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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Zur Ästhetik des Häßlichen.

Menschen in eine Zeit mit unendlich einfachern Bedingungen hineinwuchsen. Sie
hatten sich weder mit der Furcht herumzuschlagen, was aus ihrem Volke werden
solle, wenn der Wahnsinn des allgemeinen Umsturzes die Grundlagen aller Ord¬
nung, aller Kultur aufhebe, noch mit der Sorge, was aus der Menschheit
werden solle, wenn sie alle Erwärmungsmittel verbraucht, die Wälder nieder¬
geschlagen und die Steinkohlenlager bis auf den letzten Nest ausgebeutet habe.
Sie würden, wenn ihnen im finstersten Traume dergleichen Phantasien gekommen
wären, im ersten Falle die Sorge um das eigne Volk dem alten Fritz und der
Kaiserin Maria Theresia (welche von der sozialistischen Revolution selbst noch
nichts ahnen konnten), die Sorge um die künftigen Menschengeschlechter dem
Himmel befohlen haben, "der allertreusten Pflege, deß der den Weltkreis lenkt."
Dafür war ihnen die schwere Aufgabe gesetzt, dem Drucke armseliger, jedem
Schwunge feindlicher Verhältnisse durch das Festhalten an einem Ideale sich
zu entwinden, mit Aufopferung und Selbstbescheidung einen Baum zu Pflegen,
der zunächst kaum Blüten und erst in weiter Ferne Früchte versprach, in un¬
schöner Umgebung den Glauben an das Schöne, die Freude am Schönen zu
wecken, die ersten Saatkörner vaterländischer Gesinnung und vaterländischen
Stolzes zu streuen. Vereinzelt, vom Glück nur mäßig begünstigt, wie die
Männer jener Zeit waren, haben sie mit ihrer stillen Energie, ihrer Zuversicht,
ihrer idealen Unbeugsamkeit Unglaubliches erreicht, den Glauben, daß der Ein¬
zelne etwas zu thun und auszurichten vermöge, nie fahren lasten. Auch für
die Mahnung, die hierin liegt, haben wir ihnen dankbar zu bleiben und ein
Werk wie die Munckersche Klopstockbiographie nicht bloß in den engen Kreisen
der Fachwissenschaft mit warmem Danke zu begrüßen.




Zur Ästhetik des Häßlichen.

le Übersetzung von Zolas Roman I^g. ?6ir" ist durch richterliches
Erkenntnis in Deutschland verboten und eingezogen worden.
Die Staatsanwaltschaft hatte es für nötig befunden, die darauf
bezügliche Verhandlung und die Verlesung des berüchtigten Mach¬
werkes bei verschlossenen Thüren vorzunehmen. So wären wir
denn wenigstens davon verschont, diese in deutscher Sprache noch widerwärtiger
erscheinende Ausgeburt des Naturalismus durch unsre Lande ziehen zu sehen.

Das Original wird indessen wohl weiter gelesen werden und zu deu
Spöttern und Gegnern einer solchen entarteten litterarischen Richtung neue und


Grenzboten II. 1388. 67
Zur Ästhetik des Häßlichen.

Menschen in eine Zeit mit unendlich einfachern Bedingungen hineinwuchsen. Sie
hatten sich weder mit der Furcht herumzuschlagen, was aus ihrem Volke werden
solle, wenn der Wahnsinn des allgemeinen Umsturzes die Grundlagen aller Ord¬
nung, aller Kultur aufhebe, noch mit der Sorge, was aus der Menschheit
werden solle, wenn sie alle Erwärmungsmittel verbraucht, die Wälder nieder¬
geschlagen und die Steinkohlenlager bis auf den letzten Nest ausgebeutet habe.
Sie würden, wenn ihnen im finstersten Traume dergleichen Phantasien gekommen
wären, im ersten Falle die Sorge um das eigne Volk dem alten Fritz und der
Kaiserin Maria Theresia (welche von der sozialistischen Revolution selbst noch
nichts ahnen konnten), die Sorge um die künftigen Menschengeschlechter dem
Himmel befohlen haben, „der allertreusten Pflege, deß der den Weltkreis lenkt."
Dafür war ihnen die schwere Aufgabe gesetzt, dem Drucke armseliger, jedem
Schwunge feindlicher Verhältnisse durch das Festhalten an einem Ideale sich
zu entwinden, mit Aufopferung und Selbstbescheidung einen Baum zu Pflegen,
der zunächst kaum Blüten und erst in weiter Ferne Früchte versprach, in un¬
schöner Umgebung den Glauben an das Schöne, die Freude am Schönen zu
wecken, die ersten Saatkörner vaterländischer Gesinnung und vaterländischen
Stolzes zu streuen. Vereinzelt, vom Glück nur mäßig begünstigt, wie die
Männer jener Zeit waren, haben sie mit ihrer stillen Energie, ihrer Zuversicht,
ihrer idealen Unbeugsamkeit Unglaubliches erreicht, den Glauben, daß der Ein¬
zelne etwas zu thun und auszurichten vermöge, nie fahren lasten. Auch für
die Mahnung, die hierin liegt, haben wir ihnen dankbar zu bleiben und ein
Werk wie die Munckersche Klopstockbiographie nicht bloß in den engen Kreisen
der Fachwissenschaft mit warmem Danke zu begrüßen.




