Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die ,su'chandelslehre in Geschichte und Wissenschaft.

ein Werkzeug Gottes betrachtet und "Ihm allein die Ehre giebt," was dann
noch obendrein in seltsamer Umkehrung der Sachlage als eine unerhörte "Be¬
scheidenheit und Demut" gepriesen wird." Da drängt man sich mit echt jü¬
discher Aufdringlichkeit, die schon der lebende Kaiser Friedrich erfahren mußte,
noch an den toten heran und verzerrt dessen Aufzeichnungen, deren Treue schon
genug wegen ihrer chronologischen und thatsächlichen Irrtümer mit gutem Recht
bestritten wird, ins Ungeheuerliche. "Moloch hat durch diese Aufzeichnungen
einen Schlag erhalten, den er, wenn anders die Nation des Märtyrertums
würdig ist, das Kaiser Friedrich für sie getragen hat, niemals verändern kann,
niemals vermindern wird." Armer Kaiser Friedrich! von wie schmutzigen Händen
wird doch dein schönes Bild beworfen! In wessen Interesse aber auch diese
Veröffentlichungen schließlich gemacht werden sollten, das geht wohl aus dem
Jmmedicitbericht des Kanzlers an den Kaiser hervor, worin sich auch folgende
Äußerung findet: "Ich besaß nicht die Erlaubnis des Königs, über intimere
Fragen der Politik mit dem Kronprinzen zu sprechen, weil der König Indis¬
kretionen an den von französische"? Sympathien erfüllten englischen Hof fürchtete
und andrerseits Schädigung unsrer Beziehungen zu den deutschen Bundesgenossen
wegen der zu weit gesteckten Ziele und gewaltsamen Mittel, die dem Kron¬
prinzen von zweifelhaften Ratgebern empfohlen waren." So weit ist es also
durch diese Veröffentlichungen gekommen, daß der Kanzler jetzt xost tot äis-
vilmwg. rsruin, diese Dinge enthüllen mußte. Wohin steuerten wir unter dieser
Flagge, und auf was für Untiefen war unser Schiff gelenkt!

Aber weg von diesem Bilde. Wenige Tage nach der Veröffentlichung
dieses Tagebuches trat unser Kaiser seine Romfahrt an.




Die Freihandelslehre in Geschichte und Wissenschaft.

er Grundzug der Handels- und Gewcrbepolitik war früher gewöhn¬
lich protektionistisch und, was damit verknüpft ist, auf ein be¬
stimmtes, begrenztes Ländergebiet berechnet. Nicht immer deckten
sich diese wirtschaftlichen Grenzen mit den Grenzen des Staates,
sie erreichten die letztern häufig nicht und lösten damit den politisch
einheitlichen Staat in mehrere selbständige Wirtschaftsgebiete auf. Erleuchtete
Staatsmänner wie Colbert haben schon früher dieser wirtschaftlichen Zerrissen¬
heit ihres Vaterlandes ein Ende gemacht, in dem auch politisch gespaltenen
Deutschland ist dies erst in diesem Jahrhundert mit der Gründung des Zoll-


Die ,su'chandelslehre in Geschichte und Wissenschaft.

ein Werkzeug Gottes betrachtet und »Ihm allein die Ehre giebt,« was dann
noch obendrein in seltsamer Umkehrung der Sachlage als eine unerhörte »Be¬
scheidenheit und Demut« gepriesen wird." Da drängt man sich mit echt jü¬
discher Aufdringlichkeit, die schon der lebende Kaiser Friedrich erfahren mußte,
noch an den toten heran und verzerrt dessen Aufzeichnungen, deren Treue schon
genug wegen ihrer chronologischen und thatsächlichen Irrtümer mit gutem Recht
bestritten wird, ins Ungeheuerliche. „Moloch hat durch diese Aufzeichnungen
einen Schlag erhalten, den er, wenn anders die Nation des Märtyrertums
würdig ist, das Kaiser Friedrich für sie getragen hat, niemals verändern kann,
niemals vermindern wird." Armer Kaiser Friedrich! von wie schmutzigen Händen
wird doch dein schönes Bild beworfen! In wessen Interesse aber auch diese
Veröffentlichungen schließlich gemacht werden sollten, das geht wohl aus dem
Jmmedicitbericht des Kanzlers an den Kaiser hervor, worin sich auch folgende
Äußerung findet: „Ich besaß nicht die Erlaubnis des Königs, über intimere
Fragen der Politik mit dem Kronprinzen zu sprechen, weil der König Indis¬
kretionen an den von französische«? Sympathien erfüllten englischen Hof fürchtete
und andrerseits Schädigung unsrer Beziehungen zu den deutschen Bundesgenossen
wegen der zu weit gesteckten Ziele und gewaltsamen Mittel, die dem Kron¬
prinzen von zweifelhaften Ratgebern empfohlen waren." So weit ist es also
durch diese Veröffentlichungen gekommen, daß der Kanzler jetzt xost tot äis-
vilmwg. rsruin, diese Dinge enthüllen mußte. Wohin steuerten wir unter dieser
Flagge, und auf was für Untiefen war unser Schiff gelenkt!

