wahrscheinlich auch
in andern deutsch-freisinnigen Blättern ist neuerdings zu lesen, daß die angesehensten
Organe der nationalliberalen und der konservativen Partei "der objektiven geschicht¬
lichen Darstellung" in der "Geschichte der neuesten Zeit" von dem Gymnasial¬
direktor und Reichstagsmitgliede Constantin Bulle reiches Lob gespendet und das
Buch als eines der besten Handbücher für die Geschichte unsers Jahrhunderts
anerkannt hätten.

Die Grenzboten haben sich eines derartigen schiefen Urteils nicht schuldig
gemacht, die Nordd. Allg. Ztg. hat den Ton als häufig geradezu gehässig bezeichnet.

Es gab eine Zeit, wo der deutsch-freisinnige Reichstagsabgeordnete für
Bremen nationalliberal war, und in diese fällt die erste Auflage seiner Geschichte
der neuesten Zeit. Der Berliner Buchhändler, der die zweite Auflage des Bulleschen
"Geschichtswerkes" gekauft hat, da der ursprüngliche Verleger die vom einseitigsten
politischen Standpunkte aus geschriebene zweite Auflage nicht vertreiben wollte,
druckt nun zur Empfehlung dieser zweiten Auflage auch die Urteile ab, die feiner
Zeit über die erste Auflage gefällt worden sind, ohne dabei zu bemerken, daß sich
diese Urteile auf die erste Auflage beziehen (!). Wir können dies nur als eine
Täuschung des Publikums ansehen und können unsre Mißbilligung eines derartigen
Verfahrens, das wohl bezweckt, zum bevorstehenden Weihnachtsfeste das Werk in
manche deutsche Familie einzuschmuggeln, nicht kräftig genug ausdrücken. Wir
bedauern jedes deutsche Haus, in dem Buttes "Geschichte der neuesten Zeit" in der
neuen Auflage Eingang finden sollte. Wenn man jetzt, nachdem sich der Zoll¬
anschluß Hamburgs nud Bremens vollzogen hat, liest, wie Bulle über die Zoll-
anschlnßverhandlungen urteilt, so kann man sich des Bedauerns, ja des Mitleids
nicht erwehren. Derartiges Räsonnement ist überhaupt nicht mehr als Geschichte
zu bezeichnen.


Entgegnung.
"

In der Anzeige meines Schriftchens "Volkstheater und Lokal¬
bühne (Heft 48) erscheint es dem Referenten nicht recht ersichtlich, weshalb ich
polemisch gegen Herrig auftrete. (Pöhnls Volksbühnenspiele sind ja meines Wissens
in den Grenzboten selbst streng abgewiesen worden.) Seite 8 habe ich aber
wörtlich die Stelle Herrigs angeführt, die mir gründliche Verkennung der Bedeutung
unsers mundartlichen Volksschauspiels zu offenbaren schien. Nicht bloß dem Wiener
Volkstheater, sondern der Gegenwart und Zukunft des deutschen Dialektstückes
überhaupt galt demgemäß mein Fürwort. In der Wertschätzung von Raimund
und Johann Strauß kann ich fehlgehen; bemerken möchte ich aber, daß kein
Geringerer als Richard Wagner (Werke, VII, 393) diese beiden als Meister der
volkstümlichen Kunst hervorhebt, und daß Brahms dem Wiener Dialekt-Komponisten
kaum minder wohlwollend gegenübersteht, als Treitschke (Deutsche Geschichte, II,
23 ff.) dem in. E. keineswegs "toten," sondern frisch lebendigen Dichter des
"Verschwenders."


Anton Bettelheim.


Grenzboten IV. 1888.^0
Kleinere Mitteilungen.

Zur Aufklärung.

In den „Bremer Nachrichten" und wahrscheinlich auch
in andern deutsch-freisinnigen Blättern ist neuerdings zu lesen, daß die angesehensten
Organe der nationalliberalen und der konservativen Partei „der objektiven geschicht¬
lichen Darstellung" in der „Geschichte der neuesten Zeit" von dem Gymnasial¬
direktor und Reichstagsmitgliede Constantin Bulle reiches Lob gespendet und das
Buch als eines der besten Handbücher für die Geschichte unsers Jahrhunderts
anerkannt hätten.

Die Grenzboten haben sich eines derartigen schiefen Urteils nicht schuldig
gemacht, die Nordd. Allg. Ztg. hat den Ton als häufig geradezu gehässig bezeichnet.

Es gab eine Zeit, wo der deutsch-freisinnige Reichstagsabgeordnete für
Bremen nationalliberal war, und in diese fällt die erste Auflage seiner Geschichte
der neuesten Zeit. Der Berliner Buchhändler, der die zweite Auflage des Bulleschen
„Geschichtswerkes" gekauft hat, da der ursprüngliche Verleger die vom einseitigsten
politischen Standpunkte aus geschriebene zweite Auflage nicht vertreiben wollte,
druckt nun zur Empfehlung dieser zweiten Auflage auch die Urteile ab, die feiner
Zeit über die erste Auflage gefällt worden sind, ohne dabei zu bemerken, daß sich
diese Urteile auf die erste Auflage beziehen (!). Wir können dies nur als eine
Täuschung des Publikums ansehen und können unsre Mißbilligung eines derartigen
Verfahrens, das wohl bezweckt, zum bevorstehenden Weihnachtsfeste das Werk in
manche deutsche Familie einzuschmuggeln, nicht kräftig genug ausdrücken. Wir
bedauern jedes deutsche Haus, in dem Buttes „Geschichte der neuesten Zeit" in der
neuen Auflage Eingang finden sollte. Wenn man jetzt, nachdem sich der Zoll¬
anschluß Hamburgs nud Bremens vollzogen hat, liest, wie Bulle über die Zoll-
anschlnßverhandlungen urteilt, so kann man sich des Bedauerns, ja des Mitleids
nicht erwehren. Derartiges Räsonnement ist überhaupt nicht mehr als Geschichte
zu bezeichnen.