Zur Ästhetik des Häßlichen.

le Übersetzung von Zolas Roman I^g. ?6ir« ist durch richterliches
Erkenntnis in Deutschland verboten und eingezogen worden.
Die Staatsanwaltschaft hatte es für nötig befunden, die darauf
bezügliche Verhandlung und die Verlesung des berüchtigten Mach¬
werkes bei verschlossenen Thüren vorzunehmen. So wären wir
denn wenigstens davon verschont, diese in deutscher Sprache noch widerwärtiger
erscheinende Ausgeburt des Naturalismus durch unsre Lande ziehen zu sehen.

Das Original wird indessen wohl weiter gelesen werden und zu deu
Spöttern und Gegnern einer solchen entarteten litterarischen Richtung neue und


Grenzboten II. 1388. 67
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[0537] Zur Ästhetik des Häßlichen. Menschen in eine Zeit mit unendlich einfachern Bedingungen hineinwuchsen. Sie hatten sich weder mit der Furcht herumzuschlagen, was aus ihrem Volke werden solle, wenn der Wahnsinn des allgemeinen Umsturzes die Grundlagen aller Ord¬ nung, aller Kultur aufhebe, noch mit der Sorge, was aus der Menschheit werden solle, wenn sie alle Erwärmungsmittel verbraucht, die Wälder nieder¬ geschlagen und die Steinkohlenlager bis auf den letzten Nest ausgebeutet habe. Sie würden, wenn ihnen im finstersten Traume dergleichen Phantasien gekommen wären, im ersten Falle die Sorge um das eigne Volk dem alten Fritz und der Kaiserin Maria Theresia (welche von der sozialistischen Revolution selbst noch nichts ahnen konnten), die Sorge um die künftigen Menschengeschlechter dem Himmel befohlen haben, „der allertreusten Pflege, deß der den Weltkreis lenkt." Dafür war ihnen die schwere Aufgabe gesetzt, dem Drucke armseliger, jedem Schwunge feindlicher Verhältnisse durch das Festhalten an einem Ideale sich zu entwinden, mit Aufopferung und Selbstbescheidung einen Baum zu Pflegen, der zunächst kaum Blüten und erst in weiter Ferne Früchte versprach, in un¬ schöner Umgebung den Glauben an das Schöne, die Freude am Schönen zu wecken, die ersten Saatkörner vaterländischer Gesinnung und vaterländischen Stolzes zu streuen. Vereinzelt, vom Glück nur mäßig begünstigt, wie die Männer jener Zeit waren, haben sie mit ihrer stillen Energie, ihrer Zuversicht, ihrer idealen Unbeugsamkeit Unglaubliches erreicht, den Glauben, daß der Ein¬ zelne etwas zu thun und auszurichten vermöge, nie fahren lasten. Auch für die Mahnung, die hierin liegt, haben wir ihnen dankbar zu bleiben und ein Werk wie die Munckersche Klopstockbiographie nicht bloß in den engen Kreisen der Fachwissenschaft mit warmem Danke zu begrüßen. Zur Ästhetik des Häßlichen. le Übersetzung von Zolas Roman I^g. ?6ir« ist durch richterliches Erkenntnis in Deutschland verboten und eingezogen worden. Die Staatsanwaltschaft hatte es für nötig befunden, die darauf bezügliche Verhandlung und die Verlesung des berüchtigten Mach¬ werkes bei verschlossenen Thüren vorzunehmen. So wären wir denn wenigstens davon verschont, diese in deutscher Sprache noch widerwärtiger erscheinende Ausgeburt des Naturalismus durch unsre Lande ziehen zu sehen. Das Original wird indessen wohl weiter gelesen werden und zu deu Spöttern und Gegnern einer solchen entarteten litterarischen Richtung neue und Grenzboten II. 1388. 67

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/537>, abgerufen am 13.11.2024.