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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Geschichten aus Korfu.

die den Kreis der Motive zu schließen scheinen, welche der Dichter seinem rea¬
listisch-romantischen Phciakenlcmde abzugewinnen imstande war. Die neuesten,
vorläufig in Zeitschriften veröffentlichten Dichtungen Hoffmanns führen uns
schon in eine andre Natur und zu einem andern Volke, sie geben damit auch
Zeugnis von der Vielseitigkeit seiner poetischen Begabung.

Hans Hoffmann ist in Wahrheit eine künstlerische Natur von der Zehe bis
zum Scheitel, an der man seine reine Freude haben kann. Schon sein äußeres
Auftreten ist edel: man kennt von ihm nur seine Werke, diese sollen für ihn
sprechen, er selbst hält sich bescheiden im Hintergrunde. Er strebt nicht nach
dem künstlichen Ruhme, den befreundete Zeitungsredakteure schaffen können, er
gehört keiner literarischen Zunft an und hat sich gerade dadurch eine stille Ge¬
meinde von Liebhabern seiner Novellen geschaffen, die zwar langsam, aber umso
wirksamer ihre weiteren Kreise in der Gunst der Nation ziehen. Nur aus den
Widmungen seiner Bücher erkennt man, wo er seine Freunde sucht; den "Hexen¬
prediger" (zweifellos seine beste Dichtung) hat er seiner lieben Braut, die in¬
zwischen seine Gattin geworden ist, gewidmet, die "Phciciken" gleich dem Meister
Gottfried Keller, und den neuesten Band dem Ästhetiker Bischer, der leider nur
das Erscheinen des Buches nicht mehr erleben sollte.

Allen wahrhaft dichterischen Naturen ist es eigentümlich, daß sich in der
Wahl, die sie aus dem Neichtume der Welt und der menschlichen Charaktere
für die Darstellung in ihren Gedichten treffen, ein ihnen zumeist unbewußter
Zusammenhang bemerkbar macht. Es ist in ihnen unbewußt eine Idee thätig
-- es pflegen mehrere solcher Ideen zusammenzuwirken --, welche die mannich-
faltigen Bilder und Motive zu einem auf sich selbst beruhenden geistigen Or¬
ganismus vereinigt. Das sind ihre Lieblingsmotive, Zustände oder Figuren,
die unter den verschiednen Verkleidungen, in allen möglichen Veränderungen doch
immer ihre innere Verwandtschaft verraten. Hat man jene Hauptideen erfaßt,
so findet man das ganze Schaffen eines solchen Dichters merkwürdig klar und
folgerichtig; mau begreift, warum er gerade diese und keine andern Motive
dichterisch ausgestattete; es ist, als wenn man die Natur in ihm, wie sie selbst¬
schöpferisch sich offenbart, belauscht hätte. Wie diese Beobachtung mir bei wahr¬
haft künstlerischen Persönlichkeiten möglich ist und umso schwieriger zu machen
ist, je reicher, je großartiger und wandelbarer eine Persönlichkeit ist, so ist ander¬
seits auch die Möglichkeit einer solchen Beobachtung eine Gewähr dafür, daß
der betreffende Dichter wirklich original-schöpferisch ist, womit über das Maß
und den Wert seiner Originalität allerdings noch kein Urteil gefällt ist (was
sehr oft von den Kritikern übersehen wird).

Bei Hans Hoffmann ist eine solche Beobachtung für jeden aufmerksamen
Leser leicht zu machen; sie ist aber deswegen von besondrer Wichtigkeit, weil es
oberflächliche Leser und leider auch Rezensenten seiner Novellen giebt, die, schnell
fertig mit dem Urteil, ihn schon deswegen als einen Nachahmer Gottfried Kellers


Geschichten aus Korfu.

die den Kreis der Motive zu schließen scheinen, welche der Dichter seinem rea¬
listisch-romantischen Phciakenlcmde abzugewinnen imstande war. Die neuesten,
vorläufig in Zeitschriften veröffentlichten Dichtungen Hoffmanns führen uns
schon in eine andre Natur und zu einem andern Volke, sie geben damit auch
Zeugnis von der Vielseitigkeit seiner poetischen Begabung.

Hans Hoffmann ist in Wahrheit eine künstlerische Natur von der Zehe bis
zum Scheitel, an der man seine reine Freude haben kann. Schon sein äußeres
Auftreten ist edel: man kennt von ihm nur seine Werke, diese sollen für ihn
sprechen, er selbst hält sich bescheiden im Hintergrunde. Er strebt nicht nach
dem künstlichen Ruhme, den befreundete Zeitungsredakteure schaffen können, er
gehört keiner literarischen Zunft an und hat sich gerade dadurch eine stille Ge¬
meinde von Liebhabern seiner Novellen geschaffen, die zwar langsam, aber umso
wirksamer ihre weiteren Kreise in der Gunst der Nation ziehen. Nur aus den
Widmungen seiner Bücher erkennt man, wo er seine Freunde sucht; den „Hexen¬
prediger" (zweifellos seine beste Dichtung) hat er seiner lieben Braut, die in¬
zwischen seine Gattin geworden ist, gewidmet, die „Phciciken" gleich dem Meister
Gottfried Keller, und den neuesten Band dem Ästhetiker Bischer, der leider nur
das Erscheinen des Buches nicht mehr erleben sollte.

