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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Lehren der deutschen Strafstatistik.

eit kurzem liegen die Ergebnisse der deutschen Strafrechtspflege
für das Jahr 1886 vor. Mit gewohnter Umsicht und
Sorgfalt haben sich das Rcichsjustizamt und das Statistische
Amt des Reiches bemüht, diese neueste Veröffentlichung ihren
Vorgängern würdig an die Seite zu stellen. Wer das Leben
des deutschen Volkes beobachten will, wird nicht umhin können, die Fülle
von Zahlen und Mitteilungen, welche uns hier entgegentreten, in ausge¬
dehntesten Maße zu berücksichtigen; in dem toten Zahlengewirre ist eine Summe
sozialen Elends, sozialer Entartung verkörpert, die die tiefsten Aufschlüsse über
unsre Zeit und ihre Krankheiten giebt. Wer, dem die Besserung der gesell¬
schaftlichen Zustände wahrhaft am Herzen liegt, könnte gleichgiltig an diesen
Rechenschaftsberichten des Lasters und Verbrechens vorübergehen, welcher
Staatsmann, welcher Volkswirt könnte die Ergebnisse derselben bei seinen Be¬
mühungen, die Wohlfahrt zu heben, als nicht vorhanden betrachten? Mit
vollem Rechte steigert sich das Interesse der weitesten Kreise unsers Volkes an
ihnen von Jahr zu Jahr. Zwei Punkte beanspruchen aber die Aufmerksamkeit
des Rechtsgelehrten und Volkswirtes gleichmäßig, die fortwährende Vermin¬
derung der Diebstähle und die fortwährende Vermehrung der Körperverletzungen
und einiger verwandten Strafthaten.

Seit dem Jahre 1882, wo die Ergebnisse der Strafrechtspflege von Reichs
wegen zuerst veröffentlicht wurden, ist die Zahl der Diebstähle, und zwar sowohl
der einfachen wie der schweren, fortwährend gesunken. Wenn man den Bestand,
den diese strafbaren Handlungen 1882 erreichten, mit der für das Jahr 1886
festgestellten Zahl vergleicht, so erhält man das Ergebnis, daß der Unterschied
zwischen dieser und jenem nicht viel weniger als 15,000 beträgt. Es wurden also im
Jahre 1886 bei den Gerichten des deutschen Reiches fast 15,000 Personen weniger
als im Jahre 1882 wegen Verübung eines Diebstahls verurteilt. Da wir nun
als zuverlässig voraussetzen dürfen, daß die Energie der Strafverfolgungs¬
behörden in dem erstern Jahre dieselbe war wie in dem letztern, da während
der dazwischen liegenden Zeit weder das Strafrecht noch das Strafverfahren
eine auf die Aufspürung der Verbrechen einflußreiche Aenderung erlitten hat,




Die Lehren der deutschen Strafstatistik.

eit kurzem liegen die Ergebnisse der deutschen Strafrechtspflege
für das Jahr 1886 vor. Mit gewohnter Umsicht und
Sorgfalt haben sich das Rcichsjustizamt und das Statistische
Amt des Reiches bemüht, diese neueste Veröffentlichung ihren
Vorgängern würdig an die Seite zu stellen. Wer das Leben
des deutschen Volkes beobachten will, wird nicht umhin können, die Fülle
von Zahlen und Mitteilungen, welche uns hier entgegentreten, in ausge¬
dehntesten Maße zu berücksichtigen; in dem toten Zahlengewirre ist eine Summe
sozialen Elends, sozialer Entartung verkörpert, die die tiefsten Aufschlüsse über
unsre Zeit und ihre Krankheiten giebt. Wer, dem die Besserung der gesell¬
schaftlichen Zustände wahrhaft am Herzen liegt, könnte gleichgiltig an diesen
Rechenschaftsberichten des Lasters und Verbrechens vorübergehen, welcher
Staatsmann, welcher Volkswirt könnte die Ergebnisse derselben bei seinen Be¬
mühungen, die Wohlfahrt zu heben, als nicht vorhanden betrachten? Mit
vollem Rechte steigert sich das Interesse der weitesten Kreise unsers Volkes an
ihnen von Jahr zu Jahr. Zwei Punkte beanspruchen aber die Aufmerksamkeit
des Rechtsgelehrten und Volkswirtes gleichmäßig, die fortwährende Vermin¬
derung der Diebstähle und die fortwährende Vermehrung der Körperverletzungen
und einiger verwandten Strafthaten.

