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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands.

geschwächt und beschränkt und endlich in seiner ganzen Existenz bedroht und
gefährdet werden. Das beweist ganz unwiderleglich die Umgestaltung des Ver¬
hältnisses der unter einander streitenden Nationalitäten, der Deutschen und der
Slaven, welche Böhmen, Mähren und Osterreichisch-Schlesien seit hundert Jahren
durchgemacht haben, und welche sich unter unsern Augen, wie es scheint un¬
widerstehlich, weiterhin vollzieht. Schlesien würde ganz unzweifelhaft das
Schicksal dieser Länder, mit denen es staatsrechtlich verknüpft war, geteilt haben,
nämlich die allmähliche Zurückdrängung und das, soweit Menschen urteilen können,
endlich unvermeidliche Verschwinden des Deutschtums.

Die Erwerbung weiter Gebiete der vormaligen Republik Polen bei der
ersten und dritten Teilung dieses unglücklichen Landes, nämlich der Königreiche
Galizien und Lodomerien, des Großherzogtums Krakau, der Herzogtümer Ausch-
witz (polnisch Oswiecim) und Zator für Osterreich, ebenso die Erwerbung der
Bukowina hatten auf das Verhältnis des Kaiserstaates zu dem eigentlichen
Deutschland keinen unmittelbaren Einfluß ausgeübt und sollen hier daher nur
kurz erwähnt werden. Das Reich des Doppelaars war dadurch bedeutend ge¬
wachsen, aber die Millionen von neugewonnenen Unterthanen (die Bevölkerung
jeuer Lande beträgt jetzt mehr als 6 Millionen) waren fast ausschließlich
Pole", Ruthenen und Rumänier. Das Übergewicht der nichtdeutschen über
die Deutschen im Kaiserstaate, das vorher schon groß genug gewesen war, wurde
hierdurch bedeutend erhöht. Die Deutschen wurden immer mehr in die Minder¬
heit gedrängt, und so haben diese Erwerbungen mittelbar ungeheuer viel dazu
beigetragen, das Band zwischen Deutschland und Österreich zu lockern und das
gänzliche Ausscheiden des letzern aus ersterem vorzubereiten.

Während die Beziehungen der Lande des Kaisers zu Mittel- und Nord¬
deutschland sich immer mehr auf ein bloßes Ancincmdergrenzen beschränkten,
war seine Stellung zu den Staaten Süddeutschlands eine ganz andre, eine
wesentlich großartigere und einflußreichere. Dabei wirkten allerdings verschiedene
Gründe mit. Die Bevölkerungen der zahllosen, größtenteils jämmerlich unbe¬
deutenden Staatsgebilde in Oberdeutschland stimmte durch ihre Stammes- und
Wesenseigentümlichkeiten viel mehr mit den Deutschen in den kaiserlichen Staaten,
namentlich in den vorderösterreichischen Besitzungen, überein, als das bei den
ruhigeren, verschlosseneren, kühler denkenden, aber auch mit nachhaltigerer Energie
handelnden Norddeutschen der Fall sein konnte. Die meisten Fürsten mit ihren
winzigen, zum großen Teile sehr verarmten Gebieten, die verrotteten und in jeder
Beziehung zurückgegangenen Reichsstädte mußten in ihrer erbärmlichen Ohnmacht
und Hilflosigkeit irgend eine Stütze haben und klammerten sich daher krampf¬
haft an den Kaiserstaat an. Der im Süden unsers Vaterlandes so zahlreiche
Reichsadel, der trotz seiner ausgedehnten Besitzungen meistens ziemlich mittellos
und verschuldet war, stellte dem Kaiser den größern Teil seiner Minister, Diplo¬
maten und Heerführer; die jüngern Söhne dieses Adels dienten fast ausschließlich


Grenzboten IV. 1888. Is
Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands.

geschwächt und beschränkt und endlich in seiner ganzen Existenz bedroht und
gefährdet werden. Das beweist ganz unwiderleglich die Umgestaltung des Ver¬
hältnisses der unter einander streitenden Nationalitäten, der Deutschen und der
Slaven, welche Böhmen, Mähren und Osterreichisch-Schlesien seit hundert Jahren
durchgemacht haben, und welche sich unter unsern Augen, wie es scheint un¬
widerstehlich, weiterhin vollzieht. Schlesien würde ganz unzweifelhaft das
Schicksal dieser Länder, mit denen es staatsrechtlich verknüpft war, geteilt haben,
nämlich die allmähliche Zurückdrängung und das, soweit Menschen urteilen können,
endlich unvermeidliche Verschwinden des Deutschtums.

Die Erwerbung weiter Gebiete der vormaligen Republik Polen bei der
ersten und dritten Teilung dieses unglücklichen Landes, nämlich der Königreiche
Galizien und Lodomerien, des Großherzogtums Krakau, der Herzogtümer Ausch-
witz (polnisch Oswiecim) und Zator für Osterreich, ebenso die Erwerbung der
Bukowina hatten auf das Verhältnis des Kaiserstaates zu dem eigentlichen
Deutschland keinen unmittelbaren Einfluß ausgeübt und sollen hier daher nur
kurz erwähnt werden. Das Reich des Doppelaars war dadurch bedeutend ge¬
wachsen, aber die Millionen von neugewonnenen Unterthanen (die Bevölkerung
jeuer Lande beträgt jetzt mehr als 6 Millionen) waren fast ausschließlich
Pole«, Ruthenen und Rumänier. Das Übergewicht der nichtdeutschen über
die Deutschen im Kaiserstaate, das vorher schon groß genug gewesen war, wurde
hierdurch bedeutend erhöht. Die Deutschen wurden immer mehr in die Minder¬
heit gedrängt, und so haben diese Erwerbungen mittelbar ungeheuer viel dazu
beigetragen, das Band zwischen Deutschland und Österreich zu lockern und das
gänzliche Ausscheiden des letzern aus ersterem vorzubereiten.

