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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und Schopenhauer.

im kaiserlichen Heere. Mehr noch als diese kleinen "Dynasten" gingen aber
die vielen geistlichen Fürsten und Herren mit Österreich, ihrer einzigen Stütze,
durch dick und dünn; sie gerade hatten durch ihr immer gleichmäßiges Ab¬
stimmen am Reichstage zu Regensburg: das "In omvibus Siout. ^.ustria" im vorigen
Jahrhundert geradezu sprichwörtlich gemacht. Alle diese Gründe aber erklären
noch nicht genügend, warum in allen wichtigen Fragen die meisten Länder
und Ländchen fast unbedingt, ohne Bedenken und Erwägen der österreichischen
Leitung folgten.

(Schluß folgt.)




Goethe und Schopenhauer.
Franz Pfalz. von

as erste Haus, in das Goethe seine Christiane als Frau Geheim-
rätin von Goethe einführte, war das der Romanschriftstellerin
Johanna Schopenhauer. Ihr traute er die Größe der Gesin¬
nung und den Takt zu, als freiwillige Vermittlerin der Neuver¬
mählten die Aussöhnung mit der aristokratischen Gesellschaft
Weimars zu erleichtern. Johanna Schopenhauer war die Witwe eines Dan-
ziger Kaufherrn, der, als seine Vaterstadt 1793 preußisch wurde, alle Vorteile
eines festgegründeten Geschäftes und einer angesehenen Stellung aufgegeben hatte
und nach Hamburg übergesiedelt war, um reichsfreistädtischer Bürger bleiben
zu können. Hier war er im Jahre 1805 durch den Sturz aus einer hohen
Speichervffuung in den Kanal plötzlich ums Leben gekommen, und es ging das
Gerücht, daß er in einem Anfalle von Geistesstörung sich selbst den Tod ge¬
geben habe. Johanna hatte dem zwanzig Jahre älteren Gemahl nicht das junge,
warme Herz, sondern die Empfänglichkeit des jungen Verstandes entgegengebracht,
sie hatte ihn wohl verehrt, aber nicht geliebt. Als sie durch den Wegzug von
Danzig dem heimatlichen Boden entrissen wurde, drängte ihre geistige Beweg¬
lichkeit all ihr Sinnen und Denken immer mehr nach außen; der jungen, reichen
Frau war nur wohl auf Reisen. Da ihr Gemahl, um ihr gefällig zu sein und
weil auch er die alte Heimat vermißte, ihrer Neigung bereitwillig nachgab,
so verbrachte die Familie den größten Teil der zwölf Jahre, die ihr Ham¬
burger Leben ausmachten, auf der Wanderung durch England, Frankreich,
die Schweiz, Österreich, Preußen. Auch nach dem Tode ihres Mannes wechselte
Johanna ihren Wohnsitz so oft, daß sie immer auf Reisen zu sein schien. Ihr
außerordentliches gesellschaftliches Talent, ihre weit ausgebreitete Kenntnis der


Goethe und Schopenhauer.

im kaiserlichen Heere. Mehr noch als diese kleinen „Dynasten" gingen aber
die vielen geistlichen Fürsten und Herren mit Österreich, ihrer einzigen Stütze,
durch dick und dünn; sie gerade hatten durch ihr immer gleichmäßiges Ab¬
stimmen am Reichstage zu Regensburg: das „In omvibus Siout. ^.ustria" im vorigen
Jahrhundert geradezu sprichwörtlich gemacht. Alle diese Gründe aber erklären
noch nicht genügend, warum in allen wichtigen Fragen die meisten Länder
und Ländchen fast unbedingt, ohne Bedenken und Erwägen der österreichischen
Leitung folgten.

(Schluß folgt.)




