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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Allerlei Laufbahnen.
Erinnerungen eines alten Journalisten.
ü. Die neue Trompete.

es hatte die herkömmlichen publizistischen Wanderjahre in Paris al>
gedient, in Kirchen und Theatern mein Ohr geschult, von den vswts
und demi l/'i^al o den rechten Schick und den feinen Ton zu lernen
mich bemüht, die Einwanderer angestaunt, welche in kürzester Frist
ebenso geläufig jüdisch-französisch wie jüdisch-polnisch und jüdisch¬
deutsch zu sprechen und zu schreiben vermochten; und es bemächtigte
steh meiner ein gründlicher Ekel vor der Beschäftigung, tagtäglich von dem Treiben
von Komödianten auf der Tribüne und auf den Brettern in die Heimat zu be¬
richten und die tausendmal gezeichneten Straßen- und Snlonbilder noch einmal
zu zeichnen. Der Antrag des Redakteurs der "Trompete," für die ich korrespondirt
hatte, in seinen Stab einzutreten, kam mir daher sehr gelegen.die

Als ich mit dem Ncdaktivnsversvnal bekannt gemacht wurde, fiel mir
Erscheinung und das Benehmen eines Herrn auf, der den Krauskopf ganz in eine
Zeitung gesteckt hatte und thu gerade nur einen Moment lang ein wenig erhob,
während die andern mich kollegial begrüßten. Das Gesicht mußte ich schon einn-al
gesehen haben, aber wann und wo? "Wie nannten Sie den Herrn dort?" fragte
ich leise. "Dr. Goldschaum, Willibald Goldschaum, Nationalökvnom," antwortete
der Redakteur, und setzte, als ich nickte, laut hinzu: "Die Herren kennen sich wohl
schon?" "Kann mich nicht entsinnen," murmelte der Bezeichnete mit einer halbe''
Verbeugung, aber ohne sich in seiner Beschäftigung stören zu lassen. Natürlich
verneinte ich nun ebenfalls, obwohl ich ganz sicher war, einen alten Bekannten von
der Schulbank her vor mir zu haben. Die Züge waren unmöglich zu verkenne",
am wenigsten der Blick, welcher nie seine Richtung bestimmt erkennen ließ; anch
der Name Goldschaum stimmte, nur lautete damals der Vorname meines Erinnern?'
nicht Willibald sondern Wolf. Der Inhaber dieses Blickes wurde als ungcivöh"'
lich erfahren in allen Angelegenheiten der Börse, des Kredit- und Finanzwesen^
geschildert, dabei äußerst radikal in seinen Politischen Ansichten, übrigens als eM
verschlossener, ungemütlicher Geselle, mit welchem niemand Kameradschaft halte"
wolle.

Wir blieben einander fremd, bis er eines Tages mich in meiner WohnM'g
überraschte, um, schickender als je, und mit einem nichts weniger als einnehmende"
Lächeln seine Kurzsichtigkeit und augenblickliche "Okkupation" dafür verantwortlich
zu machen, daß er mich verleugnet hatte. Daran knüpfte er eine lange Erzählung
von seinem Lebens- und Studicngange, die aus handgreiflichen Lügen zusammen¬
gesetzt war und wohl nur den Zweck hatte, auszuforschen, ob ich mich einzelner
Umstände erinnere oder nicht. Ich wußte nun ganz gut, daß er aus den unter"
Klassen des Gymnasiums weg in eine Wechselstube eingetreten war, hatte aber


Allerlei Laufbahnen.
Erinnerungen eines alten Journalisten.
ü. Die neue Trompete.

es hatte die herkömmlichen publizistischen Wanderjahre in Paris al>
gedient, in Kirchen und Theatern mein Ohr geschult, von den vswts
und demi l/'i^al o den rechten Schick und den feinen Ton zu lernen
mich bemüht, die Einwanderer angestaunt, welche in kürzester Frist
ebenso geläufig jüdisch-französisch wie jüdisch-polnisch und jüdisch¬
deutsch zu sprechen und zu schreiben vermochten; und es bemächtigte
steh meiner ein gründlicher Ekel vor der Beschäftigung, tagtäglich von dem Treiben
von Komödianten auf der Tribüne und auf den Brettern in die Heimat zu be¬
richten und die tausendmal gezeichneten Straßen- und Snlonbilder noch einmal
zu zeichnen. Der Antrag des Redakteurs der „Trompete," für die ich korrespondirt
hatte, in seinen Stab einzutreten, kam mir daher sehr gelegen.die

Als ich mit dem Ncdaktivnsversvnal bekannt gemacht wurde, fiel mir
Erscheinung und das Benehmen eines Herrn auf, der den Krauskopf ganz in eine
Zeitung gesteckt hatte und thu gerade nur einen Moment lang ein wenig erhob,
während die andern mich kollegial begrüßten. Das Gesicht mußte ich schon einn-al
gesehen haben, aber wann und wo? „Wie nannten Sie den Herrn dort?" fragte
ich leise. „Dr. Goldschaum, Willibald Goldschaum, Nationalökvnom," antwortete
der Redakteur, und setzte, als ich nickte, laut hinzu: „Die Herren kennen sich wohl
schon?" „Kann mich nicht entsinnen," murmelte der Bezeichnete mit einer halbe''
Verbeugung, aber ohne sich in seiner Beschäftigung stören zu lassen. Natürlich
verneinte ich nun ebenfalls, obwohl ich ganz sicher war, einen alten Bekannten von
der Schulbank her vor mir zu haben. Die Züge waren unmöglich zu verkenne",
am wenigsten der Blick, welcher nie seine Richtung bestimmt erkennen ließ; anch
der Name Goldschaum stimmte, nur lautete damals der Vorname meines Erinnern?'
nicht Willibald sondern Wolf. Der Inhaber dieses Blickes wurde als ungcivöh"'
lich erfahren in allen Angelegenheiten der Börse, des Kredit- und Finanzwesen^
geschildert, dabei äußerst radikal in seinen Politischen Ansichten, übrigens als eM
verschlossener, ungemütlicher Geselle, mit welchem niemand Kameradschaft halte»
wolle.

Wir blieben einander fremd, bis er eines Tages mich in meiner WohnM'g
überraschte, um, schickender als je, und mit einem nichts weniger als einnehmende"
Lächeln seine Kurzsichtigkeit und augenblickliche „Okkupation" dafür verantwortlich
zu machen, daß er mich verleugnet hatte. Daran knüpfte er eine lange Erzählung
von seinem Lebens- und Studicngange, die aus handgreiflichen Lügen zusammen¬
gesetzt war und wohl nur den Zweck hatte, auszuforschen, ob ich mich einzelner
Umstände erinnere oder nicht. Ich wußte nun ganz gut, daß er aus den unter"
Klassen des Gymnasiums weg in eine Wechselstube eingetreten war, hatte aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/376>, abgerufen am 03.07.2024.