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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lyhne
L>. Zacobsen. Roman von
Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann.
(Fortsetzung.)
Achtes Aapitel.

MMMs war in Ricks Lyhne eine gewisse lahme Besonnenheit, das
Kind einer angebornen Unlust, etwas zu wagen, das Kindes¬
kind eines hnlbklaren Bewußtseins von dem Mangel an Per¬
sönlichkeit, und mit dieser Lahmheit lag er in stetem Kampfe,
bald sich selber dagegen aufstachelnd, indem er ihr schimpfliche
Namen beilegte, bald bemüht, sie zur Tugend herauszustaffiren, zu einer Tu¬
gend, die in der innigsten Verbindung mit dem Natnrgrunde in ihm stand, ja
noch mehr: die eigentlich bewirkte, was er war und was er vermochte. Aber
wozu er sie auch machte, wie er sie auch betrachten mochte, stets haßte er sie
doch wie ein heimliches Gebrechen, das er wohl vor der Welt, jedoch niemals
vor sich selber verbergen konnte, das immer da war, um ihn jedesmal zu de¬
mütigen, wenn er so recht einig mit sich selber war. Und wie beneidete er dann
nicht jene selbstbewußte Unbesonnenheit, in deren Feuer Denken und Handeln
in eins zusammenschmelzen. Die Menschen, welche so waren, erschienen ihm
wie Kentauren, Mann und Pferd aus einem Guß, Gedanke und Sprung eins,
ein Ganzes, während er selber geteilt war in Reiter und Pferd, der Gedanke
für sich und der Sprung für sich.-

Wenn er sich vorstellte, daß er Frau Boye seine Liebe gestehe, und er
mußte sich nun einmal alles vorstellen, dann sah er sich so deutlich in dieser
Lage, seine ganze Haltung, seine Bewegung, seine ganze Person, von vorn,
von der Seite und vom Rücken, sah sich so unsicher gemacht von dieser fieber¬
haften Angst vor dem Handeln, die ihn stets lähmte und ihm alle Geistesgegen¬
wart raubte, daß er dastand und eine Autwort hinnahm, wie er einen Schlag


Grenzboten H. 1888. 62


Ricks Lyhne
L>. Zacobsen. Roman von
Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann.
(Fortsetzung.)
Achtes Aapitel.

MMMs war in Ricks Lyhne eine gewisse lahme Besonnenheit, das
Kind einer angebornen Unlust, etwas zu wagen, das Kindes¬
kind eines hnlbklaren Bewußtseins von dem Mangel an Per¬
sönlichkeit, und mit dieser Lahmheit lag er in stetem Kampfe,
bald sich selber dagegen aufstachelnd, indem er ihr schimpfliche
Namen beilegte, bald bemüht, sie zur Tugend herauszustaffiren, zu einer Tu¬
gend, die in der innigsten Verbindung mit dem Natnrgrunde in ihm stand, ja
noch mehr: die eigentlich bewirkte, was er war und was er vermochte. Aber
wozu er sie auch machte, wie er sie auch betrachten mochte, stets haßte er sie
doch wie ein heimliches Gebrechen, das er wohl vor der Welt, jedoch niemals
vor sich selber verbergen konnte, das immer da war, um ihn jedesmal zu de¬
mütigen, wenn er so recht einig mit sich selber war. Und wie beneidete er dann
nicht jene selbstbewußte Unbesonnenheit, in deren Feuer Denken und Handeln
in eins zusammenschmelzen. Die Menschen, welche so waren, erschienen ihm
wie Kentauren, Mann und Pferd aus einem Guß, Gedanke und Sprung eins,
ein Ganzes, während er selber geteilt war in Reiter und Pferd, der Gedanke
für sich und der Sprung für sich.-

Wenn er sich vorstellte, daß er Frau Boye seine Liebe gestehe, und er
mußte sich nun einmal alles vorstellen, dann sah er sich so deutlich in dieser
Lage, seine ganze Haltung, seine Bewegung, seine ganze Person, von vorn,
von der Seite und vom Rücken, sah sich so unsicher gemacht von dieser fieber¬
haften Angst vor dem Handeln, die ihn stets lähmte und ihm alle Geistesgegen¬
wart raubte, daß er dastand und eine Autwort hinnahm, wie er einen Schlag


Grenzboten H. 1888. 62
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[0497] [Abbildung] Ricks Lyhne L>. Zacobsen. Roman von Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann. (Fortsetzung.) Achtes Aapitel. MMMs war in Ricks Lyhne eine gewisse lahme Besonnenheit, das Kind einer angebornen Unlust, etwas zu wagen, das Kindes¬ kind eines hnlbklaren Bewußtseins von dem Mangel an Per¬ sönlichkeit, und mit dieser Lahmheit lag er in stetem Kampfe, bald sich selber dagegen aufstachelnd, indem er ihr schimpfliche Namen beilegte, bald bemüht, sie zur Tugend herauszustaffiren, zu einer Tu¬ gend, die in der innigsten Verbindung mit dem Natnrgrunde in ihm stand, ja noch mehr: die eigentlich bewirkte, was er war und was er vermochte. Aber wozu er sie auch machte, wie er sie auch betrachten mochte, stets haßte er sie doch wie ein heimliches Gebrechen, das er wohl vor der Welt, jedoch niemals vor sich selber verbergen konnte, das immer da war, um ihn jedesmal zu de¬ mütigen, wenn er so recht einig mit sich selber war. Und wie beneidete er dann nicht jene selbstbewußte Unbesonnenheit, in deren Feuer Denken und Handeln in eins zusammenschmelzen. Die Menschen, welche so waren, erschienen ihm wie Kentauren, Mann und Pferd aus einem Guß, Gedanke und Sprung eins, ein Ganzes, während er selber geteilt war in Reiter und Pferd, der Gedanke für sich und der Sprung für sich.- Wenn er sich vorstellte, daß er Frau Boye seine Liebe gestehe, und er mußte sich nun einmal alles vorstellen, dann sah er sich so deutlich in dieser Lage, seine ganze Haltung, seine Bewegung, seine ganze Person, von vorn, von der Seite und vom Rücken, sah sich so unsicher gemacht von dieser fieber¬ haften Angst vor dem Handeln, die ihn stets lähmte und ihm alle Geistesgegen¬ wart raubte, daß er dastand und eine Autwort hinnahm, wie er einen Schlag Grenzboten H. 1888. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/497>, abgerufen am 27.07.2024.