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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Noch einmal die Anträge Hammerstein.

le Hammersteinschen Anträge haben selbst in der abgeschwächten
Gestalt, in der sie zuletzt auftraten, viele Teilnahme gefunden.
Besonders haben sich Synoden der preußischen Landeskirche, nicht
bloß im Osten, sondern auch in Rheinland-Westfalen und in den
neuen Provinzen, mit den gedachten Anträgen befaßt, meist zu¬
stimmend, selten abwehrend. Gewiß werden demnächst auch größere Synoden
dieses interessante Thema verarbeiten. Gegen die im Hintergrunde stehenden
eigentlichen Wünsche der Herren Hammerstein-Brück-Stöcker hat insbesondre
Professor Beyschlag seine beredten Worte gerichtet. Man hat, wie sast immer
in solchen Streitigkeiten, das Gefühl, daß jedes tiefere Eindringen in die schein¬
bar leichte Parteifrage neue erhebliche Schwierigkeiten enthülle, sowohl theo¬
retische wie praktische. Unsre dreihundertjährige Kirchcnverfassungsgeschichte ist
doch auch nicht auszustreichen, und ihre dogmatische Begründung (oder sollen
wir sagen Entschuldigung) will auch studirt sein. Das ist schon viel; und es
erhebt uns ganz gewiß über den wunderlichen Standpunkt, der stets an die
Triumphe der römischen Kirche den Wunsch nach ähnlichen Freiheiten der evan¬
gelischen Kirche knüpft, als ob das gleiche Wort Kirche alle Ungleichheit aus¬
löschte.

Selbst das äußerlichste Stück in den Forderungen, daß die evangelische
Kirche vom Staat besser dotirt werden müsse, ist bei aller Harmlosigkeit und bei
seiner unzweifelhaften Berechtigung ein schweres Stück. Die Zeitungen haben
aus einer Quelle, die nicht offiziell ist, berechnet, daß die für die katholische
Kirche gemäß der Bulle of 8kckrcks anira-iruiir festgesetzte Dotation thatsächlich
jetzt weit überschritten wird, womit ja nichts Auffallendes geschehen würde. Die
evangelische Kirche erhalte lange nicht so viel als die katholische, obwohl sie
sich zu ihr wie 62 :36 verhalte. Es ist das Manko förmlich berechnet worden
auf rund 174 Millionen Mark. Bei diesen Zahlen bleiben so viele Frage¬
zeichen, daß man ganz mit Recht erst eine Landtagskvmmission beauftragt wissen
will, das Genauere über die verschiedene Ausstattung der beiden Kirchen zu
ermitteln.

Gesetzt, die Sache sei festgestellt, daß die evangelische Kirche stiefmütterlich
behandelt werde, wie wird das Abgeordnetenhaus die Gerechtigkeit herstellen?
Soll bei dem nicht zu bezwingender Defizit der Etat für die Kirchen erhöht
werden? jetzt, da viele Tausende von kleinen und mittlern Beamten schon jahre¬
lang auf Aufbesserung warten? Oder soll die jetzige Gesamtausgabe für die


Noch einmal die Anträge Hammerstein.

le Hammersteinschen Anträge haben selbst in der abgeschwächten
Gestalt, in der sie zuletzt auftraten, viele Teilnahme gefunden.
Besonders haben sich Synoden der preußischen Landeskirche, nicht
bloß im Osten, sondern auch in Rheinland-Westfalen und in den
neuen Provinzen, mit den gedachten Anträgen befaßt, meist zu¬
stimmend, selten abwehrend. Gewiß werden demnächst auch größere Synoden
dieses interessante Thema verarbeiten. Gegen die im Hintergrunde stehenden
eigentlichen Wünsche der Herren Hammerstein-Brück-Stöcker hat insbesondre
Professor Beyschlag seine beredten Worte gerichtet. Man hat, wie sast immer
in solchen Streitigkeiten, das Gefühl, daß jedes tiefere Eindringen in die schein¬
bar leichte Parteifrage neue erhebliche Schwierigkeiten enthülle, sowohl theo¬
retische wie praktische. Unsre dreihundertjährige Kirchcnverfassungsgeschichte ist
doch auch nicht auszustreichen, und ihre dogmatische Begründung (oder sollen
wir sagen Entschuldigung) will auch studirt sein. Das ist schon viel; und es
erhebt uns ganz gewiß über den wunderlichen Standpunkt, der stets an die
Triumphe der römischen Kirche den Wunsch nach ähnlichen Freiheiten der evan¬
gelischen Kirche knüpft, als ob das gleiche Wort Kirche alle Ungleichheit aus¬
löschte.