Während die Beziehungen der Lande des Kaisers zu Mittel- und Nord¬
deutschland sich immer mehr auf ein bloßes Ancincmdergrenzen beschränkten,
war seine Stellung zu den Staaten Süddeutschlands eine ganz andre, eine
wesentlich großartigere und einflußreichere. Dabei wirkten allerdings verschiedene
Gründe mit. Die Bevölkerungen der zahllosen, größtenteils jämmerlich unbe¬
deutenden Staatsgebilde in Oberdeutschland stimmte durch ihre Stammes- und
Wesenseigentümlichkeiten viel mehr mit den Deutschen in den kaiserlichen Staaten,
namentlich in den vorderösterreichischen Besitzungen, überein, als das bei den
ruhigeren, verschlosseneren, kühler denkenden, aber auch mit nachhaltigerer Energie
handelnden Norddeutschen der Fall sein konnte. Die meisten Fürsten mit ihren
winzigen, zum großen Teile sehr verarmten Gebieten, die verrotteten und in jeder
Beziehung zurückgegangenen Reichsstädte mußten in ihrer erbärmlichen Ohnmacht
und Hilflosigkeit irgend eine Stütze haben und klammerten sich daher krampf¬
haft an den Kaiserstaat an. Der im Süden unsers Vaterlandes so zahlreiche
Reichsadel, der trotz seiner ausgedehnten Besitzungen meistens ziemlich mittellos
und verschuldet war, stellte dem Kaiser den größern Teil seiner Minister, Diplo¬
maten und Heerführer; die jüngern Söhne dieses Adels dienten fast ausschließlich


Grenzboten IV. 1888. Is
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[0121] Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands. geschwächt und beschränkt und endlich in seiner ganzen Existenz bedroht und gefährdet werden. Das beweist ganz unwiderleglich die Umgestaltung des Ver¬ hältnisses der unter einander streitenden Nationalitäten, der Deutschen und der Slaven, welche Böhmen, Mähren und Osterreichisch-Schlesien seit hundert Jahren durchgemacht haben, und welche sich unter unsern Augen, wie es scheint un¬ widerstehlich, weiterhin vollzieht. Schlesien würde ganz unzweifelhaft das Schicksal dieser Länder, mit denen es staatsrechtlich verknüpft war, geteilt haben, nämlich die allmähliche Zurückdrängung und das, soweit Menschen urteilen können, endlich unvermeidliche Verschwinden des Deutschtums. Die Erwerbung weiter Gebiete der vormaligen Republik Polen bei der ersten und dritten Teilung dieses unglücklichen Landes, nämlich der Königreiche Galizien und Lodomerien, des Großherzogtums Krakau, der Herzogtümer Ausch- witz (polnisch Oswiecim) und Zator für Osterreich, ebenso die Erwerbung der Bukowina hatten auf das Verhältnis des Kaiserstaates zu dem eigentlichen Deutschland keinen unmittelbaren Einfluß ausgeübt und sollen hier daher nur kurz erwähnt werden. Das Reich des Doppelaars war dadurch bedeutend ge¬ wachsen, aber die Millionen von neugewonnenen Unterthanen (die Bevölkerung jeuer Lande beträgt jetzt mehr als 6 Millionen) waren fast ausschließlich Pole«, Ruthenen und Rumänier. Das Übergewicht der nichtdeutschen über die Deutschen im Kaiserstaate, das vorher schon groß genug gewesen war, wurde hierdurch bedeutend erhöht. Die Deutschen wurden immer mehr in die Minder¬ heit gedrängt, und so haben diese Erwerbungen mittelbar ungeheuer viel dazu beigetragen, das Band zwischen Deutschland und Österreich zu lockern und das gänzliche Ausscheiden des letzern aus ersterem vorzubereiten. Während die Beziehungen der Lande des Kaisers zu Mittel- und Nord¬ deutschland sich immer mehr auf ein bloßes Ancincmdergrenzen beschränkten, war seine Stellung zu den Staaten Süddeutschlands eine ganz andre, eine wesentlich großartigere und einflußreichere. Dabei wirkten allerdings verschiedene Gründe mit. Die Bevölkerungen der zahllosen, größtenteils jämmerlich unbe¬ deutenden Staatsgebilde in Oberdeutschland stimmte durch ihre Stammes- und Wesenseigentümlichkeiten viel mehr mit den Deutschen in den kaiserlichen Staaten, namentlich in den vorderösterreichischen Besitzungen, überein, als das bei den ruhigeren, verschlosseneren, kühler denkenden, aber auch mit nachhaltigerer Energie handelnden Norddeutschen der Fall sein konnte. Die meisten Fürsten mit ihren winzigen, zum großen Teile sehr verarmten Gebieten, die verrotteten und in jeder Beziehung zurückgegangenen Reichsstädte mußten in ihrer erbärmlichen Ohnmacht und Hilflosigkeit irgend eine Stütze haben und klammerten sich daher krampf¬ haft an den Kaiserstaat an. Der im Süden unsers Vaterlandes so zahlreiche Reichsadel, der trotz seiner ausgedehnten Besitzungen meistens ziemlich mittellos und verschuldet war, stellte dem Kaiser den größern Teil seiner Minister, Diplo¬ maten und Heerführer; die jüngern Söhne dieses Adels dienten fast ausschließlich Grenzboten IV. 1888. Is

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/121>, abgerufen am 30.06.2024.