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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Äußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta.

Da sind wohl vorzügliche Kenner der sozialen Frage, wie Hitze, aber sie wissen
praktisch nichts Besseres als wir andern auch, Schöne Wünsche über Sonutags-
heiligung, Normalarbeitstag, Kinderarbeit, Postbcschränkung können die soziale
Frage so wenig lösen als Weihrauch und Weihwasser; Kolpiugsche Gesellen-
Vereine sind vortrefflich, aber sie thun es auch nicht. Ganz lächerlich war es,
das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Umtriebe der Sozialdemokrcttie mit dem
Bemerken zu verurteilen, daß die katholische Kirche, wenn die Maigesetze auf¬
gehoben würden, das alles aufs schönste besorgen würde. So sehen wir also
den künftigen Leistungen des Zentrums in sozialer Reform ohne große Hoff¬
nung entgegen. Aber das ist unzweifelhaft, daß wir auf alle Fälle dem Zen¬
trum noch ein langes Leben prophezeien können. Denn es sind dauernde Be¬
dürfnisse der Kurie, für deren Befriedigung das Zentrum bestimmt ist.




Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta.
von Ludwig von Hirschfeld. (Schluß,)
4.

^iK?' >5/tzA^,s ist notwendig gewesen, auf die Gründe der Entwertung des
Papiergeldes tiefer einzugehen, weil nur aus der Erkenntnis der¬
selben eine sichere Anschauung über die eigentliche Finanzlage
Rußlands gewonnen werden kann. Der Maugel dieser Er¬
kenntnis hat die Finanzleiter des Reiches häufig auf Irrwege
geführt. Das beweist zur Genüge die vollständige Ergebnislosigkeit aller zur
Hebung des Kurses angestellten Versuche und Reformpläne. Wie im vorigen
Aufsatze darzuthun versucht wurde, sind es nicht die Ergebnisse der Handelsbilanz
oder der auswärtigen Zinszahlungen, welche die Entwertung der Kreditbillets
veranlaßten; ebensowenig ist die hohe Umlaufsziffer der letztern an sich die Ur¬
sache des Übels. Dieses wurzelt vielmehr in der Zwitterhaftigkeit des Papier¬
geldes selbst. Deshalb werden alle Versuche, deu Parikurs wiederherzustellen,
so lange erfolglos bleiben, als nicht das Papiergeldsystem geändert ist, es sei
denn, daß Nußland durch eine außerordentliche (etwa auf dem Wege von Kriegs-
kontributionen ?c. bewirkte) Gvldcinfuhr oder durch Entdeckung neuer Goldminen
im Lande seinen Metallschatz bedeutend zu vermehren und dadurch die Einlös-
barkeit des Papiergeldes wiederherzustellen imstande wäre. Dieser Fall ist aber
nicht zu erwarten.


Grenzboten III, 1886, L
Äußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta.

Da sind wohl vorzügliche Kenner der sozialen Frage, wie Hitze, aber sie wissen
praktisch nichts Besseres als wir andern auch, Schöne Wünsche über Sonutags-
heiligung, Normalarbeitstag, Kinderarbeit, Postbcschränkung können die soziale
Frage so wenig lösen als Weihrauch und Weihwasser; Kolpiugsche Gesellen-
Vereine sind vortrefflich, aber sie thun es auch nicht. Ganz lächerlich war es,
das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Umtriebe der Sozialdemokrcttie mit dem
Bemerken zu verurteilen, daß die katholische Kirche, wenn die Maigesetze auf¬
gehoben würden, das alles aufs schönste besorgen würde. So sehen wir also
den künftigen Leistungen des Zentrums in sozialer Reform ohne große Hoff¬
nung entgegen. Aber das ist unzweifelhaft, daß wir auf alle Fälle dem Zen¬
trum noch ein langes Leben prophezeien können. Denn es sind dauernde Be¬
dürfnisse der Kurie, für deren Befriedigung das Zentrum bestimmt ist.




Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta.
von Ludwig von Hirschfeld. (Schluß,)
4.