Aber weg von diesem Bilde. Wenige Tage nach der Veröffentlichung
dieses Tagebuches trat unser Kaiser seine Romfahrt an.




Die Freihandelslehre in Geschichte und Wissenschaft.

er Grundzug der Handels- und Gewcrbepolitik war früher gewöhn¬
lich protektionistisch und, was damit verknüpft ist, auf ein be¬
stimmtes, begrenztes Ländergebiet berechnet. Nicht immer deckten
sich diese wirtschaftlichen Grenzen mit den Grenzen des Staates,
sie erreichten die letztern häufig nicht und lösten damit den politisch
einheitlichen Staat in mehrere selbständige Wirtschaftsgebiete auf. Erleuchtete
Staatsmänner wie Colbert haben schon früher dieser wirtschaftlichen Zerrissen¬
heit ihres Vaterlandes ein Ende gemacht, in dem auch politisch gespaltenen
Deutschland ist dies erst in diesem Jahrhundert mit der Gründung des Zoll-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0214" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203649"/>
          <fw type="header" place="top"> Die ,su'chandelslehre in Geschichte und Wissenschaft.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_498" prev="#ID_497"> ein Werkzeug Gottes betrachtet und »Ihm allein die Ehre giebt,« was dann<lb/>
noch obendrein in seltsamer Umkehrung der Sachlage als eine unerhörte »Be¬<lb/>
scheidenheit und Demut« gepriesen wird." Da drängt man sich mit echt jü¬<lb/>
discher Aufdringlichkeit, die schon der lebende Kaiser Friedrich erfahren mußte,<lb/>
noch an den toten heran und verzerrt dessen Aufzeichnungen, deren Treue schon<lb/>
genug wegen ihrer chronologischen und thatsächlichen Irrtümer mit gutem Recht<lb/>
bestritten wird, ins Ungeheuerliche. &#x201E;Moloch hat durch diese Aufzeichnungen<lb/>
einen Schlag erhalten, den er, wenn anders die Nation des Märtyrertums<lb/>
würdig ist, das Kaiser Friedrich für sie getragen hat, niemals verändern kann,<lb/>
niemals vermindern wird." Armer Kaiser Friedrich! von wie schmutzigen Händen<lb/>
wird doch dein schönes Bild beworfen! In wessen Interesse aber auch diese<lb/>
Veröffentlichungen schließlich gemacht werden sollten, das geht wohl aus dem<lb/>
Jmmedicitbericht des Kanzlers an den Kaiser hervor, worin sich auch folgende<lb/>
Äußerung findet: &#x201E;Ich besaß nicht die Erlaubnis des Königs, über intimere<lb/>
Fragen der Politik mit dem Kronprinzen zu sprechen, weil der König Indis¬<lb/>
kretionen an den von französische«? Sympathien erfüllten englischen Hof fürchtete<lb/>
und andrerseits Schädigung unsrer Beziehungen zu den deutschen Bundesgenossen<lb/>
wegen der zu weit gesteckten Ziele und gewaltsamen Mittel, die dem Kron¬<lb/>
prinzen von zweifelhaften Ratgebern empfohlen waren." So weit ist es also<lb/>
durch diese Veröffentlichungen gekommen, daß der Kanzler jetzt xost tot äis-<lb/>
vilmwg. rsruin, diese Dinge enthüllen mußte. Wohin steuerten wir unter dieser<lb/>
Flagge, und auf was für Untiefen war unser Schiff gelenkt!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_499"> Aber weg von diesem Bilde. Wenige Tage nach der Veröffentlichung<lb/>
dieses Tagebuches trat unser Kaiser seine Romfahrt an.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Freihandelslehre in Geschichte und Wissenschaft.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_500" next="#ID_501"> er Grundzug der Handels- und Gewcrbepolitik war früher gewöhn¬<lb/>
