Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
von der Nordlandfahrt bis zur Romfahrt.

für Deutschland, in dem wir das Bild eines Volkes, das selbst denkt und selbst
handelt, geschaut haben." Die mächtige Bewegung von damals, der auch "die
Fürsten und Regierungen Rechnung zu tragen begannen," hat nur Bismarck
gestört, "dessen Abneigung gegen die Selbstthätigkeit .des Volkes, so groß ist,
daß er einen Beitrag des Nationalvereins zur Gründung der deutschen Flotte
sdie Spielerei mit der Sechsersammlungj verschmähte." Eine großartige Ge¬
schichtsanschauung, die des "Organs für jedermann!" Ist es doch dieselbe, die
auf dem Abgeordnetentage zu Frankfurt im Jahre 1862 nach dem Rezept von
Schultze-Delitzsch "Preußen den Großmachtskitzel austreiben" wollte. Ja, das
waren noch große Männer! Die standen noch vor dem Throne, so wie Johann
Jacoby dereinst gestanden hatte, "stets in der aufrecht stolzen Haltung eines
großen Bürgers," wie dasselbe "Organ" in einem setzenden Leitartikel mit der Über¬
schrift "Lernt hassen!" so unübertrefflich schön sagt. Da wird Johann Jacoby mit
Cato verglichen, nur daß "Fürst Bismarck noch lange nicht Caesar und Jacoby
weit mehr als Cato war." Wer lacht da? Das ist Geschichtschreibung in
Kanaan!

Von der Fortschrittspresse lärmend begrüßt wurde die Publikation eines
Teiles der Tagebuchblätter Friedrichs III. Dr. Geffken und wer sonst noch
hinter dieser Veröffentlichung steht, hat ebenso unpolitisch als pietätlos ge¬
handelt. Daß Kaiser Friedrich selbst noch die Berechtigung zu der Veröffent¬
lichung erteilt habe, ist nicht anzunehmen. Um so mehr liegt es nahe, an per¬
sönliche Zwecke zu denken, die durch diese litterarische Sensationsmacherei ver¬
folgt werden sollten. Dinge, wie die Erzählung von Bismarcks angeblicher
Äußerung, nach dem Kriege gegen die Unfehlbarkeit vorgehen zu wollen, die
satirischen Bemerkungen über Friedrich Karl, die Geschichte von dem Konzept
des Briefes, das Bismarck an den Baiernkönig geschickt haben soll, und was
der unnützen Enthüllungen mehr sind, die am allerwenigsten ein "wichtiger Bei¬
trag zur Geschichte jener Zeit" sind, können nur von einer ganz indiskreten,
Deutschland wenig glückbringenden Hand an die große Glocke gehängt worden
sein. Welchen Erfolg die Veröffentlichung dieser Tagebuchblätter hat, das sieht
man wieder aus einem Artikel der "Volkszeitung", überschrieben: "Ein Denkmal
dauernder als Erz." Das "Organ" sieht in ihnen ein inMumsutuw, asrö xörsn-
ums, "welches dauern wird, wenn die Bildsäulen so und so vieler brillanter
und schneidiger Generale von einer vernünftigem Nachwelt nur noch nach dem
Werte alten Eisens werden abgeschätzt werden." Der Artikel geht noch weiter
in seinen Frechheiten. Um den Sohn zu ehren, wird der Vater gehöhnt. Da
wird von der echten, tiefen Religiosität Friedrichs gesprochen, um mit jüdischer
Perfidie Kaiser Wilhelms religiösen Charakter zu besudeln: "Es ist ja doch
keine dreistere Verletzung alles religiösen Empfindens möglich, als wenn nach
einer Schlacht oder einem Kriege, in welchem die besser schießende Flinte und
der schärfer hauende Säbel den Sieg davon getragen haben, der Sieger sich als


von der Nordlandfahrt bis zur Romfahrt.