Allen wahrhaft dichterischen Naturen ist es eigentümlich, daß sich in der
Wahl, die sie aus dem Neichtume der Welt und der menschlichen Charaktere
für die Darstellung in ihren Gedichten treffen, ein ihnen zumeist unbewußter
Zusammenhang bemerkbar macht. Es ist in ihnen unbewußt eine Idee thätig
— es pflegen mehrere solcher Ideen zusammenzuwirken —, welche die mannich-
faltigen Bilder und Motive zu einem auf sich selbst beruhenden geistigen Or¬
ganismus vereinigt. Das sind ihre Lieblingsmotive, Zustände oder Figuren,
die unter den verschiednen Verkleidungen, in allen möglichen Veränderungen doch
immer ihre innere Verwandtschaft verraten. Hat man jene Hauptideen erfaßt,
so findet man das ganze Schaffen eines solchen Dichters merkwürdig klar und
folgerichtig; mau begreift, warum er gerade diese und keine andern Motive
dichterisch ausgestattete; es ist, als wenn man die Natur in ihm, wie sie selbst¬
schöpferisch sich offenbart, belauscht hätte. Wie diese Beobachtung mir bei wahr¬
haft künstlerischen Persönlichkeiten möglich ist und umso schwieriger zu machen
ist, je reicher, je großartiger und wandelbarer eine Persönlichkeit ist, so ist ander¬
seits auch die Möglichkeit einer solchen Beobachtung eine Gewähr dafür, daß
der betreffende Dichter wirklich original-schöpferisch ist, womit über das Maß
und den Wert seiner Originalität allerdings noch kein Urteil gefällt ist (was
sehr oft von den Kritikern übersehen wird).

Bei Hans Hoffmann ist eine solche Beobachtung für jeden aufmerksamen
Leser leicht zu machen; sie ist aber deswegen von besondrer Wichtigkeit, weil es
oberflächliche Leser und leider auch Rezensenten seiner Novellen giebt, die, schnell
fertig mit dem Urteil, ihn schon deswegen als einen Nachahmer Gottfried Kellers


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[0636] Geschichten aus Korfu. die den Kreis der Motive zu schließen scheinen, welche der Dichter seinem rea¬ listisch-romantischen Phciakenlcmde abzugewinnen imstande war. Die neuesten, vorläufig in Zeitschriften veröffentlichten Dichtungen Hoffmanns führen uns schon in eine andre Natur und zu einem andern Volke, sie geben damit auch Zeugnis von der Vielseitigkeit seiner poetischen Begabung. Hans Hoffmann ist in Wahrheit eine künstlerische Natur von der Zehe bis zum Scheitel, an der man seine reine Freude haben kann. Schon sein äußeres Auftreten ist edel: man kennt von ihm nur seine Werke, diese sollen für ihn sprechen, er selbst hält sich bescheiden im Hintergrunde. Er strebt nicht nach dem künstlichen Ruhme, den befreundete Zeitungsredakteure schaffen können, er gehört keiner literarischen Zunft an und hat sich gerade dadurch eine stille Ge¬ meinde von Liebhabern seiner Novellen geschaffen, die zwar langsam, aber umso wirksamer ihre weiteren Kreise in der Gunst der Nation ziehen. Nur aus den Widmungen seiner Bücher erkennt man, wo er seine Freunde sucht; den „Hexen¬ prediger" (zweifellos seine beste Dichtung) hat er seiner lieben Braut, die in¬ zwischen seine Gattin geworden ist, gewidmet, die „Phciciken" gleich dem Meister Gottfried Keller, und den neuesten Band dem Ästhetiker Bischer, der leider nur das Erscheinen des Buches nicht mehr erleben sollte. Allen wahrhaft dichterischen Naturen ist es eigentümlich, daß sich in der Wahl, die sie aus dem Neichtume der Welt und der menschlichen Charaktere für die Darstellung in ihren Gedichten treffen, ein ihnen zumeist unbewußter Zusammenhang bemerkbar macht. Es ist in ihnen unbewußt eine Idee thätig — es pflegen mehrere solcher Ideen zusammenzuwirken —, welche die mannich- faltigen Bilder und Motive zu einem auf sich selbst beruhenden geistigen Or¬ ganismus vereinigt. Das sind ihre Lieblingsmotive, Zustände oder Figuren, die unter den verschiednen Verkleidungen, in allen möglichen Veränderungen doch immer ihre innere Verwandtschaft verraten. Hat man jene Hauptideen erfaßt, so findet man das ganze Schaffen eines solchen Dichters merkwürdig klar und folgerichtig; mau begreift, warum er gerade diese und keine andern Motive dichterisch ausgestattete; es ist, als wenn man die Natur in ihm, wie sie selbst¬ schöpferisch sich offenbart, belauscht hätte. Wie diese Beobachtung mir bei wahr¬ haft künstlerischen Persönlichkeiten möglich ist und umso schwieriger zu machen ist, je reicher, je großartiger und wandelbarer eine Persönlichkeit ist, so ist ander¬ seits auch die Möglichkeit einer solchen Beobachtung eine Gewähr dafür, daß der betreffende Dichter wirklich original-schöpferisch ist, womit über das Maß und den Wert seiner Originalität allerdings noch kein Urteil gefällt ist (was sehr oft von den Kritikern übersehen wird). Bei Hans Hoffmann ist eine solche Beobachtung für jeden aufmerksamen Leser leicht zu machen; sie ist aber deswegen von besondrer Wichtigkeit, weil es oberflächliche Leser und leider auch Rezensenten seiner Novellen giebt, die, schnell fertig mit dem Urteil, ihn schon deswegen als einen Nachahmer Gottfried Kellers

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/636>, abgerufen am 24.08.2024.