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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Kuno Fischer über Goethes Iphigenie.
V Düntzer. on

u
r die dritte Generalversammlung der Goethe-Gesellschaft hatte
Kuno Fischer den Festvortrag übernommen; er galt einer der am
meisten besprochenen und die reinste Wirkung dauernd ausübenden
Dichtungen Goethes. Allgemein gespannt war man auf die neuen
Gesichtspunkte, die Fischer der "Iphigenie" abgewinnen würde,
manche hofften auch wohl auf neue Mitteilungen ans dem Goethearchiv.
Aber nicht allein die letztere Erwartung sollte unerfüllt bleiben (das noch
Unbekannte wird der Weimarischen Ausgabe des Stückes zu Gute kommen),
der Festvortrag war auch so weit entfernt, den künstlerischen Wert des Dra¬
mas zu erleuchten, daß er der herrlichen Dichtung vielmehr Gewalt anthat
und, statt uns den Herzschlag derselben fühlen zu lassen, in ihr inneres
Leben einzuführen, von der lebendigen Auffassung durch Winkelzüge ableitete.
Ich bin mir der Tragweite dieses scharfen Urteiles über den jetzt in zweiter
Auflage als erstes Heft von Fischers "Goetheschriftcn" vorliegenden Festvortrag
wohl bewußt, aber, seit einem halben Jahrhundert redlich bemüht, das Ver¬
ständnis Goethes zu fordern, muß ich mich um so bestimmter gegen diese neue
Auffassung erklären, je leichter das Ansehen Fischers und seine selbstbewußte Dar¬
stellung irre führen können.

Der Festredner war nicht abgeneigt, in der Grundidee der Dichtung
eine Verwandtschaft mit der ernsten Stimmung zu finden, in welche seine "große
und heilsame Mission" den Dichter in Weimar versetzt hatte. Mit solchen geist¬
reichen Blicken, die sich um die thatsächliche Wahrheit wenig kümmern, wird
vielfach ein leichtes, ja loses Spiel getrieben. Der Boden, in welchem unser Drama
wurzelt, ist nicht so allgemeiner Art, die Dichtung sollte der Herzogin von
Weimar, die eben nach langer Erwartung das Land mit der Geburt einer Prin¬
zessin erfreut hatte, Goethes Verehrung ihrer hehren, jeder Unreinheit unzu¬
gänglichen Weiblichkeit bezeigen, die er vertraulich so oft ausgesprochen, die ihn
auch bestimmte, in seinen Tagebuchbemerkungen, wo er die Namen der be¬
deutendsten Personen durch Sternzeichen andeutete, ihr das Pentagramm zuzu¬
leiten, das im Altertum Heil und Segen bezeichnet, in den mittlern Zeiten als
Abwehr von allem Bösen galt. Hatte er in den beiden frühern Jahren den
Geburtstag der Fürstin durch dramatische, mit reichem Pomp ausgestattete Spiele
gefeiert, deren Inhalt eine Seelenheilnng war, so wollte er jetzt, wo die nahe
Entbindung eine theatralische Feier ausschloß, der glücklich genesenen seine Hul¬
digung in würdiger Weise zollen, indem er die alles Böse heilende Gewalt
reiner Weiblichkeit in einer die Seele tief ergreifenden, den klassischen Ton an¬
schlagenden, allen theatralischen Prunk ausschließenden Dichtung zur Anschauung
brachte, und zu diesen, Zwecke beschloß er des Euripides Drcnncitisirung der
rohen Tempelsage von dem Raube des in Tauris vom Himmel gefallenen Bildes


Kuno Fischer über Goethes Iphigenie.
V Düntzer. on

u
r die dritte Generalversammlung der Goethe-Gesellschaft hatte
Kuno Fischer den Festvortrag übernommen; er galt einer der am
meisten besprochenen und die reinste Wirkung dauernd ausübenden
Dichtungen Goethes. Allgemein gespannt war man auf die neuen
Gesichtspunkte, die Fischer der „Iphigenie" abgewinnen würde,
manche hofften auch wohl auf neue Mitteilungen ans dem Goethearchiv.
Aber nicht allein die letztere Erwartung sollte unerfüllt bleiben (das noch
Unbekannte wird der Weimarischen Ausgabe des Stückes zu Gute kommen),
der Festvortrag war auch so weit entfernt, den künstlerischen Wert des Dra¬
mas zu erleuchten, daß er der herrlichen Dichtung vielmehr Gewalt anthat
und, statt uns den Herzschlag derselben fühlen zu lassen, in ihr inneres
Leben einzuführen, von der lebendigen Auffassung durch Winkelzüge ableitete.
Ich bin mir der Tragweite dieses scharfen Urteiles über den jetzt in zweiter
Auflage als erstes Heft von Fischers „Goetheschriftcn" vorliegenden Festvortrag
wohl bewußt, aber, seit einem halben Jahrhundert redlich bemüht, das Ver¬
ständnis Goethes zu fordern, muß ich mich um so bestimmter gegen diese neue
Auffassung erklären, je leichter das Ansehen Fischers und seine selbstbewußte Dar¬
stellung irre führen können.