für Deutschland, in dem wir das Bild eines Volkes, das selbst denkt und selbst
handelt, geschaut haben." Die mächtige Bewegung von damals, der auch „die
Fürsten und Regierungen Rechnung zu tragen begannen," hat nur Bismarck
gestört, „dessen Abneigung gegen die Selbstthätigkeit .des Volkes, so groß ist,
daß er einen Beitrag des Nationalvereins zur Gründung der deutschen Flotte
sdie Spielerei mit der Sechsersammlungj verschmähte." Eine großartige Ge¬
schichtsanschauung, die des „Organs für jedermann!" Ist es doch dieselbe, die
auf dem Abgeordnetentage zu Frankfurt im Jahre 1862 nach dem Rezept von
Schultze-Delitzsch „Preußen den Großmachtskitzel austreiben" wollte. Ja, das
waren noch große Männer! Die standen noch vor dem Throne, so wie Johann
Jacoby dereinst gestanden hatte, „stets in der aufrecht stolzen Haltung eines
großen Bürgers," wie dasselbe „Organ" in einem setzenden Leitartikel mit der Über¬
schrift „Lernt hassen!" so unübertrefflich schön sagt. Da wird Johann Jacoby mit
Cato verglichen, nur daß „Fürst Bismarck noch lange nicht Caesar und Jacoby
weit mehr als Cato war." Wer lacht da? Das ist Geschichtschreibung in
Kanaan!

Von der Fortschrittspresse lärmend begrüßt wurde die Publikation eines
Teiles der Tagebuchblätter Friedrichs III. Dr. Geffken und wer sonst noch
hinter dieser Veröffentlichung steht, hat ebenso unpolitisch als pietätlos ge¬
handelt. Daß Kaiser Friedrich selbst noch die Berechtigung zu der Veröffent¬
lichung erteilt habe, ist nicht anzunehmen. Um so mehr liegt es nahe, an per¬
sönliche Zwecke zu denken, die durch diese litterarische Sensationsmacherei ver¬
folgt werden sollten. Dinge, wie die Erzählung von Bismarcks angeblicher
Äußerung, nach dem Kriege gegen die Unfehlbarkeit vorgehen zu wollen, die
satirischen Bemerkungen über Friedrich Karl, die Geschichte von dem Konzept
des Briefes, das Bismarck an den Baiernkönig geschickt haben soll, und was
der unnützen Enthüllungen mehr sind, die am allerwenigsten ein „wichtiger Bei¬
trag zur Geschichte jener Zeit" sind, können nur von einer ganz indiskreten,
Deutschland wenig glückbringenden Hand an die große Glocke gehängt worden
sein. Welchen Erfolg die Veröffentlichung dieser Tagebuchblätter hat, das sieht
man wieder aus einem Artikel der „Volkszeitung", überschrieben: „Ein Denkmal
dauernder als Erz." Das „Organ" sieht in ihnen ein inMumsutuw, asrö xörsn-
ums, „welches dauern wird, wenn die Bildsäulen so und so vieler brillanter
und schneidiger Generale von einer vernünftigem Nachwelt nur noch nach dem
Werte alten Eisens werden abgeschätzt werden." Der Artikel geht noch weiter
in seinen Frechheiten. Um den Sohn zu ehren, wird der Vater gehöhnt. Da
wird von der echten, tiefen Religiosität Friedrichs gesprochen, um mit jüdischer
Perfidie Kaiser Wilhelms religiösen Charakter zu besudeln: „Es ist ja doch
keine dreistere Verletzung alles religiösen Empfindens möglich, als wenn nach
einer Schlacht oder einem Kriege, in welchem die besser schießende Flinte und
der schärfer hauende Säbel den Sieg davon getragen haben, der Sieger sich als


