Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Hermann von Gilm.

587

von Gasteiger, und vergalt diese durch sein geistsprühendes, lebensfroh über¬
schäumendes Naturell.*) Hier lernte er auch seine in den schönsten Liedern ver¬
ewigte Theodolinde kennen, eine Nichte Gasteiacrs, die Gnus leidenschaftliche
Liebe freilich nur mit kühler Freundschaft whute und ihn dadurch sehr un¬
glücklich machte. Das schöne Mädchen wollte eine sogenannte gute Partie
machen und gab dem unbesoldeten Gerichtspraktikanten, der obendrein als Libe¬
raler schlimme Aussichten für seine Laufbahn hatte, einen Korb. In diesem
Hause nun hatte Gilm folgendes kleine, aber bedeutsame Gespräch, über das
er in einem seiner Briefe an die vielgeliebte Schwester Calor (Katharina) nach
Innsbruck berichtete: "Es ist nicht lange her," schreibt er, "war ein Mädchen
hier ans Zweibrücken; diese Fremde hatte freiere Ideen, als alle Männer Tirols
in hundert Jahren zusammenbringen. Sie frug mich einst, nachdem l^als^j sie
sich an unsern herrlichen Bergen nicht satt sehen konnte: "Und in dieser Natur
giebt es keine Dichter?" Ich antwortete ihr Tags darauf in einem Gedichte"
-- und dieses Gedicht teilt er nun in dem Briefe mit.**) Für die Wirkung
dieses Gesprächs auf den damals neununzwanzigjährigen Dichter ist es bezeich¬
nend, daß er dieses Antwortgedicht an die Spitze der Sammlung stellte, die er
1863, kurz vor seinem Tode, endlich ordnete.

Es war damals in der That so. Von Oswald von Wolkenstein bis auf
Gilm hat die tirolische Litteraturgeschichte kein dichterisches Talent höhern
Ranges zu verzeichnen. Erst kürzlich sind tirolische Fastnachtsspiele des Vigil
Räder aus dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts ausgegraben und ver¬
öffentlicht worden, aber davon wußten Gnus Zeitgenossen nichts. Und es
erinnert an den Entschluß des jungen Klopstock, mit Milton um die Puline
zu ringen, da das Ausland sich verächtlich über die Unfähigkeit der Deutschen,
etwas im Gebiete der "schönen Wissenschaften" zu schaffen, geäußert hatte, wenn
Gilm von nun an sich als den berufenen Mann fühlte, der Dichter Tirols zu
werden, an dem es fehlte, und diesem Gefühl in stolzer Weise auch sehr häufig
Ausdruck verlieh.


Schweigen werden meine Lieder,
Kein Gesang wird mehr ertönen,
Und die Fremden werden wieder
Unsre stummen Berge höhnen --

singt er beim Abschied von der Geliebten. Und ein andermal in dem Gedichte
"Sankt Ulrichs-Kapelle":




*) Vergl. Hermann v. Gilm. Sein Leben und seine Dichtungen v. Arnold v. d.
Passer. Leipzig, Licbeskind. 1889. Diese Lebensbeschreibung enthält sehr viel wertvolles
Mnierial, entbehrt aber allen wissenschaftlichen Geistes. Eine ästhetische Würdigung Gnus
ist darin gnr nicht versucht. Hermann Sanders vortreffliches Büchlein ist wohl ausgenutzt,
aber totgeschwiegen worden.
Vgl. Hermann Sander, Hermann v. Gilm. Innsbruck, Wagner, 1887. S. 31.
Hermann von Gilm.

587

von Gasteiger, und vergalt diese durch sein geistsprühendes, lebensfroh über¬
schäumendes Naturell.*) Hier lernte er auch seine in den schönsten Liedern ver¬
ewigte Theodolinde kennen, eine Nichte Gasteiacrs, die Gnus leidenschaftliche
Liebe freilich nur mit kühler Freundschaft whute und ihn dadurch sehr un¬
glücklich machte. Das schöne Mädchen wollte eine sogenannte gute Partie
machen und gab dem unbesoldeten Gerichtspraktikanten, der obendrein als Libe¬
raler schlimme Aussichten für seine Laufbahn hatte, einen Korb. In diesem
Hause nun hatte Gilm folgendes kleine, aber bedeutsame Gespräch, über das
er in einem seiner Briefe an die vielgeliebte Schwester Calor (Katharina) nach
Innsbruck berichtete: „Es ist nicht lange her," schreibt er, „war ein Mädchen
hier ans Zweibrücken; diese Fremde hatte freiere Ideen, als alle Männer Tirols
in hundert Jahren zusammenbringen. Sie frug mich einst, nachdem l^als^j sie
sich an unsern herrlichen Bergen nicht satt sehen konnte: »Und in dieser Natur
giebt es keine Dichter?« Ich antwortete ihr Tags darauf in einem Gedichte"
— und dieses Gedicht teilt er nun in dem Briefe mit.**) Für die Wirkung
dieses Gesprächs auf den damals neununzwanzigjährigen Dichter ist es bezeich¬
nend, daß er dieses Antwortgedicht an die Spitze der Sammlung stellte, die er
1863, kurz vor seinem Tode, endlich ordnete.

