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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Geschichten aus Aorfu.

seines sogenannten Königreichs Westfalen flogen auseinander und kehrten größten¬
teils unter ihre alte Herrschaft zurück. Der Rheinbund war thatsächlich zu
Ende. Förmlich aufgelöst worden ist er niemals. Als Todestag dieser poli¬
tischen Mißgeburt rechnet man am besten den 18. Oktober 1813; der Tod er¬
folgte unter dem Gebrüll der Geschütze der Völkerschlacht, welche die Macht
des Korsen in Deutschland brach; zu weitern Formalitäten, wie sie sonst bei
"anständigen Leichen" üblich sind, fand man keine Zeit. Man hatte zu
viel zu thun, die Wunden zu heilen, die der heilige Krieg geschlagen, möglichst
viele von den Opfern zu retten, welche die Befreiung des rechtsrheinischen
Deutschlands bereits erfordert hatte; man hatte zu viel zu thun mit der Vor¬
bereitung auf die zahllosen Opfer, welche noch gebracht werden mußten, bis der
Dränger und Treiber, der ewige Friedensstörer gestürzt war. Wer konnte an
so etwas denken, so lange das blutige Würfelspiel des Krieges noch fortdauerte?
Und noch lange, schwere Monate dauerte es, bis zum letzten male in diesem
Kriege die preußischen Flügelhörner am Fuße des Montmartre das Signal
bliesen: "Das Ganze cwcmciren!", bis die preußischen Bataillone, unter denen
sich auch die jugendlichen Prinzen Friedrich Wilhelm und Wilhelm befanden,
dort beim Sturme auf den Montmartre und auf La Billette den schönen Vers
bewahrheiteten:


In Siegesjubel, in Todesqual
Bleibt "Avanciren" das Preußen-Signal,

bis die siegreichen Fahnen mit dem schwarzen Adler über der bezwungenen
Hauptstadt Frankreichs wehten, bis Friedrich Wilhelm und Alexander mit ihren
Garden über den Eintrachtsplatz reiten und in den elyseischen Feldern ihre
Helden mustern konnten.




Geschichten aus Korfu.

or drei Jahren erschien von Hans Hoffmann eine Sammlung
Novellen: "Im Lande der Phäaken," die von allen Seiten als
eine der vornehmsten Erscheinungen der neuesten Literatur an¬
erkannt wurde. Kürzlich ist ein zweiter Band in derselben Land¬
schaft spielender Novellen: Neue Korfu-Geschichten (Berlin,
Gebrüder Paetel, 1887) erschienen,*) die sich jenen ältern würdig anreihen und



*) Warum nicht Geschichten aus Korfu? Die Zusammensetzung Korfugeschichten ist genau
so garstig wie die jetzt beliebten Wörter: Goethcbiographie, Pilotyschüler, Weimarloose,
Jtalienreisende u. ahnt.
Geschichten aus Aorfu.

seines sogenannten Königreichs Westfalen flogen auseinander und kehrten größten¬
teils unter ihre alte Herrschaft zurück. Der Rheinbund war thatsächlich zu
Ende. Förmlich aufgelöst worden ist er niemals. Als Todestag dieser poli¬
tischen Mißgeburt rechnet man am besten den 18. Oktober 1813; der Tod er¬
folgte unter dem Gebrüll der Geschütze der Völkerschlacht, welche die Macht
des Korsen in Deutschland brach; zu weitern Formalitäten, wie sie sonst bei
„anständigen Leichen" üblich sind, fand man keine Zeit. Man hatte zu
viel zu thun, die Wunden zu heilen, die der heilige Krieg geschlagen, möglichst
viele von den Opfern zu retten, welche die Befreiung des rechtsrheinischen
Deutschlands bereits erfordert hatte; man hatte zu viel zu thun mit der Vor¬
bereitung auf die zahllosen Opfer, welche noch gebracht werden mußten, bis der
Dränger und Treiber, der ewige Friedensstörer gestürzt war. Wer konnte an
so etwas denken, so lange das blutige Würfelspiel des Krieges noch fortdauerte?
Und noch lange, schwere Monate dauerte es, bis zum letzten male in diesem
Kriege die preußischen Flügelhörner am Fuße des Montmartre das Signal
bliesen: „Das Ganze cwcmciren!", bis die preußischen Bataillone, unter denen
sich auch die jugendlichen Prinzen Friedrich Wilhelm und Wilhelm befanden,
dort beim Sturme auf den Montmartre und auf La Billette den schönen Vers
bewahrheiteten:


In Siegesjubel, in Todesqual
Bleibt „Avanciren" das Preußen-Signal,

bis die siegreichen Fahnen mit dem schwarzen Adler über der bezwungenen
Hauptstadt Frankreichs wehten, bis Friedrich Wilhelm und Alexander mit ihren
Garden über den Eintrachtsplatz reiten und in den elyseischen Feldern ihre
Helden mustern konnten.




Geschichten aus Korfu.

or drei Jahren erschien von Hans Hoffmann eine Sammlung
Novellen: „Im Lande der Phäaken," die von allen Seiten als
eine der vornehmsten Erscheinungen der neuesten Literatur an¬
erkannt wurde. Kürzlich ist ein zweiter Band in derselben Land¬
schaft spielender Novellen: Neue Korfu-Geschichten (Berlin,
Gebrüder Paetel, 1887) erschienen,*) die sich jenen ältern würdig anreihen und



*) Warum nicht Geschichten aus Korfu? Die Zusammensetzung Korfugeschichten ist genau
so garstig wie die jetzt beliebten Wörter: Goethcbiographie, Pilotyschüler, Weimarloose,
Jtalienreisende u. ahnt.
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[0635] Geschichten aus Aorfu. seines sogenannten Königreichs Westfalen flogen auseinander und kehrten größten¬ teils unter ihre alte Herrschaft zurück. Der Rheinbund war thatsächlich zu Ende. Förmlich aufgelöst worden ist er niemals. Als Todestag dieser poli¬ tischen Mißgeburt rechnet man am besten den 18. Oktober 1813; der Tod er¬ folgte unter dem Gebrüll der Geschütze der Völkerschlacht, welche die Macht des Korsen in Deutschland brach; zu weitern Formalitäten, wie sie sonst bei „anständigen Leichen" üblich sind, fand man keine Zeit. Man hatte zu viel zu thun, die Wunden zu heilen, die der heilige Krieg geschlagen, möglichst viele von den Opfern zu retten, welche die Befreiung des rechtsrheinischen Deutschlands bereits erfordert hatte; man hatte zu viel zu thun mit der Vor¬ bereitung auf die zahllosen Opfer, welche noch gebracht werden mußten, bis der Dränger und Treiber, der ewige Friedensstörer gestürzt war. Wer konnte an so etwas denken, so lange das blutige Würfelspiel des Krieges noch fortdauerte? Und noch lange, schwere Monate dauerte es, bis zum letzten male in diesem Kriege die preußischen Flügelhörner am Fuße des Montmartre das Signal bliesen: „Das Ganze cwcmciren!", bis die preußischen Bataillone, unter denen sich auch die jugendlichen Prinzen Friedrich Wilhelm und Wilhelm befanden, dort beim Sturme auf den Montmartre und auf La Billette den schönen Vers bewahrheiteten: In Siegesjubel, in Todesqual Bleibt „Avanciren" das Preußen-Signal, bis die siegreichen Fahnen mit dem schwarzen Adler über der bezwungenen Hauptstadt Frankreichs wehten, bis Friedrich Wilhelm und Alexander mit ihren Garden über den Eintrachtsplatz reiten und in den elyseischen Feldern ihre Helden mustern konnten. Geschichten aus Korfu. or drei Jahren erschien von Hans Hoffmann eine Sammlung Novellen: „Im Lande der Phäaken," die von allen Seiten als eine der vornehmsten Erscheinungen der neuesten Literatur an¬ erkannt wurde. Kürzlich ist ein zweiter Band in derselben Land¬ schaft spielender Novellen: Neue Korfu-Geschichten (Berlin, Gebrüder Paetel, 1887) erschienen,*) die sich jenen ältern würdig anreihen und *) Warum nicht Geschichten aus Korfu? Die Zusammensetzung Korfugeschichten ist genau so garstig wie die jetzt beliebten Wörter: Goethcbiographie, Pilotyschüler, Weimarloose, Jtalienreisende u. ahnt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/635>, abgerufen am 24.08.2024.