Goethe und Schopenhauer.
Franz Pfalz. von

as erste Haus, in das Goethe seine Christiane als Frau Geheim-
rätin von Goethe einführte, war das der Romanschriftstellerin
Johanna Schopenhauer. Ihr traute er die Größe der Gesin¬
nung und den Takt zu, als freiwillige Vermittlerin der Neuver¬
mählten die Aussöhnung mit der aristokratischen Gesellschaft
Weimars zu erleichtern. Johanna Schopenhauer war die Witwe eines Dan-
ziger Kaufherrn, der, als seine Vaterstadt 1793 preußisch wurde, alle Vorteile
eines festgegründeten Geschäftes und einer angesehenen Stellung aufgegeben hatte
und nach Hamburg übergesiedelt war, um reichsfreistädtischer Bürger bleiben
zu können. Hier war er im Jahre 1805 durch den Sturz aus einer hohen
Speichervffuung in den Kanal plötzlich ums Leben gekommen, und es ging das
Gerücht, daß er in einem Anfalle von Geistesstörung sich selbst den Tod ge¬
geben habe. Johanna hatte dem zwanzig Jahre älteren Gemahl nicht das junge,
warme Herz, sondern die Empfänglichkeit des jungen Verstandes entgegengebracht,
sie hatte ihn wohl verehrt, aber nicht geliebt. Als sie durch den Wegzug von
Danzig dem heimatlichen Boden entrissen wurde, drängte ihre geistige Beweg¬
lichkeit all ihr Sinnen und Denken immer mehr nach außen; der jungen, reichen
Frau war nur wohl auf Reisen. Da ihr Gemahl, um ihr gefällig zu sein und
weil auch er die alte Heimat vermißte, ihrer Neigung bereitwillig nachgab,
so verbrachte die Familie den größten Teil der zwölf Jahre, die ihr Ham¬
burger Leben ausmachten, auf der Wanderung durch England, Frankreich,
die Schweiz, Österreich, Preußen. Auch nach dem Tode ihres Mannes wechselte
Johanna ihren Wohnsitz so oft, daß sie immer auf Reisen zu sein schien. Ihr
außerordentliches gesellschaftliches Talent, ihre weit ausgebreitete Kenntnis der


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[0122] Goethe und Schopenhauer. im kaiserlichen Heere. Mehr noch als diese kleinen „Dynasten" gingen aber die vielen geistlichen Fürsten und Herren mit Österreich, ihrer einzigen Stütze, durch dick und dünn; sie gerade hatten durch ihr immer gleichmäßiges Ab¬ stimmen am Reichstage zu Regensburg: das „In omvibus Siout. ^.ustria" im vorigen Jahrhundert geradezu sprichwörtlich gemacht. Alle diese Gründe aber erklären noch nicht genügend, warum in allen wichtigen Fragen die meisten Länder und Ländchen fast unbedingt, ohne Bedenken und Erwägen der österreichischen Leitung folgten. (Schluß folgt.) Goethe und Schopenhauer. Franz Pfalz. von as erste Haus, in das Goethe seine Christiane als Frau Geheim- rätin von Goethe einführte, war das der Romanschriftstellerin Johanna Schopenhauer. Ihr traute er die Größe der Gesin¬ nung und den Takt zu, als freiwillige Vermittlerin der Neuver¬ mählten die Aussöhnung mit der aristokratischen Gesellschaft Weimars zu erleichtern. Johanna Schopenhauer war die Witwe eines Dan- ziger Kaufherrn, der, als seine Vaterstadt 1793 preußisch wurde, alle Vorteile eines festgegründeten Geschäftes und einer angesehenen Stellung aufgegeben hatte und nach Hamburg übergesiedelt war, um reichsfreistädtischer Bürger bleiben zu können. Hier war er im Jahre 1805 durch den Sturz aus einer hohen Speichervffuung in den Kanal plötzlich ums Leben gekommen, und es ging das Gerücht, daß er in einem Anfalle von Geistesstörung sich selbst den Tod ge¬ geben habe. Johanna hatte dem zwanzig Jahre älteren Gemahl nicht das junge, warme Herz, sondern die Empfänglichkeit des jungen Verstandes entgegengebracht, sie hatte ihn wohl verehrt, aber nicht geliebt. Als sie durch den Wegzug von Danzig dem heimatlichen Boden entrissen wurde, drängte ihre geistige Beweg¬ lichkeit all ihr Sinnen und Denken immer mehr nach außen; der jungen, reichen Frau war nur wohl auf Reisen. Da ihr Gemahl, um ihr gefällig zu sein und weil auch er die alte Heimat vermißte, ihrer Neigung bereitwillig nachgab, so verbrachte die Familie den größten Teil der zwölf Jahre, die ihr Ham¬ burger Leben ausmachten, auf der Wanderung durch England, Frankreich, die Schweiz, Österreich, Preußen. Auch nach dem Tode ihres Mannes wechselte Johanna ihren Wohnsitz so oft, daß sie immer auf Reisen zu sein schien. Ihr außerordentliches gesellschaftliches Talent, ihre weit ausgebreitete Kenntnis der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/122>, abgerufen am 28.06.2024.