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0213" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203648"/>
          <fw type="header" place="top"> von der Nordlandfahrt bis zur Romfahrt.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_496" prev="#ID_495"> für Deutschland, in dem wir das Bild eines Volkes, das selbst denkt und selbst<lb/>
handelt, geschaut haben." Die mächtige Bewegung von damals, der auch &#x201E;die<lb/>
Fürsten und Regierungen Rechnung zu tragen begannen," hat nur Bismarck<lb/>
gestört, &#x201E;dessen Abneigung gegen die Selbstthätigkeit .des Volkes, so groß ist,<lb/>
daß er einen Beitrag des Nationalvereins zur Gründung der deutschen Flotte<lb/>
sdie Spielerei mit der Sechsersammlungj verschmähte." Eine großartige Ge¬<lb/>
schichtsanschauung, die des &#x201E;Organs für jedermann!" Ist es doch dieselbe, die<lb/>
auf dem Abgeordnetentage zu Frankfurt im Jahre 1862 nach dem Rezept von<lb/>
Schultze-Delitzsch &#x201E;Preußen den Großmachtskitzel austreiben" wollte. Ja, das<lb/>
waren noch große Männer! Die standen noch vor dem Throne, so wie Johann<lb/>
Jacoby dereinst gestanden hatte, &#x201E;stets in der aufrecht stolzen Haltung eines<lb/>
großen Bürgers," wie dasselbe &#x201E;Organ" in einem setzenden Leitartikel mit der Über¬<lb/>
schrift &#x201E;Lernt hassen!" so unübertrefflich schön sagt. Da wird Johann Jacoby mit<lb/>
Cato verglichen, nur daß &#x201E;Fürst Bismarck noch lange nicht Caesar und Jacoby<lb/>
weit mehr als Cato war." Wer lacht da? Das ist Geschichtschreibung in<lb/>
Kanaan!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_497" next="#ID_498"> Von der Fortschrittspresse lärmend begrüßt wurde die Publikation eines<lb/>
Teiles der Tagebuchblätter Friedrichs III. Dr. Geffken und wer sonst noch<lb/>
hinter dieser Veröffentlichung steht, hat ebenso unpolitisch als pietätlos ge¬<lb/>
handelt. Daß Kaiser Friedrich selbst noch die Berechtigung zu der Veröffent¬<lb/>
lichung erteilt habe, ist nicht anzunehmen. Um so mehr liegt es nahe, an per¬<lb/>
sönliche Zwecke zu denken, die durch diese litterarische Sensationsmacherei ver¬<lb/>
folgt werden sollten. Dinge, wie die Erzählung von Bismarcks angeblicher<lb/>
Äußerung, nach dem Kriege gegen die Unfehlbarkeit vorgehen zu wollen, die<lb/>
satirischen Bemerkungen über Friedrich Karl, die Geschichte von dem Konzept<lb/>
des Briefes, das Bismarck an den Baiernkönig geschickt haben soll, und was<lb/>
der unnützen Enthüllungen mehr sind, die am allerwenigsten ein &#x201E;wichtiger Bei¬<lb/>
trag zur Geschichte jener Zeit" sind, können nur von einer ganz indiskreten,<lb/>
Deutschland wenig glückbringenden Hand an die große Glocke gehängt worden<lb/>
sein. Welchen Erfolg die Veröffentlichung dieser Tagebuchblätter hat, das sieht<lb/>
man wieder aus einem Artikel der &#x201E;Volkszeitung", überschrieben: &#x201E;Ein Denkmal<lb/>
dauernder als Erz." Das &#x201E;Organ" sieht in ihnen ein inMumsutuw, asrö xörsn-<lb/>
ums, &#x201E;welches dauern wird, wenn die Bildsäulen so und so vieler brillanter<lb/>
und schneidiger Generale von einer vernünftigem Nachwelt nur noch nach dem<lb/>
Werte alten Eisens werden abgeschätzt werden." Der Artikel geht noch weiter<lb/>
in seinen Frechheiten. Um den Sohn zu ehren, wird der Vater gehöhnt. Da<lb/>
wird von der echten, tiefen Religiosität Friedrichs gesprochen, um mit jüdischer<lb/>
Perfidie Kaiser Wilhelms religiösen Charakter zu besudeln: &#x201E;Es ist ja doch<lb/>
keine dreistere Verletzung alles religiösen Empfindens möglich, als wenn nach<lb/>
