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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr.

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von der Seeseite her aufs äußerste erschwerend. Hnfcnlos und unzugänglich
erscheint die ganze Küste bis dahin, wo der finnische Meerbusen sich erweitert;
da öffnet sie sich in einzelnen schön geschwungnen Buchten, die eine Landung
gestatten. So ungastlich sie aber im ganzen anch ist, den Schmuggel lockt sie
doch, das zeige" die an weit umschauender Punkten errichteten Hänser der
Strandreiter. Die Einwohner jener Dörfer freilich verraten dem Charakter
ihres Strandes entsprechend keine Neigung zur Seefahrt, selbst den Fischreich'
tuni dieser Gewässer beachten sie kaum; umso tüchtigere Seeleute sind die Finnen
von der andern Seite.

So lebt dies Volk einsam dahin zwischen See und Wald, Sand und
Sumpf, in Zuständen, wie sie wahrscheinlich in Jahrhunderten sich nicht ge¬
ändert haben und schwerlich sobald ändern werden. Man begreift hier, wie
außerordentlich schwierig hier jeder politische Fortschritt ist, wie sauer anderseits
den Nihilisten ihre Agitation gemacht wird in diesen unermeßlichen, fast wege¬
losen, dünnbevölkerten Gebieten, für deren Bauern das gedruckte oder geschriebene
Wort kaum vorhanden ist, und -- wie langsam eine Mvbilisirung hier vor sich gehen
muß. Welch unermeßliche Kulturarbeit wäre hier für die "nationalen" Par¬
teien Rußlands noch zu vollbringen, die doch eben für das einheimische Volks-
tum gegen die Kultur des "verfaulten" Westens einzutreten behaupten! Aber es
ist stets die Neigung unreifer Böller gewesen, Ruhme^bittern auswärtiger Er¬
folge nachzujagen, statt in glanzloser, stiller Kulturarbeit sich zu betätige".
Das thun nur gereifte Völker. (Schluß folgt.)




Kleinere Mitteilungen.
Die französische Revolution von 1789.

Die französische Revolution
hat in der neueren Zeit in Frankreich Geschichtschreiber gefunden, die nuf Grund
eingehender Quellenstudien aus deu Archiven, Staats- und Privatschriften den
Nimbus zerstört haben, welcher bis in unsre. Tage die angebliche Erhebung eines
Volkes ans seiner Knechtschaft umgab. Mag mau auch die Schrift eines Grnnier
von Cassagune wegen der Parteistellung ihres Verfassers nicht voll gelten lasse",
deu Untersuchungen Taiucs gegenüber, welche ebenfalls in diesen Blättern eingehend
gewürdigt worden sind, muß jeder Widerspruch verstummen, und das Ergebnis
seiner so genauen Forschungen ist kein andres, als daß wir es nicht mit eiuer
ruhmreichen Befreiung eines unterdrückten Volles, sondern mit eiuer Brutalität zu
thun haben, die nur in dem einseitigen, an Wahnsinn grenzenden Fanatismus der
Hauptleute und Rädelsführer erklärt, uicht aber entschuldigt oder gerechtfertigt
werden kann. Schon Taine hat sich bemüht, die Entstehung der Revolution in
der geschichtlichen Entwicklung des französischen Staatswesens seit dem Beginn eines
selbständigen Reiches zu begründen, andre sind ihm darin gefolgt. So wünschens¬
wert eine solche Untersuchung ist, so gefährlich ist es doch, die Keime in zu eut-


von der Seeseite her aufs äußerste erschwerend. Hnfcnlos und unzugänglich
erscheint die ganze Küste bis dahin, wo der finnische Meerbusen sich erweitert;
da öffnet sie sich in einzelnen schön geschwungnen Buchten, die eine Landung
gestatten. So ungastlich sie aber im ganzen anch ist, den Schmuggel lockt sie
doch, das zeige» die an weit umschauender Punkten errichteten Hänser der
Strandreiter. Die Einwohner jener Dörfer freilich verraten dem Charakter
ihres Strandes entsprechend keine Neigung zur Seefahrt, selbst den Fischreich'
tuni dieser Gewässer beachten sie kaum; umso tüchtigere Seeleute sind die Finnen
von der andern Seite.

So lebt dies Volk einsam dahin zwischen See und Wald, Sand und
Sumpf, in Zuständen, wie sie wahrscheinlich in Jahrhunderten sich nicht ge¬
ändert haben und schwerlich sobald ändern werden. Man begreift hier, wie
außerordentlich schwierig hier jeder politische Fortschritt ist, wie sauer anderseits
den Nihilisten ihre Agitation gemacht wird in diesen unermeßlichen, fast wege¬
losen, dünnbevölkerten Gebieten, für deren Bauern das gedruckte oder geschriebene
Wort kaum vorhanden ist, und — wie langsam eine Mvbilisirung hier vor sich gehen
muß. Welch unermeßliche Kulturarbeit wäre hier für die „nationalen" Par¬
teien Rußlands noch zu vollbringen, die doch eben für das einheimische Volks-
tum gegen die Kultur des „verfaulten" Westens einzutreten behaupten! Aber es
ist stets die Neigung unreifer Böller gewesen, Ruhme^bittern auswärtiger Er¬
folge nachzujagen, statt in glanzloser, stiller Kulturarbeit sich zu betätige».
Das thun nur gereifte Völker. (Schluß folgt.)




Kleinere Mitteilungen.
Die französische Revolution von 1789.

Die französische Revolution
hat in der neueren Zeit in Frankreich Geschichtschreiber gefunden, die nuf Grund
eingehender Quellenstudien aus deu Archiven, Staats- und Privatschriften den
Nimbus zerstört haben, welcher bis in unsre. Tage die angebliche Erhebung eines
Volkes ans seiner Knechtschaft umgab. Mag mau auch die Schrift eines Grnnier
von Cassagune wegen der Parteistellung ihres Verfassers nicht voll gelten lasse»,
deu Untersuchungen Taiucs gegenüber, welche ebenfalls in diesen Blättern eingehend
gewürdigt worden sind, muß jeder Widerspruch verstummen, und das Ergebnis
seiner so genauen Forschungen ist kein andres, als daß wir es nicht mit eiuer
ruhmreichen Befreiung eines unterdrückten Volles, sondern mit eiuer Brutalität zu
thun haben, die nur in dem einseitigen, an Wahnsinn grenzenden Fanatismus der
Hauptleute und Rädelsführer erklärt, uicht aber entschuldigt oder gerechtfertigt
werden kann. Schon Taine hat sich bemüht, die Entstehung der Revolution in
der geschichtlichen Entwicklung des französischen Staatswesens seit dem Beginn eines
selbständigen Reiches zu begründen, andre sind ihm darin gefolgt. So wünschens¬
wert eine solche Untersuchung ist, so gefährlich ist es doch, die Keime in zu eut-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_288451/605>, abgerufen am 17.09.2024.