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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta.

Über den Verlauf der Krisis und die bei deren Beginn vorgenommenen
Finanzreformen können wir kurz hinweggehen. Die bedeutendsten darunter
waren die Zinsherabsetzung von 1857, die Konversion der dreiprozentigcn Bank¬
billets, die Bankreform und die zur Hebung des Kurses im Jahre 1862 be¬
gonnenen finanztcchnischcn Operationen des Herrn von Reutern.

Die Zinsherabsetzung aller bei den kaiserlichen Kreditanstalten angelegten
Privat- und Staatsgelder von vier auf drei Prozent, welche die Banken von
den "müßig liegenden Geldern" befreien, namentlich aber das Privatkapital den
industriellen Unternehmungen zuführe" sollte, hat nichts andres bewirkt als das
Abfließen des letztern nach den ausländischen Börsen, wo nun große Ankäufe
von russischen fünfprozentigen Staatspapieren und Eisenbahnaktien für russische
Privatrechnung stattfanden. Diese Papiere, welche der Staat mit großen
Opfern im Auslande glücklich untergebracht hatte, nahmen nun wieder den Weg
nach der Heimat. Da unter den Käufern sich auch große industrielle und
Handelskompanien mit beträchtlichen Reservefonds befanden, war der Markt
in Se. Petersburg der plötzlichen starken Nachfrage nicht gewachsen und gab
einen großen Teil der Aufträge an London und Berlin ab. Die Nachteile
dieser Lage verschärften sich noch unter Einwirkung einer in das Jahr 1858
fallenden maßlosen Unternehmungssucht. Gerade damals, wo der Unter¬
nehmungsgeist unter dem Schutze ueuerworbener Freiheiten sich in ungewohnter
Weise zu regen begann, war es weniger als je geboten, ihn durch künstliche
Maßregeln anzustacheln. Der großen Gefahr, welche die gleichzeitige Ein-
forderung der gekündigten Einlagen in einem andern Lande gehabt Hütte, stand
indessen in Rußland die Trägheit des Geldverkehrs und die Unzulänglichkeit
des hypothekarischen Kreditwesens im Wege. So ließen sich in der Provinz
viele Gläubiger die Ziusherabsetzuug gefallen. Den Eisenbahnen, für deren
Kapitalbedarf die Maßregel wesentlich berechnet war, kam nur ein geringer
Teil der zurückgezognen Einlagen zu Gute. Schon nach zwei Jahren (1859)
sah die Regierung ihren Irrtum ein, hob die Maßregel ans und gewährte den
standhaft gebliebenen Gläubigern wieder den alten Zinssatz.

Auch die Reorganisation des Bankwesens, welche an sich wohlthuend hätte
wirken können, war von einer Reihe von Mißgriffen begleitet. Zu diesen gehört
vor allem die Konversion der bisher üblichen, jederzeit zahlbaren Vantbillcte in
vierprozcntige unkündbare. Die Finanzgeschichte keunt allerdings zahlreiche
Beispiele, wo die Konsolidirung eines Teiles der allzu hoch geschwollenen
"schwebenden Schuld" oder die Veräußerung von Staatseigentum den Fiskus
aus einer Geldklemme befreit hat. Derartige Operationen sind aber nur dann
nachhaltig gelungen, wenn neben den Banknoten auch noch ein entsprechender
Metallfonds im Lande vorhanden war. So hat u. a. die provisorische Ne¬
gierung in Frankreich zu Anfang 1848 491 Mill. der schwebenden Schuld mit
einem Schlage in Rentenbriefc konvertirt. Vielleicht schwebte diese Maßregel


Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta.

Über den Verlauf der Krisis und die bei deren Beginn vorgenommenen
Finanzreformen können wir kurz hinweggehen. Die bedeutendsten darunter
waren die Zinsherabsetzung von 1857, die Konversion der dreiprozentigcn Bank¬
billets, die Bankreform und die zur Hebung des Kurses im Jahre 1862 be¬
gonnenen finanztcchnischcn Operationen des Herrn von Reutern.

Die Zinsherabsetzung aller bei den kaiserlichen Kreditanstalten angelegten
Privat- und Staatsgelder von vier auf drei Prozent, welche die Banken von
den „müßig liegenden Geldern" befreien, namentlich aber das Privatkapital den
industriellen Unternehmungen zuführe» sollte, hat nichts andres bewirkt als das
Abfließen des letztern nach den ausländischen Börsen, wo nun große Ankäufe
von russischen fünfprozentigen Staatspapieren und Eisenbahnaktien für russische
Privatrechnung stattfanden. Diese Papiere, welche der Staat mit großen
Opfern im Auslande glücklich untergebracht hatte, nahmen nun wieder den Weg
nach der Heimat. Da unter den Käufern sich auch große industrielle und
Handelskompanien mit beträchtlichen Reservefonds befanden, war der Markt
in Se. Petersburg der plötzlichen starken Nachfrage nicht gewachsen und gab
einen großen Teil der Aufträge an London und Berlin ab. Die Nachteile
dieser Lage verschärften sich noch unter Einwirkung einer in das Jahr 1858
fallenden maßlosen Unternehmungssucht. Gerade damals, wo der Unter¬
nehmungsgeist unter dem Schutze ueuerworbener Freiheiten sich in ungewohnter
Weise zu regen begann, war es weniger als je geboten, ihn durch künstliche
Maßregeln anzustacheln. Der großen Gefahr, welche die gleichzeitige Ein-
forderung der gekündigten Einlagen in einem andern Lande gehabt Hütte, stand
indessen in Rußland die Trägheit des Geldverkehrs und die Unzulänglichkeit
des hypothekarischen Kreditwesens im Wege. So ließen sich in der Provinz
viele Gläubiger die Ziusherabsetzuug gefallen. Den Eisenbahnen, für deren
Kapitalbedarf die Maßregel wesentlich berechnet war, kam nur ein geringer
Teil der zurückgezognen Einlagen zu Gute. Schon nach zwei Jahren (1859)
sah die Regierung ihren Irrtum ein, hob die Maßregel ans und gewährte den
standhaft gebliebenen Gläubigern wieder den alten Zinssatz.

