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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr.

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Zum Andenken Gustav Theodor jechners.
von A. Llsas, (Schlusi.)

as Jahr 1860, in welchem die "Elemente der Psychophysik" er¬
schienen, beginnt einen neuen Abschnitt in Fechners Leben und be¬
deutet eine Epoche in der Wissenschaft von den Sinnesempfin-
dungen. Denn ohne Widerspruch fürchten zu müssen, darf man
sagen, Fechner habe unter dem Namen der Psychophysik eine
neue Wissenschaft begründet.

Die Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung, die Reize, welche die Em¬
pfindungen auslösen, geben in mannichfacher Weise Veranlassung zur Schätzung
von Größenverhältnissen. Wir vergleichen die Längen von Linien, indem wir
sie gleichzeitig oder nach einander mit dem Blick durchlaufen, die Stärke von
Tönen, Licht- und Wärmequellen, indem wir sie nach einander auf die Empfin¬
dung wirken lassen. Wir vergleichen ferner Töne verschiedner Höhe und Licht¬
reize verschiedner Farben unter einander, und da die Physik Tonhöhen und
Farben auf Größe bezieht, nämlich auf Schwingungszahlen, beurteilen wir un¬
mittelbar die Größenverhältnisse, welche den Tonintervalleu und Farbeu-
nnterschieden zu Grunde liegen. Die Größen, welche wir auf Grund der
unmittelbaren sinnlichen Beobachtung schätzen, können anderseits mit Hilfe wissen-
schaftlicher Methoden gemessen werden.

Das ist die Aufgabe oder wenigstens die erste Aufgabe der von Fechner
begründeten neuen Wissenschaft, der Psychophysik: die scheinbare Größe der
Reize, welche wir schätzen, methodisch zu vergleichen mit ihrer wahren Größe,
welche wir messen; die Vergleiche zwischen empfundenen und gemessenen Größen
auf allen Gebieten der Empfindung durchzuführen; Methoden zu ersinnen,
welche die Größenschätzungen von aller Zufälligkeit und Zweifelhaftigkeit be¬
freien, und gesetzmäßige Beziehungen zwischen den bloß abgeschätzten und den
gemessenen Größen zu suchen.

Der Gedanke einer solchen Wissenschaft ist nicht zuerst in Fechner ent¬
standen. Eine Dichtung mag als ein Unvermitteltes auftreten; alle Wissen-


Grenzbotm II. 1888. 15


Zum Andenken Gustav Theodor jechners.
von A. Llsas, (Schlusi.)

as Jahr 1860, in welchem die „Elemente der Psychophysik" er¬
schienen, beginnt einen neuen Abschnitt in Fechners Leben und be¬
deutet eine Epoche in der Wissenschaft von den Sinnesempfin-
dungen. Denn ohne Widerspruch fürchten zu müssen, darf man
sagen, Fechner habe unter dem Namen der Psychophysik eine
neue Wissenschaft begründet.

Die Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung, die Reize, welche die Em¬
pfindungen auslösen, geben in mannichfacher Weise Veranlassung zur Schätzung
von Größenverhältnissen. Wir vergleichen die Längen von Linien, indem wir
sie gleichzeitig oder nach einander mit dem Blick durchlaufen, die Stärke von
Tönen, Licht- und Wärmequellen, indem wir sie nach einander auf die Empfin¬
dung wirken lassen. Wir vergleichen ferner Töne verschiedner Höhe und Licht¬
reize verschiedner Farben unter einander, und da die Physik Tonhöhen und
Farben auf Größe bezieht, nämlich auf Schwingungszahlen, beurteilen wir un¬
mittelbar die Größenverhältnisse, welche den Tonintervalleu und Farbeu-
nnterschieden zu Grunde liegen. Die Größen, welche wir auf Grund der
unmittelbaren sinnlichen Beobachtung schätzen, können anderseits mit Hilfe wissen-
schaftlicher Methoden gemessen werden.

Das ist die Aufgabe oder wenigstens die erste Aufgabe der von Fechner
begründeten neuen Wissenschaft, der Psychophysik: die scheinbare Größe der
Reize, welche wir schätzen, methodisch zu vergleichen mit ihrer wahren Größe,
welche wir messen; die Vergleiche zwischen empfundenen und gemessenen Größen
auf allen Gebieten der Empfindung durchzuführen; Methoden zu ersinnen,
welche die Größenschätzungen von aller Zufälligkeit und Zweifelhaftigkeit be¬
freien, und gesetzmäßige Beziehungen zwischen den bloß abgeschätzten und den
gemessenen Größen zu suchen.

Der Gedanke einer solchen Wissenschaft ist nicht zuerst in Fechner ent¬
standen. Eine Dichtung mag als ein Unvermitteltes auftreten; alle Wissen-


Grenzbotm II. 1888. 15
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[0121] [Abbildung] Zum Andenken Gustav Theodor jechners. von A. Llsas, (Schlusi.) as Jahr 1860, in welchem die „Elemente der Psychophysik" er¬ schienen, beginnt einen neuen Abschnitt in Fechners Leben und be¬ deutet eine Epoche in der Wissenschaft von den Sinnesempfin- dungen. Denn ohne Widerspruch fürchten zu müssen, darf man sagen, Fechner habe unter dem Namen der Psychophysik eine neue Wissenschaft begründet. Die Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung, die Reize, welche die Em¬ pfindungen auslösen, geben in mannichfacher Weise Veranlassung zur Schätzung von Größenverhältnissen. Wir vergleichen die Längen von Linien, indem wir sie gleichzeitig oder nach einander mit dem Blick durchlaufen, die Stärke von Tönen, Licht- und Wärmequellen, indem wir sie nach einander auf die Empfin¬ dung wirken lassen. Wir vergleichen ferner Töne verschiedner Höhe und Licht¬ reize verschiedner Farben unter einander, und da die Physik Tonhöhen und Farben auf Größe bezieht, nämlich auf Schwingungszahlen, beurteilen wir un¬ mittelbar die Größenverhältnisse, welche den Tonintervalleu und Farbeu- nnterschieden zu Grunde liegen. Die Größen, welche wir auf Grund der unmittelbaren sinnlichen Beobachtung schätzen, können anderseits mit Hilfe wissen- schaftlicher Methoden gemessen werden. Das ist die Aufgabe oder wenigstens die erste Aufgabe der von Fechner begründeten neuen Wissenschaft, der Psychophysik: die scheinbare Größe der Reize, welche wir schätzen, methodisch zu vergleichen mit ihrer wahren Größe, welche wir messen; die Vergleiche zwischen empfundenen und gemessenen Größen auf allen Gebieten der Empfindung durchzuführen; Methoden zu ersinnen, welche die Größenschätzungen von aller Zufälligkeit und Zweifelhaftigkeit be¬ freien, und gesetzmäßige Beziehungen zwischen den bloß abgeschätzten und den gemessenen Größen zu suchen. Der Gedanke einer solchen Wissenschaft ist nicht zuerst in Fechner ent¬ standen. Eine Dichtung mag als ein Unvermitteltes auftreten; alle Wissen- Grenzbotm II. 1888. 15

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202776/121>, abgerufen am 27.07.2024.