Der Festredner war nicht abgeneigt, in der Grundidee der Dichtung
eine Verwandtschaft mit der ernsten Stimmung zu finden, in welche seine „große
und heilsame Mission" den Dichter in Weimar versetzt hatte. Mit solchen geist¬
reichen Blicken, die sich um die thatsächliche Wahrheit wenig kümmern, wird
vielfach ein leichtes, ja loses Spiel getrieben. Der Boden, in welchem unser Drama
wurzelt, ist nicht so allgemeiner Art, die Dichtung sollte der Herzogin von
Weimar, die eben nach langer Erwartung das Land mit der Geburt einer Prin¬
zessin erfreut hatte, Goethes Verehrung ihrer hehren, jeder Unreinheit unzu¬
gänglichen Weiblichkeit bezeigen, die er vertraulich so oft ausgesprochen, die ihn
auch bestimmte, in seinen Tagebuchbemerkungen, wo er die Namen der be¬
deutendsten Personen durch Sternzeichen andeutete, ihr das Pentagramm zuzu¬
leiten, das im Altertum Heil und Segen bezeichnet, in den mittlern Zeiten als
Abwehr von allem Bösen galt. Hatte er in den beiden frühern Jahren den
Geburtstag der Fürstin durch dramatische, mit reichem Pomp ausgestattete Spiele
gefeiert, deren Inhalt eine Seelenheilnng war, so wollte er jetzt, wo die nahe
Entbindung eine theatralische Feier ausschloß, der glücklich genesenen seine Hul¬
digung in würdiger Weise zollen, indem er die alles Böse heilende Gewalt
reiner Weiblichkeit in einer die Seele tief ergreifenden, den klassischen Ton an¬
schlagenden, allen theatralischen Prunk ausschließenden Dichtung zur Anschauung
brachte, und zu diesen, Zwecke beschloß er des Euripides Drcnncitisirung der
rohen Tempelsage von dem Raube des in Tauris vom Himmel gefallenen Bildes


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[0046] Kuno Fischer über Goethes Iphigenie. V Düntzer. on u r die dritte Generalversammlung der Goethe-Gesellschaft hatte Kuno Fischer den Festvortrag übernommen; er galt einer der am meisten besprochenen und die reinste Wirkung dauernd ausübenden Dichtungen Goethes. Allgemein gespannt war man auf die neuen Gesichtspunkte, die Fischer der „Iphigenie" abgewinnen würde, manche hofften auch wohl auf neue Mitteilungen ans dem Goethearchiv. Aber nicht allein die letztere Erwartung sollte unerfüllt bleiben (das noch Unbekannte wird der Weimarischen Ausgabe des Stückes zu Gute kommen), der Festvortrag war auch so weit entfernt, den künstlerischen Wert des Dra¬ mas zu erleuchten, daß er der herrlichen Dichtung vielmehr Gewalt anthat und, statt uns den Herzschlag derselben fühlen zu lassen, in ihr inneres Leben einzuführen, von der lebendigen Auffassung durch Winkelzüge ableitete. Ich bin mir der Tragweite dieses scharfen Urteiles über den jetzt in zweiter Auflage als erstes Heft von Fischers „Goetheschriftcn" vorliegenden Festvortrag wohl bewußt, aber, seit einem halben Jahrhundert redlich bemüht, das Ver¬ ständnis Goethes zu fordern, muß ich mich um so bestimmter gegen diese neue Auffassung erklären, je leichter das Ansehen Fischers und seine selbstbewußte Dar¬ stellung irre führen können. Der Festredner war nicht abgeneigt, in der Grundidee der Dichtung eine Verwandtschaft mit der ernsten Stimmung zu finden, in welche seine „große und heilsame Mission" den Dichter in Weimar versetzt hatte. Mit solchen geist¬ reichen Blicken, die sich um die thatsächliche Wahrheit wenig kümmern, wird vielfach ein leichtes, ja loses Spiel getrieben. Der Boden, in welchem unser Drama wurzelt, ist nicht so allgemeiner Art, die Dichtung sollte der Herzogin von Weimar, die eben nach langer Erwartung das Land mit der Geburt einer Prin¬ zessin erfreut hatte, Goethes Verehrung ihrer hehren, jeder Unreinheit unzu¬ gänglichen Weiblichkeit bezeigen, die er vertraulich so oft ausgesprochen, die ihn auch bestimmte, in seinen Tagebuchbemerkungen, wo er die Namen der be¬ deutendsten Personen durch Sternzeichen andeutete, ihr das Pentagramm zuzu¬ leiten, das im Altertum Heil und Segen bezeichnet, in den mittlern Zeiten als Abwehr von allem Bösen galt. Hatte er in den beiden frühern Jahren den Geburtstag der Fürstin durch dramatische, mit reichem Pomp ausgestattete Spiele gefeiert, deren Inhalt eine Seelenheilnng war, so wollte er jetzt, wo die nahe Entbindung eine theatralische Feier ausschloß, der glücklich genesenen seine Hul¬ digung in würdiger Weise zollen, indem er die alles Böse heilende Gewalt reiner Weiblichkeit in einer die Seele tief ergreifenden, den klassischen Ton an¬ schlagenden, allen theatralischen Prunk ausschließenden Dichtung zur Anschauung brachte, und zu diesen, Zwecke beschloß er des Euripides Drcnncitisirung der rohen Tempelsage von dem Raube des in Tauris vom Himmel gefallenen Bildes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/46>, abgerufen am 28.06.2024.