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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosoxhen.

ein herrschaftlicher Park gewesen war, und an einer Seite begleitet vom Flusse
mit offenem, hohem Ufer, der gerade dort ziemlich breit und lebhaft ist und
von Kähnen belebt war, die Festgäste ab- und zuführten. Da geschah es, als
ich dem bunten Treiben beim kleinen Hafen zusah und eine Gesellschaft einen
Kahn bestieg in lebhaft luftigem Gebahren, daß ein junger Mann aus dem
Kahne her einem älteren Manne, der gleich neben mir auf dem Ufer stand, die
Worte zurief: "Vater, du kannst 's Haus verkaufen, wir brauchens nicht mehr,
wir sind im Himmel." Es waren wohlhabende Leute aus einem nahen Dorfe,
das sah und hörte man, der junge Mann sprach auch in voller Mundart, die
mit dem hvchgegriffeuen Inhalte einen merkwürdigen Gegensatz bildete, also:
"Vater, de kannsts Haus verkofen, zur brauchens nich mehr, zur sin in Himmel."
Man hätte gleich näher nachfragen sollen nach den Verhältnissen, die da vor¬
lagen, und den Vater hatte ich ja zur Hand, war aber mit dem Inhalt des
merkwürdigen Ausrufs gleich so in mir beschäftigt, daß es unterblieb. Nur
so viel hatte ich bemerkt, daß die dörfliche Gesellschaft aus dem Tanzsaale kam,
als welcher der Hauptsaal des alten Herrenhauses nun diente, und erraten ließ
sich, daß da bei Spiel und Tanz zwei Herzen sich gefunden hatten, deren
Freude im Gefühl eines neuen, ungeahnt schönen Lebens eben zu vollster Blüte
ausgebrochen war. Das war denn auch so ein Silberblick, den man in der
Erinnerung nachher so leicht erbleichen läßt oder vom Schutt des Lebens über¬
schütten. Aber die Aufforderung, das Haus zu verkaufen, weil man nun im
Himmel Haus habe, das Haus im Dorfe, das beide doch nun erst recht brauchen
konnten und der Vater auf alle Fälle (er mußte wohl aber nun auch mit in
dem himmlischen Hause gedacht sein), das ist doch der Ausdruck eines -- Idealis¬
mus, nach dem man bei Städtern in gleicher Lage umsonst suchen würde. Es
ist aber gar nicht "ideal," was wir Städter so nennen, es ist einfach kindlich
im höchsten Sinne, wie denn die reinste, höchste Freude immer ins Kindliche
zurückführt. Der Grundgedanke oder die Grundempfindung aber, aus denen
das vorbrach, sind doch dieselben, wie dort bei dem Sterbenmögcn im Besitz der
höchsten weiten Seelenfreude, nur daß hier, fröhlicher gefärbt, das Sterben
übersprungen wird und das neue hohe Leben, der Himmel, gleich mit in dieses
Leben gesetzt ist, "der Himmel auf Erden," wie es die Sprache benennt.


2. Vom Sterben selber, nichts Düsteres.

Das Sterben selber: meidet man sonst mit Recht, ohne Not daran zu
denken, so muß doch der Sterbliche mit Gedanken Stellung dazu nehmen, da
es nun einmal sicher heranrückt, mit jedem Tage ein bestimmtes Stückchen
näher. Fangen doch die Kinder ziemlich früh damit an, wenn sie eine Zeit
lang gern von Tod und Sterben reden und darum Fragen thun, mit Bezug
auf Menschen und Tiere, die ihnen innerlich nahe treten; es ist ungefähr die


Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosoxhen.

ein herrschaftlicher Park gewesen war, und an einer Seite begleitet vom Flusse
mit offenem, hohem Ufer, der gerade dort ziemlich breit und lebhaft ist und
von Kähnen belebt war, die Festgäste ab- und zuführten. Da geschah es, als
ich dem bunten Treiben beim kleinen Hafen zusah und eine Gesellschaft einen
Kahn bestieg in lebhaft luftigem Gebahren, daß ein junger Mann aus dem
Kahne her einem älteren Manne, der gleich neben mir auf dem Ufer stand, die
Worte zurief: „Vater, du kannst 's Haus verkaufen, wir brauchens nicht mehr,
wir sind im Himmel." Es waren wohlhabende Leute aus einem nahen Dorfe,
das sah und hörte man, der junge Mann sprach auch in voller Mundart, die
mit dem hvchgegriffeuen Inhalte einen merkwürdigen Gegensatz bildete, also:
„Vater, de kannsts Haus verkofen, zur brauchens nich mehr, zur sin in Himmel."
Man hätte gleich näher nachfragen sollen nach den Verhältnissen, die da vor¬
lagen, und den Vater hatte ich ja zur Hand, war aber mit dem Inhalt des
merkwürdigen Ausrufs gleich so in mir beschäftigt, daß es unterblieb. Nur
so viel hatte ich bemerkt, daß die dörfliche Gesellschaft aus dem Tanzsaale kam,
als welcher der Hauptsaal des alten Herrenhauses nun diente, und erraten ließ
sich, daß da bei Spiel und Tanz zwei Herzen sich gefunden hatten, deren
Freude im Gefühl eines neuen, ungeahnt schönen Lebens eben zu vollster Blüte
ausgebrochen war. Das war denn auch so ein Silberblick, den man in der
Erinnerung nachher so leicht erbleichen läßt oder vom Schutt des Lebens über¬
schütten. Aber die Aufforderung, das Haus zu verkaufen, weil man nun im
Himmel Haus habe, das Haus im Dorfe, das beide doch nun erst recht brauchen
konnten und der Vater auf alle Fälle (er mußte wohl aber nun auch mit in
dem himmlischen Hause gedacht sein), das ist doch der Ausdruck eines — Idealis¬
mus, nach dem man bei Städtern in gleicher Lage umsonst suchen würde. Es
ist aber gar nicht „ideal," was wir Städter so nennen, es ist einfach kindlich
im höchsten Sinne, wie denn die reinste, höchste Freude immer ins Kindliche
zurückführt. Der Grundgedanke oder die Grundempfindung aber, aus denen
das vorbrach, sind doch dieselben, wie dort bei dem Sterbenmögcn im Besitz der
höchsten weiten Seelenfreude, nur daß hier, fröhlicher gefärbt, das Sterben
übersprungen wird und das neue hohe Leben, der Himmel, gleich mit in dieses
Leben gesetzt ist, „der Himmel auf Erden," wie es die Sprache benennt.


2. Vom Sterben selber, nichts Düsteres.

Das Sterben selber: meidet man sonst mit Recht, ohne Not daran zu
denken, so muß doch der Sterbliche mit Gedanken Stellung dazu nehmen, da
es nun einmal sicher heranrückt, mit jedem Tage ein bestimmtes Stückchen
näher. Fangen doch die Kinder ziemlich früh damit an, wenn sie eine Zeit
lang gern von Tod und Sterben reden und darum Fragen thun, mit Bezug
auf Menschen und Tiere, die ihnen innerlich nahe treten; es ist ungefähr die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/50>, abgerufen am 22.07.2024.