Es war damals in der That so. Von Oswald von Wolkenstein bis auf
Gilm hat die tirolische Litteraturgeschichte kein dichterisches Talent höhern
Ranges zu verzeichnen. Erst kürzlich sind tirolische Fastnachtsspiele des Vigil
Räder aus dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts ausgegraben und ver¬
öffentlicht worden, aber davon wußten Gnus Zeitgenossen nichts. Und es
erinnert an den Entschluß des jungen Klopstock, mit Milton um die Puline
zu ringen, da das Ausland sich verächtlich über die Unfähigkeit der Deutschen,
etwas im Gebiete der „schönen Wissenschaften" zu schaffen, geäußert hatte, wenn
Gilm von nun an sich als den berufenen Mann fühlte, der Dichter Tirols zu
werden, an dem es fehlte, und diesem Gefühl in stolzer Weise auch sehr häufig
Ausdruck verlieh.


Schweigen werden meine Lieder,
Kein Gesang wird mehr ertönen,
Und die Fremden werden wieder
Unsre stummen Berge höhnen —

singt er beim Abschied von der Geliebten. Und ein andermal in dem Gedichte
„Sankt Ulrichs-Kapelle":




*) Vergl. Hermann v. Gilm. Sein Leben und seine Dichtungen v. Arnold v. d.
Passer. Leipzig, Licbeskind. 1889. Diese Lebensbeschreibung enthält sehr viel wertvolles
Mnierial, entbehrt aber allen wissenschaftlichen Geistes. Eine ästhetische Würdigung Gnus
ist darin gnr nicht versucht. Hermann Sanders vortreffliches Büchlein ist wohl ausgenutzt,
aber totgeschwiegen worden.
Vgl. Hermann Sander, Hermann v. Gilm. Innsbruck, Wagner, 1887. S. 31.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0595" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204030"/>
          <fw type="header" place="top"> Hermann von Gilm.</fw><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> 587</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1562" prev="#ID_1561"> von Gasteiger, und vergalt diese durch sein geistsprühendes, lebensfroh über¬<lb/>
schäumendes Naturell.*) Hier lernte er auch seine in den schönsten Liedern ver¬<lb/>
ewigte Theodolinde kennen, eine Nichte Gasteiacrs, die Gnus leidenschaftliche<lb/>
Liebe freilich nur mit kühler Freundschaft whute und ihn dadurch sehr un¬<lb/>
glücklich machte. Das schöne Mädchen wollte eine sogenannte gute Partie<lb/>
machen und gab dem unbesoldeten Gerichtspraktikanten, der obendrein als Libe¬<lb/>
raler schlimme Aussichten für seine Laufbahn hatte, einen Korb. In diesem<lb/>
Hause nun hatte Gilm folgendes kleine, aber bedeutsame Gespräch, über das<lb/>
er in einem seiner Briefe an die vielgeliebte Schwester Calor (Katharina) nach<lb/>
Innsbruck berichtete: &#x201E;Es ist nicht lange her," schreibt er, &#x201E;war ein Mädchen<lb/>
hier ans Zweibrücken; diese Fremde hatte freiere Ideen, als alle Männer Tirols<lb/>
in hundert Jahren zusammenbringen. Sie frug mich einst, nachdem l^als^j sie<lb/>
sich an unsern herrlichen Bergen nicht satt sehen konnte: »Und in dieser Natur<lb/>
giebt es keine Dichter?« Ich antwortete ihr Tags darauf in einem Gedichte"<lb/>
&#x2014; und dieses Gedicht teilt er nun in dem Briefe mit.**) Für die Wirkung<lb/>
dieses Gesprächs auf den damals neununzwanzigjährigen Dichter ist es bezeich¬<lb/>
nend, daß er dieses Antwortgedicht an die Spitze der Sammlung stellte, die er<lb/>
1863, kurz vor seinem Tode, endlich ordnete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1563" next="#ID_1564"> Es war damals in der That so. Von Oswald von Wolkenstein bis auf<lb/>
Gilm hat die tirolische Litteraturgeschichte kein dichterisches Talent höhern<lb/>
Ranges zu verzeichnen. Erst kürzlich sind tirolische Fastnachtsspiele des Vigil<lb/>
Räder aus dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts ausgegraben und ver¬<lb/>
öffentlicht worden, aber davon wußten Gnus Zeitgenossen nichts. Und es<lb/>
erinnert an den Entschluß des jungen Klopstock, mit Milton um die Puline<lb/>
zu ringen, da das Ausland sich verächtlich über die Unfähigkeit der Deutschen,<lb/>
etwas im Gebiete der &#x201E;schönen Wissenschaften" zu schaffen, geäußert hatte, wenn<lb/>
Gilm von nun an sich als den berufenen Mann fühlte, der Dichter Tirols zu<lb/>
werden, an dem es fehlte, und diesem Gefühl in stolzer Weise auch sehr häufig<lb/>