Seit dem Jahre 1882, wo die Ergebnisse der Strafrechtspflege von Reichs
wegen zuerst veröffentlicht wurden, ist die Zahl der Diebstähle, und zwar sowohl
der einfachen wie der schweren, fortwährend gesunken. Wenn man den Bestand,
den diese strafbaren Handlungen 1882 erreichten, mit der für das Jahr 1886
festgestellten Zahl vergleicht, so erhält man das Ergebnis, daß der Unterschied
zwischen dieser und jenem nicht viel weniger als 15,000 beträgt. Es wurden also im
Jahre 1886 bei den Gerichten des deutschen Reiches fast 15,000 Personen weniger
als im Jahre 1882 wegen Verübung eines Diebstahls verurteilt. Da wir nun
als zuverlässig voraussetzen dürfen, daß die Energie der Strafverfolgungs¬
behörden in dem erstern Jahre dieselbe war wie in dem letztern, da während
der dazwischen liegenden Zeit weder das Strafrecht noch das Strafverfahren
eine auf die Aufspürung der Verbrechen einflußreiche Aenderung erlitten hat,


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[0020] [Abbildung] Die Lehren der deutschen Strafstatistik. eit kurzem liegen die Ergebnisse der deutschen Strafrechtspflege für das Jahr 1886 vor. Mit gewohnter Umsicht und Sorgfalt haben sich das Rcichsjustizamt und das Statistische Amt des Reiches bemüht, diese neueste Veröffentlichung ihren Vorgängern würdig an die Seite zu stellen. Wer das Leben des deutschen Volkes beobachten will, wird nicht umhin können, die Fülle von Zahlen und Mitteilungen, welche uns hier entgegentreten, in ausge¬ dehntesten Maße zu berücksichtigen; in dem toten Zahlengewirre ist eine Summe sozialen Elends, sozialer Entartung verkörpert, die die tiefsten Aufschlüsse über unsre Zeit und ihre Krankheiten giebt. Wer, dem die Besserung der gesell¬ schaftlichen Zustände wahrhaft am Herzen liegt, könnte gleichgiltig an diesen Rechenschaftsberichten des Lasters und Verbrechens vorübergehen, welcher Staatsmann, welcher Volkswirt könnte die Ergebnisse derselben bei seinen Be¬ mühungen, die Wohlfahrt zu heben, als nicht vorhanden betrachten? Mit vollem Rechte steigert sich das Interesse der weitesten Kreise unsers Volkes an ihnen von Jahr zu Jahr. Zwei Punkte beanspruchen aber die Aufmerksamkeit des Rechtsgelehrten und Volkswirtes gleichmäßig, die fortwährende Vermin¬ derung der Diebstähle und die fortwährende Vermehrung der Körperverletzungen und einiger verwandten Strafthaten. Seit dem Jahre 1882, wo die Ergebnisse der Strafrechtspflege von Reichs wegen zuerst veröffentlicht wurden, ist die Zahl der Diebstähle, und zwar sowohl der einfachen wie der schweren, fortwährend gesunken. Wenn man den Bestand, den diese strafbaren Handlungen 1882 erreichten, mit der für das Jahr 1886 festgestellten Zahl vergleicht, so erhält man das Ergebnis, daß der Unterschied zwischen dieser und jenem nicht viel weniger als 15,000 beträgt. Es wurden also im Jahre 1886 bei den Gerichten des deutschen Reiches fast 15,000 Personen weniger als im Jahre 1882 wegen Verübung eines Diebstahls verurteilt. Da wir nun als zuverlässig voraussetzen dürfen, daß die Energie der Strafverfolgungs¬ behörden in dem erstern Jahre dieselbe war wie in dem letztern, da während der dazwischen liegenden Zeit weder das Strafrecht noch das Strafverfahren eine auf die Aufspürung der Verbrechen einflußreiche Aenderung erlitten hat,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/20>, abgerufen am 28.06.2024.