Entgegnung.
"

In der Anzeige meines Schriftchens „Volkstheater und Lokal¬
bühne (Heft 48) erscheint es dem Referenten nicht recht ersichtlich, weshalb ich
polemisch gegen Herrig auftrete. (Pöhnls Volksbühnenspiele sind ja meines Wissens
in den Grenzboten selbst streng abgewiesen worden.) Seite 8 habe ich aber
wörtlich die Stelle Herrigs angeführt, die mir gründliche Verkennung der Bedeutung
unsers mundartlichen Volksschauspiels zu offenbaren schien. Nicht bloß dem Wiener
Volkstheater, sondern der Gegenwart und Zukunft des deutschen Dialektstückes
überhaupt galt demgemäß mein Fürwort. In der Wertschätzung von Raimund
und Johann Strauß kann ich fehlgehen; bemerken möchte ich aber, daß kein
Geringerer als Richard Wagner (Werke, VII, 393) diese beiden als Meister der
volkstümlichen Kunst hervorhebt, und daß Brahms dem Wiener Dialekt-Komponisten
kaum minder wohlwollend gegenübersteht, als Treitschke (Deutsche Geschichte, II,
23 ff.) dem in. E. keineswegs „toten," sondern frisch lebendigen Dichter des
„Verschwenders."


Anton Bettelheim.


Grenzboten IV. 1888.^0
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[0641] Kleinere Mitteilungen. Zur Aufklärung. In den „Bremer Nachrichten" und wahrscheinlich auch in andern deutsch-freisinnigen Blättern ist neuerdings zu lesen, daß die angesehensten Organe der nationalliberalen und der konservativen Partei „der objektiven geschicht¬ lichen Darstellung" in der „Geschichte der neuesten Zeit" von dem Gymnasial¬ direktor und Reichstagsmitgliede Constantin Bulle reiches Lob gespendet und das Buch als eines der besten Handbücher für die Geschichte unsers Jahrhunderts anerkannt hätten. Die Grenzboten haben sich eines derartigen schiefen Urteils nicht schuldig gemacht, die Nordd. Allg. Ztg. hat den Ton als häufig geradezu gehässig bezeichnet. Es gab eine Zeit, wo der deutsch-freisinnige Reichstagsabgeordnete für Bremen nationalliberal war, und in diese fällt die erste Auflage seiner Geschichte der neuesten Zeit. Der Berliner Buchhändler, der die zweite Auflage des Bulleschen „Geschichtswerkes" gekauft hat, da der ursprüngliche Verleger die vom einseitigsten politischen Standpunkte aus geschriebene zweite Auflage nicht vertreiben wollte, druckt nun zur Empfehlung dieser zweiten Auflage auch die Urteile ab, die feiner Zeit über die erste Auflage gefällt worden sind, ohne dabei zu bemerken, daß sich diese Urteile auf die erste Auflage beziehen (!). Wir können dies nur als eine Täuschung des Publikums ansehen und können unsre Mißbilligung eines derartigen Verfahrens, das wohl bezweckt, zum bevorstehenden Weihnachtsfeste das Werk in manche deutsche Familie einzuschmuggeln, nicht kräftig genug ausdrücken. Wir bedauern jedes deutsche Haus, in dem Buttes „Geschichte der neuesten Zeit" in der neuen Auflage Eingang finden sollte. Wenn man jetzt, nachdem sich der Zoll¬ anschluß Hamburgs nud Bremens vollzogen hat, liest, wie Bulle über die Zoll- anschlnßverhandlungen urteilt, so kann man sich des Bedauerns, ja des Mitleids nicht erwehren. Derartiges Räsonnement ist überhaupt nicht mehr als Geschichte zu bezeichnen. Entgegnung. " In der Anzeige meines Schriftchens „Volkstheater und Lokal¬ bühne (Heft 48) erscheint es dem Referenten nicht recht ersichtlich, weshalb ich polemisch gegen Herrig auftrete. (Pöhnls Volksbühnenspiele sind ja meines Wissens in den Grenzboten selbst streng abgewiesen worden.) Seite 8 habe ich aber wörtlich die Stelle Herrigs angeführt, die mir gründliche Verkennung der Bedeutung unsers mundartlichen Volksschauspiels zu offenbaren schien. Nicht bloß dem Wiener Volkstheater, sondern der Gegenwart und Zukunft des deutschen Dialektstückes überhaupt galt demgemäß mein Fürwort. In der Wertschätzung von Raimund und Johann Strauß kann ich fehlgehen; bemerken möchte ich aber, daß kein Geringerer als Richard Wagner (Werke, VII, 393) diese beiden als Meister der volkstümlichen Kunst hervorhebt, und daß Brahms dem Wiener Dialekt-Komponisten kaum minder wohlwollend gegenübersteht, als Treitschke (Deutsche Geschichte, II, 23 ff.) dem in. E. keineswegs „toten," sondern frisch lebendigen Dichter des „Verschwenders." Anton Bettelheim. Grenzboten IV. 1888.^0

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/641>, abgerufen am 28.06.2024.