Ausdruck verlieh.</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_30" type="poem">
              <l> Schweigen werden meine Lieder,<lb/>
Kein Gesang wird mehr ertönen,<lb/>
Und die Fremden werden wieder<lb/>
Unsre stummen Berge höhnen &#x2014;</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_1564" prev="#ID_1563" next="#ID_1565"> singt er beim Abschied von der Geliebten. Und ein andermal in dem Gedichte<lb/>
&#x201E;Sankt Ulrichs-Kapelle":</p><lb/>
          <note xml:id="FID_53" place="foot"> *) Vergl. Hermann v. Gilm. Sein Leben und seine Dichtungen v. Arnold v. d.<lb/>
Passer. Leipzig, Licbeskind. 1889. Diese Lebensbeschreibung enthält sehr viel wertvolles<lb/>
Mnierial, entbehrt aber allen wissenschaftlichen Geistes. Eine ästhetische Würdigung Gnus<lb/>
ist darin gnr nicht versucht. Hermann Sanders vortreffliches Büchlein ist wohl ausgenutzt,<lb/>
aber totgeschwiegen worden.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_54" place="foot"> Vgl. Hermann Sander, Hermann v. Gilm.  Innsbruck, Wagner, 1887. S. 31.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0595] Hermann von Gilm. 587 von Gasteiger, und vergalt diese durch sein geistsprühendes, lebensfroh über¬ schäumendes Naturell.*) Hier lernte er auch seine in den schönsten Liedern ver¬ ewigte Theodolinde kennen, eine Nichte Gasteiacrs, die Gnus leidenschaftliche Liebe freilich nur mit kühler Freundschaft whute und ihn dadurch sehr un¬ glücklich machte. Das schöne Mädchen wollte eine sogenannte gute Partie machen und gab dem unbesoldeten Gerichtspraktikanten, der obendrein als Libe¬ raler schlimme Aussichten für seine Laufbahn hatte, einen Korb. In diesem Hause nun hatte Gilm folgendes kleine, aber bedeutsame Gespräch, über das er in einem seiner Briefe an die vielgeliebte Schwester Calor (Katharina) nach Innsbruck berichtete: „Es ist nicht lange her," schreibt er, „war ein Mädchen hier ans Zweibrücken; diese Fremde hatte freiere Ideen, als alle Männer Tirols in hundert Jahren zusammenbringen. Sie frug mich einst, nachdem l^als^j sie sich an unsern herrlichen Bergen nicht satt sehen konnte: »Und in dieser Natur giebt es keine Dichter?« Ich antwortete ihr Tags darauf in einem Gedichte" — und dieses Gedicht teilt er nun in dem Briefe mit.**) Für die Wirkung dieses Gesprächs auf den damals neununzwanzigjährigen Dichter ist es bezeich¬ nend, daß er dieses Antwortgedicht an die Spitze der Sammlung stellte, die er 1863, kurz vor seinem Tode, endlich ordnete. Es war damals in der That so. Von Oswald von Wolkenstein bis auf Gilm hat die tirolische Litteraturgeschichte kein dichterisches Talent höhern Ranges zu verzeichnen. Erst kürzlich sind tirolische Fastnachtsspiele des Vigil Räder aus dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts ausgegraben und ver¬ öffentlicht worden, aber davon wußten Gnus Zeitgenossen nichts. Und es erinnert an den Entschluß des jungen Klopstock, mit Milton um die Puline zu ringen, da das Ausland sich verächtlich über die Unfähigkeit der Deutschen, etwas im Gebiete der „schönen Wissenschaften" zu schaffen, geäußert hatte, wenn Gilm von nun an sich als den berufenen Mann fühlte, der Dichter Tirols zu werden, an dem es fehlte, und diesem Gefühl in stolzer Weise auch sehr häufig Ausdruck verlieh. Schweigen werden meine Lieder, Kein Gesang wird mehr ertönen, Und die Fremden werden wieder Unsre stummen Berge höhnen — singt er beim Abschied von der Geliebten. Und ein andermal in dem Gedichte „Sankt Ulrichs-Kapelle": *) Vergl. Hermann v. Gilm. Sein Leben und seine Dichtungen v. Arnold v. d. Passer. Leipzig, Licbeskind. 1889. Diese Lebensbeschreibung enthält sehr viel wertvolles Mnierial, entbehrt aber allen wissenschaftlichen Geistes. Eine ästhetische Würdigung Gnus ist darin gnr nicht versucht. Hermann Sanders vortreffliches Büchlein ist wohl ausgenutzt, aber totgeschwiegen worden. Vgl. Hermann Sander, Hermann v. Gilm. Innsbruck, Wagner, 1887. S. 31.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/595
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/595>, abgerufen am 28.06.2024.