Selbst das äußerlichste Stück in den Forderungen, daß die evangelische
Kirche vom Staat besser dotirt werden müsse, ist bei aller Harmlosigkeit und bei
seiner unzweifelhaften Berechtigung ein schweres Stück. Die Zeitungen haben
aus einer Quelle, die nicht offiziell ist, berechnet, daß die für die katholische
Kirche gemäß der Bulle of 8kckrcks anira-iruiir festgesetzte Dotation thatsächlich
jetzt weit überschritten wird, womit ja nichts Auffallendes geschehen würde. Die
evangelische Kirche erhalte lange nicht so viel als die katholische, obwohl sie
sich zu ihr wie 62 :36 verhalte. Es ist das Manko förmlich berechnet worden
auf rund 174 Millionen Mark. Bei diesen Zahlen bleiben so viele Frage¬
zeichen, daß man ganz mit Recht erst eine Landtagskvmmission beauftragt wissen
will, das Genauere über die verschiedene Ausstattung der beiden Kirchen zu
ermitteln.

Gesetzt, die Sache sei festgestellt, daß die evangelische Kirche stiefmütterlich
behandelt werde, wie wird das Abgeordnetenhaus die Gerechtigkeit herstellen?
Soll bei dem nicht zu bezwingender Defizit der Etat für die Kirchen erhöht
werden? jetzt, da viele Tausende von kleinen und mittlern Beamten schon jahre¬
lang auf Aufbesserung warten? Oder soll die jetzige Gesamtausgabe für die


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[0474] Noch einmal die Anträge Hammerstein. le Hammersteinschen Anträge haben selbst in der abgeschwächten Gestalt, in der sie zuletzt auftraten, viele Teilnahme gefunden. Besonders haben sich Synoden der preußischen Landeskirche, nicht bloß im Osten, sondern auch in Rheinland-Westfalen und in den neuen Provinzen, mit den gedachten Anträgen befaßt, meist zu¬ stimmend, selten abwehrend. Gewiß werden demnächst auch größere Synoden dieses interessante Thema verarbeiten. Gegen die im Hintergrunde stehenden eigentlichen Wünsche der Herren Hammerstein-Brück-Stöcker hat insbesondre Professor Beyschlag seine beredten Worte gerichtet. Man hat, wie sast immer in solchen Streitigkeiten, das Gefühl, daß jedes tiefere Eindringen in die schein¬ bar leichte Parteifrage neue erhebliche Schwierigkeiten enthülle, sowohl theo¬ retische wie praktische. Unsre dreihundertjährige Kirchcnverfassungsgeschichte ist doch auch nicht auszustreichen, und ihre dogmatische Begründung (oder sollen wir sagen Entschuldigung) will auch studirt sein. Das ist schon viel; und es erhebt uns ganz gewiß über den wunderlichen Standpunkt, der stets an die Triumphe der römischen Kirche den Wunsch nach ähnlichen Freiheiten der evan¬ gelischen Kirche knüpft, als ob das gleiche Wort Kirche alle Ungleichheit aus¬ löschte. Selbst das äußerlichste Stück in den Forderungen, daß die evangelische Kirche vom Staat besser dotirt werden müsse, ist bei aller Harmlosigkeit und bei seiner unzweifelhaften Berechtigung ein schweres Stück. Die Zeitungen haben aus einer Quelle, die nicht offiziell ist, berechnet, daß die für die katholische Kirche gemäß der Bulle of 8kckrcks anira-iruiir festgesetzte Dotation thatsächlich jetzt weit überschritten wird, womit ja nichts Auffallendes geschehen würde. Die evangelische Kirche erhalte lange nicht so viel als die katholische, obwohl sie sich zu ihr wie 62 :36 verhalte. Es ist das Manko förmlich berechnet worden auf rund 174 Millionen Mark. Bei diesen Zahlen bleiben so viele Frage¬ zeichen, daß man ganz mit Recht erst eine Landtagskvmmission beauftragt wissen will, das Genauere über die verschiedene Ausstattung der beiden Kirchen zu ermitteln. Gesetzt, die Sache sei festgestellt, daß die evangelische Kirche stiefmütterlich behandelt werde, wie wird das Abgeordnetenhaus die Gerechtigkeit herstellen? Soll bei dem nicht zu bezwingender Defizit der Etat für die Kirchen erhöht werden? jetzt, da viele Tausende von kleinen und mittlern Beamten schon jahre¬ lang auf Aufbesserung warten? Oder soll die jetzige Gesamtausgabe für die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/474>, abgerufen am 22.07.2024.