Auch die Reorganisation des Bankwesens, welche an sich wohlthuend hätte
wirken können, war von einer Reihe von Mißgriffen begleitet. Zu diesen gehört
vor allem die Konversion der bisher üblichen, jederzeit zahlbaren Vantbillcte in
vierprozcntige unkündbare. Die Finanzgeschichte keunt allerdings zahlreiche
Beispiele, wo die Konsolidirung eines Teiles der allzu hoch geschwollenen
„schwebenden Schuld" oder die Veräußerung von Staatseigentum den Fiskus
aus einer Geldklemme befreit hat. Derartige Operationen sind aber nur dann
nachhaltig gelungen, wenn neben den Banknoten auch noch ein entsprechender
Metallfonds im Lande vorhanden war. So hat u. a. die provisorische Ne¬
gierung in Frankreich zu Anfang 1848 491 Mill. der schwebenden Schuld mit
einem Schlage in Rentenbriefc konvertirt. Vielleicht schwebte diese Maßregel


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[0066] Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta. Über den Verlauf der Krisis und die bei deren Beginn vorgenommenen Finanzreformen können wir kurz hinweggehen. Die bedeutendsten darunter waren die Zinsherabsetzung von 1857, die Konversion der dreiprozentigcn Bank¬ billets, die Bankreform und die zur Hebung des Kurses im Jahre 1862 be¬ gonnenen finanztcchnischcn Operationen des Herrn von Reutern. Die Zinsherabsetzung aller bei den kaiserlichen Kreditanstalten angelegten Privat- und Staatsgelder von vier auf drei Prozent, welche die Banken von den „müßig liegenden Geldern" befreien, namentlich aber das Privatkapital den industriellen Unternehmungen zuführe» sollte, hat nichts andres bewirkt als das Abfließen des letztern nach den ausländischen Börsen, wo nun große Ankäufe von russischen fünfprozentigen Staatspapieren und Eisenbahnaktien für russische Privatrechnung stattfanden. Diese Papiere, welche der Staat mit großen Opfern im Auslande glücklich untergebracht hatte, nahmen nun wieder den Weg nach der Heimat. Da unter den Käufern sich auch große industrielle und Handelskompanien mit beträchtlichen Reservefonds befanden, war der Markt in Se. Petersburg der plötzlichen starken Nachfrage nicht gewachsen und gab einen großen Teil der Aufträge an London und Berlin ab. Die Nachteile dieser Lage verschärften sich noch unter Einwirkung einer in das Jahr 1858 fallenden maßlosen Unternehmungssucht. Gerade damals, wo der Unter¬ nehmungsgeist unter dem Schutze ueuerworbener Freiheiten sich in ungewohnter Weise zu regen begann, war es weniger als je geboten, ihn durch künstliche Maßregeln anzustacheln. Der großen Gefahr, welche die gleichzeitige Ein- forderung der gekündigten Einlagen in einem andern Lande gehabt Hütte, stand indessen in Rußland die Trägheit des Geldverkehrs und die Unzulänglichkeit des hypothekarischen Kreditwesens im Wege. So ließen sich in der Provinz viele Gläubiger die Ziusherabsetzuug gefallen. Den Eisenbahnen, für deren Kapitalbedarf die Maßregel wesentlich berechnet war, kam nur ein geringer Teil der zurückgezognen Einlagen zu Gute. Schon nach zwei Jahren (1859) sah die Regierung ihren Irrtum ein, hob die Maßregel ans und gewährte den standhaft gebliebenen Gläubigern wieder den alten Zinssatz. Auch die Reorganisation des Bankwesens, welche an sich wohlthuend hätte wirken können, war von einer Reihe von Mißgriffen begleitet. Zu diesen gehört vor allem die Konversion der bisher üblichen, jederzeit zahlbaren Vantbillcte in vierprozcntige unkündbare. Die Finanzgeschichte keunt allerdings zahlreiche Beispiele, wo die Konsolidirung eines Teiles der allzu hoch geschwollenen „schwebenden Schuld" oder die Veräußerung von Staatseigentum den Fiskus aus einer Geldklemme befreit hat. Derartige Operationen sind aber nur dann nachhaltig gelungen, wenn neben den Banknoten auch noch ein entsprechender Metallfonds im Lande vorhanden war. So hat u. a. die provisorische Ne¬ gierung in Frankreich zu Anfang 1848 491 Mill. der schwebenden Schuld mit einem Schlage in Rentenbriefc konvertirt. Vielleicht schwebte diese Maßregel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/66>, abgerufen am 22.07.2024.