Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die deutsche Landliga und ihre Bestrebungen.

Amsterdam, und schon deshalb wird es uns nicht gestattet sein, uns zu Vor¬
schlägen, wie sie Henry George, Stamm, die Lcmdliga und viele andre machen,
einfach ablehnend zu verhalten. Mir scheint, daß, wie in andern großen poli¬
tischen und sozialen Fragen, auch in dieser England uns vorausgehen wird.
Denn in diesem Lande liegen die Verhältnisse am einfachsten und am klarsten
zu Tage. Die widerstreitenden Interessen der Grundherren und der Landwirte
sind nicht wie bei uns verquickt, wo Wirt und Grundherr meist in einer Person
zusammentreffen, wo ein zahlreicher Stand kleiner Eigentümer an der Erhaltung
ihres Monopols nicht weniger beteiligt zu sein glaubt als die Großbesitzer.
In England stehen sich Gutsherren und Pächter als zwei vollkommen getrennte
Klassen gegenüber, die sich mit offnem Visir bekämpfen und die ihre Waffen nicht
lediglich aus einem agrarischen Arsenale nehmen. Denn in England, wo Grund¬
besitz, Toryismus und Whigismus so ziemlich das Gleiche bedeuten, dem die
Neuliberalen und Radikalen gegenüberstehen, ist der Kampf zugleich ein politischer
und wird mit allen den Waffen geführt werden, welche in politischen Kämpfen
herkömmlich sind, zugleich aber auch mit jener Weisheit, welche die englischen
Staatsmänner von jeher ausgezeichnet hat und namentlich die herrschende
Aristokratie zum Nachgeben willig macht, wenn es sich darum handelt, einer
Revolution durch eine Reform vorzubeugen.




4.

In England liegt das Problem des Monopols insofern zwar einfacher,
als, wie bemerkt, Grundherren und Pächter getrennte Klaffen sind. Dafür ist
es umso inniger verwachsen mit der Latifundenfrage, indem sich der gesamte
Boden von England, Schottland und Irland im Besitze nur weniger Personen
befindet. In Irland teilen sich 1954? Personen in 90 Prozent des Bodens
und hundert derselben besitzen mehr als ein Fünftel des Landes. England zählt
270000 Grundeigentümer, von welchen 520 volle 55>>/z Prozent des Bodens
zu Eigentum haben. In scho-ttland besitzen nur zwölf Personen 70 Prozent
des Bodens!

Mindestens zwei Drittel allen Landes ist Fideikommis. Diese Gebundenheit
beruht indessen nicht ans Gesetz, sondern auf Privatstiftungcn, die zwar in jeder
Generation aufgehoben werden können, von den Familien aber mit englischer
Zähigkeit aufrecht erhalten werde". Es befinden sich daher die englischen Güter
größtenteils seit Generationen im Besitze derselben Familien. England ist nicht
vermessen, es besitzt keine Grundbücher und es giebt daher auch keine unan¬
fechtbaren Eigcntnmstitel. Verkäufe sind außerordentlich umständlich, erfordern
jahrelange Nachforschungen durch Advokaten, die überaus kostspielig siud und
doch keine absolute Sicherheit gewähren. Aus denselben Gründen sind auch
Hypotheken eine für den Gläubiger sehr gefährliche und daher seltene Erscheinung.


Die deutsche Landliga und ihre Bestrebungen.

Amsterdam, und schon deshalb wird es uns nicht gestattet sein, uns zu Vor¬
schlägen, wie sie Henry George, Stamm, die Lcmdliga und viele andre machen,
einfach ablehnend zu verhalten. Mir scheint, daß, wie in andern großen poli¬
tischen und sozialen Fragen, auch in dieser England uns vorausgehen wird.
Denn in diesem Lande liegen die Verhältnisse am einfachsten und am klarsten
zu Tage. Die widerstreitenden Interessen der Grundherren und der Landwirte
sind nicht wie bei uns verquickt, wo Wirt und Grundherr meist in einer Person
zusammentreffen, wo ein zahlreicher Stand kleiner Eigentümer an der Erhaltung
ihres Monopols nicht weniger beteiligt zu sein glaubt als die Großbesitzer.
In England stehen sich Gutsherren und Pächter als zwei vollkommen getrennte
Klassen gegenüber, die sich mit offnem Visir bekämpfen und die ihre Waffen nicht
lediglich aus einem agrarischen Arsenale nehmen. Denn in England, wo Grund¬
besitz, Toryismus und Whigismus so ziemlich das Gleiche bedeuten, dem die
Neuliberalen und Radikalen gegenüberstehen, ist der Kampf zugleich ein politischer
und wird mit allen den Waffen geführt werden, welche in politischen Kämpfen
herkömmlich sind, zugleich aber auch mit jener Weisheit, welche die englischen
Staatsmänner von jeher ausgezeichnet hat und namentlich die herrschende
Aristokratie zum Nachgeben willig macht, wenn es sich darum handelt, einer
Revolution durch eine Reform vorzubeugen.