einer Schlacht oder einem Kriege, in welchem die besser schießende Flinte und<lb/>
der schärfer hauende Säbel den Sieg davon getragen haben, der Sieger sich als</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0213] von der Nordlandfahrt bis zur Romfahrt. für Deutschland, in dem wir das Bild eines Volkes, das selbst denkt und selbst handelt, geschaut haben." Die mächtige Bewegung von damals, der auch „die Fürsten und Regierungen Rechnung zu tragen begannen," hat nur Bismarck gestört, „dessen Abneigung gegen die Selbstthätigkeit .des Volkes, so groß ist, daß er einen Beitrag des Nationalvereins zur Gründung der deutschen Flotte sdie Spielerei mit der Sechsersammlungj verschmähte." Eine großartige Ge¬ schichtsanschauung, die des „Organs für jedermann!" Ist es doch dieselbe, die auf dem Abgeordnetentage zu Frankfurt im Jahre 1862 nach dem Rezept von Schultze-Delitzsch „Preußen den Großmachtskitzel austreiben" wollte. Ja, das waren noch große Männer! Die standen noch vor dem Throne, so wie Johann Jacoby dereinst gestanden hatte, „stets in der aufrecht stolzen Haltung eines großen Bürgers," wie dasselbe „Organ" in einem setzenden Leitartikel mit der Über¬ schrift „Lernt hassen!" so unübertrefflich schön sagt. Da wird Johann Jacoby mit Cato verglichen, nur daß „Fürst Bismarck noch lange nicht Caesar und Jacoby weit mehr als Cato war." Wer lacht da? Das ist Geschichtschreibung in Kanaan! Von der Fortschrittspresse lärmend begrüßt wurde die Publikation eines Teiles der Tagebuchblätter Friedrichs III. Dr. Geffken und wer sonst noch hinter dieser Veröffentlichung steht, hat ebenso unpolitisch als pietätlos ge¬ handelt. Daß Kaiser Friedrich selbst noch die Berechtigung zu der Veröffent¬ lichung erteilt habe, ist nicht anzunehmen. Um so mehr liegt es nahe, an per¬ sönliche Zwecke zu denken, die durch diese litterarische Sensationsmacherei ver¬ folgt werden sollten. Dinge, wie die Erzählung von Bismarcks angeblicher Äußerung, nach dem Kriege gegen die Unfehlbarkeit vorgehen zu wollen, die satirischen Bemerkungen über Friedrich Karl, die Geschichte von dem Konzept des Briefes, das Bismarck an den Baiernkönig geschickt haben soll, und was der unnützen Enthüllungen mehr sind, die am allerwenigsten ein „wichtiger Bei¬ trag zur Geschichte jener Zeit" sind, können nur von einer ganz indiskreten, Deutschland wenig glückbringenden Hand an die große Glocke gehängt worden sein. Welchen Erfolg die Veröffentlichung dieser Tagebuchblätter hat, das sieht man wieder aus einem Artikel der „Volkszeitung", überschrieben: „Ein Denkmal dauernder als Erz." Das „Organ" sieht in ihnen ein inMumsutuw, asrö xörsn- ums, „welches dauern wird, wenn die Bildsäulen so und so vieler brillanter und schneidiger Generale von einer vernünftigem Nachwelt nur noch nach dem Werte alten Eisens werden abgeschätzt werden." Der Artikel geht noch weiter in seinen Frechheiten. Um den Sohn zu ehren, wird der Vater gehöhnt. Da wird von der echten, tiefen Religiosität Friedrichs gesprochen, um mit jüdischer Perfidie Kaiser Wilhelms religiösen Charakter zu besudeln: „Es ist ja doch keine dreistere Verletzung alles religiösen Empfindens möglich, als wenn nach einer Schlacht oder einem Kriege, in welchem die besser schießende Flinte und der schärfer hauende Säbel den Sieg davon getragen haben, der Sieger sich als

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/213
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/213>, abgerufen am 24.08.2024.