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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Ricks Lys"?,

hingenommen hätte, der ihn in die Kniee sinken machte, statt sie hinzunehmen,
wie man einen Federball in Empfang nimmt, den man auf wer weiß wie viele
Arten zurückwerfen kann, und der auf wer weiß wie viele andre Arten wieder
herfliegen kann.

Er wollte sprechen, und er wollte schreiben, aber es gelang ihm niemals,
offen mit der Sprache Heranszugehen. Es kam nicht weiter als bis zu ver¬
blümten Erklärungen, oder dazu, daß er sich scheinbar in halb angenommener
lyrischer Leidenschaftlichkeit zu einem liebeswarmen Worte, zu schwärmerischen
Wünschen hinreißen ließ. Aber trotzdem kam es doch allmählich zu einem Ver¬
hältnis zwischen ihnen, zu einem eigentümlichen Verhältnis, erzeugt aus der
demütigen Liebe eines Jünglings, aus dem traumesschwülen Verlangen eines
Phantasten und dem Wunsche eines Weibes, in romantischer Unnahbarkeit be¬
gehrt zu werden. Und das Verhältnis zwischen ihnen ward zu einer Mythe,
über deren Entstehung sie sich beide nicht klar waren, zu einer stillen, stubeu-
luftbleichen Mythe von einer schonen Frau, die in ihrer frühesten Jugend einen
von den Heroen des Geistes geliebt hatte, welcher von dannen gezogen war,
um in einem fernen Lande zu sterben, vergessen und verlassen. Und die schöne
Frau hatte trauernd lange Jahre dahin gelebt, aber niemand ahnte ihren
Kummer, nur die Einsamkeit war heilig genug, ihr Leid zu schauen. Da kam
ein Jüngling, der jenen Geisteshelden seinen Meister nannte, und der durch¬
drungen war von seinem Geiste, erfüllt von seinem Werke. Und er liebte das
trauernde Weib. Ihr aber war es, als stiegen längst entschwundne, glückliche
Tage ans ihrem Grabe, sodaß sich alles seltsam süß verwirrte, und Vergangen¬
heit und Gegenwart zu einem silberverschleierten, dämmerigen Traumtage ver¬
schmolzen, und sie liebte den Jüngling halb um seiner selbst Willen, halb als
Schatten eines andern, und sie gab ihm ihre halbe Seele völlig hin! Aber
leise mußte er auftreten, damit der Traum nicht entfloh, streng mußte er über
seine heißen irdischen Wünsche wachen, damit sie nicht die süße Dämmerung
verscheuchten, und sie zu neuem Schmerz erwachte.

Allmählich gewann aber ihr Verhältnis unter dem Schutze dieser Mythe
doch festere Formen. Sie sagten Du zu einander und nannten sich, wenn
sie allein waren, bei ihren Vornamen -- Ricks und Tena --, und die Gegen¬
wart der bleichen Nichte wurde so viel wie möglich beschränkt. Wohl versuchte
Ricks hin und wieder einmal, die gezogenen Schranken zu durchbrechen, aber
Frau Boye war ihm viel zu überlegen, um nicht mit Leichtigkeit diesen Em¬
pörungsversuch niederschlagen zu können, und bald ergab sich Ricks wieder und
fand sich von neuem für eine Weile in diese Liebesphantasie mit lebenden
Bildern. Das Verhältnis versumpfte weder zu platonischer Fadheit, noch glitt
es in der einförmigen Ruhe der Gewohnheit dahin. Ruhe war dasjenige, was
ihm am wenigsten eigen war. Ricks Lyhncs Hoffnung ermüdete nie, und wurde
sie auch jedesmal, wenn sie begehrlich aufflammte, sanft in ihre Schranken


Ricks Lys»?,

hingenommen hätte, der ihn in die Kniee sinken machte, statt sie hinzunehmen,
wie man einen Federball in Empfang nimmt, den man auf wer weiß wie viele
Arten zurückwerfen kann, und der auf wer weiß wie viele andre Arten wieder
herfliegen kann.

Er wollte sprechen, und er wollte schreiben, aber es gelang ihm niemals,
offen mit der Sprache Heranszugehen. Es kam nicht weiter als bis zu ver¬
blümten Erklärungen, oder dazu, daß er sich scheinbar in halb angenommener
lyrischer Leidenschaftlichkeit zu einem liebeswarmen Worte, zu schwärmerischen
Wünschen hinreißen ließ. Aber trotzdem kam es doch allmählich zu einem Ver¬
hältnis zwischen ihnen, zu einem eigentümlichen Verhältnis, erzeugt aus der
demütigen Liebe eines Jünglings, aus dem traumesschwülen Verlangen eines
Phantasten und dem Wunsche eines Weibes, in romantischer Unnahbarkeit be¬
gehrt zu werden. Und das Verhältnis zwischen ihnen ward zu einer Mythe,
über deren Entstehung sie sich beide nicht klar waren, zu einer stillen, stubeu-
luftbleichen Mythe von einer schonen Frau, die in ihrer frühesten Jugend einen
von den Heroen des Geistes geliebt hatte, welcher von dannen gezogen war,
um in einem fernen Lande zu sterben, vergessen und verlassen. Und die schöne
Frau hatte trauernd lange Jahre dahin gelebt, aber niemand ahnte ihren
Kummer, nur die Einsamkeit war heilig genug, ihr Leid zu schauen. Da kam
ein Jüngling, der jenen Geisteshelden seinen Meister nannte, und der durch¬
drungen war von seinem Geiste, erfüllt von seinem Werke. Und er liebte das
trauernde Weib. Ihr aber war es, als stiegen längst entschwundne, glückliche
Tage ans ihrem Grabe, sodaß sich alles seltsam süß verwirrte, und Vergangen¬
heit und Gegenwart zu einem silberverschleierten, dämmerigen Traumtage ver¬
schmolzen, und sie liebte den Jüngling halb um seiner selbst Willen, halb als
Schatten eines andern, und sie gab ihm ihre halbe Seele völlig hin! Aber
leise mußte er auftreten, damit der Traum nicht entfloh, streng mußte er über
seine heißen irdischen Wünsche wachen, damit sie nicht die süße Dämmerung
verscheuchten, und sie zu neuem Schmerz erwachte.

Allmählich gewann aber ihr Verhältnis unter dem Schutze dieser Mythe
doch festere Formen. Sie sagten Du zu einander und nannten sich, wenn
sie allein waren, bei ihren Vornamen — Ricks und Tena —, und die Gegen¬
wart der bleichen Nichte wurde so viel wie möglich beschränkt. Wohl versuchte
Ricks hin und wieder einmal, die gezogenen Schranken zu durchbrechen, aber
Frau Boye war ihm viel zu überlegen, um nicht mit Leichtigkeit diesen Em¬
pörungsversuch niederschlagen zu können, und bald ergab sich Ricks wieder und
fand sich von neuem für eine Weile in diese Liebesphantasie mit lebenden
Bildern. Das Verhältnis versumpfte weder zu platonischer Fadheit, noch glitt
es in der einförmigen Ruhe der Gewohnheit dahin. Ruhe war dasjenige, was
ihm am wenigsten eigen war. Ricks Lyhncs Hoffnung ermüdete nie, und wurde
sie auch jedesmal, wenn sie begehrlich aufflammte, sanft in ihre Schranken


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/498>, abgerufen am 01.09.2024.