4.

In England liegt das Problem des Monopols insofern zwar einfacher,
als, wie bemerkt, Grundherren und Pächter getrennte Klaffen sind. Dafür ist
es umso inniger verwachsen mit der Latifundenfrage, indem sich der gesamte
Boden von England, Schottland und Irland im Besitze nur weniger Personen
befindet. In Irland teilen sich 1954? Personen in 90 Prozent des Bodens
und hundert derselben besitzen mehr als ein Fünftel des Landes. England zählt
270000 Grundeigentümer, von welchen 520 volle 55>>/z Prozent des Bodens
zu Eigentum haben. In scho-ttland besitzen nur zwölf Personen 70 Prozent
des Bodens!

Mindestens zwei Drittel allen Landes ist Fideikommis. Diese Gebundenheit
beruht indessen nicht ans Gesetz, sondern auf Privatstiftungcn, die zwar in jeder
Generation aufgehoben werden können, von den Familien aber mit englischer
Zähigkeit aufrecht erhalten werde». Es befinden sich daher die englischen Güter
größtenteils seit Generationen im Besitze derselben Familien. England ist nicht
vermessen, es besitzt keine Grundbücher und es giebt daher auch keine unan¬
fechtbaren Eigcntnmstitel. Verkäufe sind außerordentlich umständlich, erfordern
jahrelange Nachforschungen durch Advokaten, die überaus kostspielig siud und
doch keine absolute Sicherheit gewähren. Aus denselben Gründen sind auch
Hypotheken eine für den Gläubiger sehr gefährliche und daher seltene Erscheinung.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0501" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199221"/>
            <fw type="header" place="top"> Die deutsche Landliga und ihre Bestrebungen.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1674" prev="#ID_1673"> Amsterdam, und schon deshalb wird es uns nicht gestattet sein, uns zu Vor¬<lb/>
schlägen, wie sie Henry George, Stamm, die Lcmdliga und viele andre machen,<lb/>
einfach ablehnend zu verhalten. Mir scheint, daß, wie in andern großen poli¬<lb/>
tischen und sozialen Fragen, auch in dieser England uns vorausgehen wird.<lb/>
Denn in diesem Lande liegen die Verhältnisse am einfachsten und am klarsten<lb/>
zu Tage. Die widerstreitenden Interessen der Grundherren und der Landwirte<lb/>
sind nicht wie bei uns verquickt, wo Wirt und Grundherr meist in einer Person<lb/>
zusammentreffen, wo ein zahlreicher Stand kleiner Eigentümer an der Erhaltung<lb/>
ihres Monopols nicht weniger beteiligt zu sein glaubt als die Großbesitzer.<lb/>
In England stehen sich Gutsherren und Pächter als zwei vollkommen getrennte<lb/>
Klassen gegenüber, die sich mit offnem Visir bekämpfen und die ihre Waffen nicht<lb/>
lediglich aus einem agrarischen Arsenale nehmen. Denn in England, wo Grund¬<lb/>
besitz, Toryismus und Whigismus so ziemlich das Gleiche bedeuten, dem die<lb/>
Neuliberalen und Radikalen gegenüberstehen, ist der Kampf zugleich ein politischer<lb/>
und wird mit allen den Waffen geführt werden, welche in politischen Kämpfen<lb/>
herkömmlich sind, zugleich aber auch mit jener Weisheit, welche die englischen<lb/>
Staatsmänner von jeher ausgezeichnet hat und namentlich die herrschende<lb/>
Aristokratie zum Nachgeben willig macht, wenn es sich darum handelt, einer<lb/>
Revolution durch eine Reform vorzubeugen.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> 4.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1675"> In England liegt das Problem des Monopols insofern zwar einfacher,<lb/>
als, wie bemerkt, Grundherren und Pächter getrennte Klaffen sind. Dafür ist<lb/>
es umso inniger verwachsen mit der Latifundenfrage, indem sich der gesamte<lb/>
Boden von England, Schottland und Irland im Besitze nur weniger Personen<lb/>
befindet. In Irland teilen sich 1954? Personen in 90 Prozent des Bodens<lb/>
und hundert derselben besitzen mehr als ein Fünftel des Landes. England zählt<lb/>
270000 Grundeigentümer, von welchen 520 volle 55&gt;&gt;/z Prozent des Bodens<lb/>
zu Eigentum haben. In scho-ttland besitzen nur zwölf Personen 70 Prozent<lb/>