^iK?' >5/tzA^,s ist notwendig gewesen, auf die Gründe der Entwertung des
Papiergeldes tiefer einzugehen, weil nur aus der Erkenntnis der¬
selben eine sichere Anschauung über die eigentliche Finanzlage
Rußlands gewonnen werden kann. Der Maugel dieser Er¬
kenntnis hat die Finanzleiter des Reiches häufig auf Irrwege
geführt. Das beweist zur Genüge die vollständige Ergebnislosigkeit aller zur
Hebung des Kurses angestellten Versuche und Reformpläne. Wie im vorigen
Aufsatze darzuthun versucht wurde, sind es nicht die Ergebnisse der Handelsbilanz
oder der auswärtigen Zinszahlungen, welche die Entwertung der Kreditbillets
veranlaßten; ebensowenig ist die hohe Umlaufsziffer der letztern an sich die Ur¬
sache des Übels. Dieses wurzelt vielmehr in der Zwitterhaftigkeit des Papier¬
geldes selbst. Deshalb werden alle Versuche, deu Parikurs wiederherzustellen,
so lange erfolglos bleiben, als nicht das Papiergeldsystem geändert ist, es sei
denn, daß Nußland durch eine außerordentliche (etwa auf dem Wege von Kriegs-
kontributionen ?c. bewirkte) Gvldcinfuhr oder durch Entdeckung neuer Goldminen
im Lande seinen Metallschatz bedeutend zu vermehren und dadurch die Einlös-
barkeit des Papiergeldes wiederherzustellen imstande wäre. Dieser Fall ist aber
nicht zu erwarten.


Grenzboten III, 1886, L
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[0065] Äußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta. Da sind wohl vorzügliche Kenner der sozialen Frage, wie Hitze, aber sie wissen praktisch nichts Besseres als wir andern auch, Schöne Wünsche über Sonutags- heiligung, Normalarbeitstag, Kinderarbeit, Postbcschränkung können die soziale Frage so wenig lösen als Weihrauch und Weihwasser; Kolpiugsche Gesellen- Vereine sind vortrefflich, aber sie thun es auch nicht. Ganz lächerlich war es, das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Umtriebe der Sozialdemokrcttie mit dem Bemerken zu verurteilen, daß die katholische Kirche, wenn die Maigesetze auf¬ gehoben würden, das alles aufs schönste besorgen würde. So sehen wir also den künftigen Leistungen des Zentrums in sozialer Reform ohne große Hoff¬ nung entgegen. Aber das ist unzweifelhaft, daß wir auf alle Fälle dem Zen¬ trum noch ein langes Leben prophezeien können. Denn es sind dauernde Be¬ dürfnisse der Kurie, für deren Befriedigung das Zentrum bestimmt ist. Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta. von Ludwig von Hirschfeld. (Schluß,) 4. ^iK?' >5/tzA^,s ist notwendig gewesen, auf die Gründe der Entwertung des Papiergeldes tiefer einzugehen, weil nur aus der Erkenntnis der¬ selben eine sichere Anschauung über die eigentliche Finanzlage Rußlands gewonnen werden kann. Der Maugel dieser Er¬ kenntnis hat die Finanzleiter des Reiches häufig auf Irrwege geführt. Das beweist zur Genüge die vollständige Ergebnislosigkeit aller zur Hebung des Kurses angestellten Versuche und Reformpläne. Wie im vorigen Aufsatze darzuthun versucht wurde, sind es nicht die Ergebnisse der Handelsbilanz oder der auswärtigen Zinszahlungen, welche die Entwertung der Kreditbillets veranlaßten; ebensowenig ist die hohe Umlaufsziffer der letztern an sich die Ur¬ sache des Übels. Dieses wurzelt vielmehr in der Zwitterhaftigkeit des Papier¬ geldes selbst. Deshalb werden alle Versuche, deu Parikurs wiederherzustellen, so lange erfolglos bleiben, als nicht das Papiergeldsystem geändert ist, es sei denn, daß Nußland durch eine außerordentliche (etwa auf dem Wege von Kriegs- kontributionen ?c. bewirkte) Gvldcinfuhr oder durch Entdeckung neuer Goldminen im Lande seinen Metallschatz bedeutend zu vermehren und dadurch die Einlös- barkeit des Papiergeldes wiederherzustellen imstande wäre. Dieser Fall ist aber nicht zu erwarten. Grenzboten III, 1886, L

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/65>, abgerufen am 22.07.2024.