lich protektionistisch und, was damit verknüpft ist, auf ein be¬<lb/>
stimmtes, begrenztes Ländergebiet berechnet. Nicht immer deckten<lb/>
sich diese wirtschaftlichen Grenzen mit den Grenzen des Staates,<lb/>
sie erreichten die letztern häufig nicht und lösten damit den politisch<lb/>
einheitlichen Staat in mehrere selbständige Wirtschaftsgebiete auf. Erleuchtete<lb/>
Staatsmänner wie Colbert haben schon früher dieser wirtschaftlichen Zerrissen¬<lb/>
heit ihres Vaterlandes ein Ende gemacht, in dem auch politisch gespaltenen<lb/>
Deutschland ist dies erst in diesem Jahrhundert mit der Gründung des Zoll-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0214] Die ,su'chandelslehre in Geschichte und Wissenschaft. ein Werkzeug Gottes betrachtet und »Ihm allein die Ehre giebt,« was dann noch obendrein in seltsamer Umkehrung der Sachlage als eine unerhörte »Be¬ scheidenheit und Demut« gepriesen wird." Da drängt man sich mit echt jü¬ discher Aufdringlichkeit, die schon der lebende Kaiser Friedrich erfahren mußte, noch an den toten heran und verzerrt dessen Aufzeichnungen, deren Treue schon genug wegen ihrer chronologischen und thatsächlichen Irrtümer mit gutem Recht bestritten wird, ins Ungeheuerliche. „Moloch hat durch diese Aufzeichnungen einen Schlag erhalten, den er, wenn anders die Nation des Märtyrertums würdig ist, das Kaiser Friedrich für sie getragen hat, niemals verändern kann, niemals vermindern wird." Armer Kaiser Friedrich! von wie schmutzigen Händen wird doch dein schönes Bild beworfen! In wessen Interesse aber auch diese Veröffentlichungen schließlich gemacht werden sollten, das geht wohl aus dem Jmmedicitbericht des Kanzlers an den Kaiser hervor, worin sich auch folgende Äußerung findet: „Ich besaß nicht die Erlaubnis des Königs, über intimere Fragen der Politik mit dem Kronprinzen zu sprechen, weil der König Indis¬ kretionen an den von französische«? Sympathien erfüllten englischen Hof fürchtete und andrerseits Schädigung unsrer Beziehungen zu den deutschen Bundesgenossen wegen der zu weit gesteckten Ziele und gewaltsamen Mittel, die dem Kron¬ prinzen von zweifelhaften Ratgebern empfohlen waren." So weit ist es also durch diese Veröffentlichungen gekommen, daß der Kanzler jetzt xost tot äis- vilmwg. rsruin, diese Dinge enthüllen mußte. Wohin steuerten wir unter dieser Flagge, und auf was für Untiefen war unser Schiff gelenkt! Aber weg von diesem Bilde. Wenige Tage nach der Veröffentlichung dieses Tagebuches trat unser Kaiser seine Romfahrt an. Die Freihandelslehre in Geschichte und Wissenschaft. er Grundzug der Handels- und Gewcrbepolitik war früher gewöhn¬ lich protektionistisch und, was damit verknüpft ist, auf ein be¬ stimmtes, begrenztes Ländergebiet berechnet. Nicht immer deckten sich diese wirtschaftlichen Grenzen mit den Grenzen des Staates, sie erreichten die letztern häufig nicht und lösten damit den politisch einheitlichen Staat in mehrere selbständige Wirtschaftsgebiete auf. Erleuchtete Staatsmänner wie Colbert haben schon früher dieser wirtschaftlichen Zerrissen¬ heit ihres Vaterlandes ein Ende gemacht, in dem auch politisch gespaltenen Deutschland ist dies erst in diesem Jahrhundert mit der Gründung des Zoll-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/214
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/214>, abgerufen am 24.08.2024.