des Bodens!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1676"> Mindestens zwei Drittel allen Landes ist Fideikommis. Diese Gebundenheit<lb/>
beruht indessen nicht ans Gesetz, sondern auf Privatstiftungcn, die zwar in jeder<lb/>
Generation aufgehoben werden können, von den Familien aber mit englischer<lb/>
Zähigkeit aufrecht erhalten werde». Es befinden sich daher die englischen Güter<lb/>
größtenteils seit Generationen im Besitze derselben Familien. England ist nicht<lb/>
vermessen, es besitzt keine Grundbücher und es giebt daher auch keine unan¬<lb/>
fechtbaren Eigcntnmstitel. Verkäufe sind außerordentlich umständlich, erfordern<lb/>
jahrelange Nachforschungen durch Advokaten, die überaus kostspielig siud und<lb/>
doch keine absolute Sicherheit gewähren. Aus denselben Gründen sind auch<lb/>
Hypotheken eine für den Gläubiger sehr gefährliche und daher seltene Erscheinung.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0501] Die deutsche Landliga und ihre Bestrebungen. Amsterdam, und schon deshalb wird es uns nicht gestattet sein, uns zu Vor¬ schlägen, wie sie Henry George, Stamm, die Lcmdliga und viele andre machen, einfach ablehnend zu verhalten. Mir scheint, daß, wie in andern großen poli¬ tischen und sozialen Fragen, auch in dieser England uns vorausgehen wird. Denn in diesem Lande liegen die Verhältnisse am einfachsten und am klarsten zu Tage. Die widerstreitenden Interessen der Grundherren und der Landwirte sind nicht wie bei uns verquickt, wo Wirt und Grundherr meist in einer Person zusammentreffen, wo ein zahlreicher Stand kleiner Eigentümer an der Erhaltung ihres Monopols nicht weniger beteiligt zu sein glaubt als die Großbesitzer. In England stehen sich Gutsherren und Pächter als zwei vollkommen getrennte Klassen gegenüber, die sich mit offnem Visir bekämpfen und die ihre Waffen nicht lediglich aus einem agrarischen Arsenale nehmen. Denn in England, wo Grund¬ besitz, Toryismus und Whigismus so ziemlich das Gleiche bedeuten, dem die Neuliberalen und Radikalen gegenüberstehen, ist der Kampf zugleich ein politischer und wird mit allen den Waffen geführt werden, welche in politischen Kämpfen herkömmlich sind, zugleich aber auch mit jener Weisheit, welche die englischen Staatsmänner von jeher ausgezeichnet hat und namentlich die herrschende Aristokratie zum Nachgeben willig macht, wenn es sich darum handelt, einer Revolution durch eine Reform vorzubeugen. 4. In England liegt das Problem des Monopols insofern zwar einfacher, als, wie bemerkt, Grundherren und Pächter getrennte Klaffen sind. Dafür ist es umso inniger verwachsen mit der Latifundenfrage, indem sich der gesamte Boden von England, Schottland und Irland im Besitze nur weniger Personen befindet. In Irland teilen sich 1954? Personen in 90 Prozent des Bodens und hundert derselben besitzen mehr als ein Fünftel des Landes. England zählt 270000 Grundeigentümer, von welchen 520 volle 55>>/z Prozent des Bodens zu Eigentum haben. In scho-ttland besitzen nur zwölf Personen 70 Prozent des Bodens! Mindestens zwei Drittel allen Landes ist Fideikommis. Diese Gebundenheit beruht indessen nicht ans Gesetz, sondern auf Privatstiftungcn, die zwar in jeder Generation aufgehoben werden können, von den Familien aber mit englischer Zähigkeit aufrecht erhalten werde». Es befinden sich daher die englischen Güter größtenteils seit Generationen im Besitze derselben Familien. England ist nicht vermessen, es besitzt keine Grundbücher und es giebt daher auch keine unan¬ fechtbaren Eigcntnmstitel. Verkäufe sind außerordentlich umständlich, erfordern jahrelange Nachforschungen durch Advokaten, die überaus kostspielig siud und doch keine absolute Sicherheit gewähren. Aus denselben Gründen sind auch Hypotheken eine für den Gläubiger sehr gefährliche und daher seltene Erscheinung.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/501
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/501>, abgerufen am 22.07.2024.