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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Etwas über Sklaverei.

die "schlaffe" Kriegführung und erklärte, das Volk begreife nicht, warum der
.Krieg so und nicht anders geführt werde; es habe erkannt, daß derselbe nicht
nach den Willen des Zaren unternommen worden, sondern aus der zwingenden
Erkenntnis der Nation hervorgegangen sei; der Krieg sei nicht sowohl Sache
des Zaren als Sache des Volkes, und er habe keinen Sinn, wenn er nicht als
Nassen- und Religionskrieg geführt werde; die Siege würden vereitelt durch die
Sünde und Schuld, welche auf dem Mittelpunkte der Gesellschaft laste -- die
schwere Sünde der Entfremdung vou der russischen Nationalität. Auch diese
Rede Alsatoffs enthielt nach allgemeinem Urteil eine Drohung gegen die
Krone; sie erklärte mittelbar: erweist sich der Beherrscher Rußlands unfähig,
den deutlich kundgegebenen Willen des Volkes, der energische Kriegführung ver¬
langt, zu vollstrecken, so wird das Volk, d. h. die Gesamtheit des Slawcnkomitees
als Vertretung des Volkes, den Krieg in solcher Weise ohne den Zaren, nach
Beseitigung desselben, fortsetzen. Der Krieg nahm indes jetzt eine bessere Wendung
für Rußland. Als aber schließlich der Gewinn, den er gebracht, zusammen¬
gerechnet, und die Summe der Opfer, die er gefordert, davon abgezogen wurde,
faud mau, daß die Chauvinisten mit aller ihrer Mühe nur ein Fiasko erzielt
hatten. Der Berliner Vertrag schwächte Rußlands Einfluß im Orient und
verhalf Österreich zu einer günstigen Stellung auf der Balkanhalbinsel. Dafür
hatte man viele Tausende russischer Krieger in Schlachte", in Lcizareten, in
Schnee und Eis sterben lassen und die russischen Finanzen heillos zerrüttet. Zar
Alexander wich verständig dem einmütiger Willen der übrigen Großmächte, be¬
gnügte sich mit den Zugeständnissen, die er den Valkanchristcn erkämpft hatte,
und verzichtete darauf, den Weltfrieden ferner zu stören. Deu Chauvinisten aber
erschien dieser Verstand als Verrat, diese Mäßigung als Schwäche, die unver¬
zeihlich war. Nach dem Berliner Frieden beginnt, wie wir in einem Schlu߬
artikel zeigen werden, eine Ära von Attentaten gegen die Person des Monarchen
und seine treuesten Diener, zunächst mit geistigen Waffen vonseiten des Slawen-
kvmitces, dann mit Pistolen und Dynamitbomben vonseiten der freiwilligen
Mitarbeiter derselben, der verwandten, nur mehr links in der Opposition stehenden
Nihilisten.




Etwas über Sklaverei.

e länger wir uns im Besitze von Kolonien befinden, umso häu¬
figer tauchen Fragen vor uns auf, die uns so gut als neu sind,
weil wir von ihnen bisher wohl gehört und geredet haben, aber
praktisch mit ihrer Lösung nie etwas zu thun hatten. Meist sind
es Fragen praktischer Art aus den Gebieten des Handels, des
Plantagenbaues u. s. f., die nicht anders als auf dem Wege langer Erfahrung be-


Etwas über Sklaverei.

die „schlaffe" Kriegführung und erklärte, das Volk begreife nicht, warum der
.Krieg so und nicht anders geführt werde; es habe erkannt, daß derselbe nicht
nach den Willen des Zaren unternommen worden, sondern aus der zwingenden
Erkenntnis der Nation hervorgegangen sei; der Krieg sei nicht sowohl Sache
des Zaren als Sache des Volkes, und er habe keinen Sinn, wenn er nicht als
Nassen- und Religionskrieg geführt werde; die Siege würden vereitelt durch die
Sünde und Schuld, welche auf dem Mittelpunkte der Gesellschaft laste — die
schwere Sünde der Entfremdung vou der russischen Nationalität. Auch diese
Rede Alsatoffs enthielt nach allgemeinem Urteil eine Drohung gegen die
Krone; sie erklärte mittelbar: erweist sich der Beherrscher Rußlands unfähig,
den deutlich kundgegebenen Willen des Volkes, der energische Kriegführung ver¬
langt, zu vollstrecken, so wird das Volk, d. h. die Gesamtheit des Slawcnkomitees
als Vertretung des Volkes, den Krieg in solcher Weise ohne den Zaren, nach
Beseitigung desselben, fortsetzen. Der Krieg nahm indes jetzt eine bessere Wendung
für Rußland. Als aber schließlich der Gewinn, den er gebracht, zusammen¬
gerechnet, und die Summe der Opfer, die er gefordert, davon abgezogen wurde,
faud mau, daß die Chauvinisten mit aller ihrer Mühe nur ein Fiasko erzielt
hatten. Der Berliner Vertrag schwächte Rußlands Einfluß im Orient und
verhalf Österreich zu einer günstigen Stellung auf der Balkanhalbinsel. Dafür
hatte man viele Tausende russischer Krieger in Schlachte», in Lcizareten, in
Schnee und Eis sterben lassen und die russischen Finanzen heillos zerrüttet. Zar
Alexander wich verständig dem einmütiger Willen der übrigen Großmächte, be¬
gnügte sich mit den Zugeständnissen, die er den Valkanchristcn erkämpft hatte,
und verzichtete darauf, den Weltfrieden ferner zu stören. Deu Chauvinisten aber
erschien dieser Verstand als Verrat, diese Mäßigung als Schwäche, die unver¬
zeihlich war. Nach dem Berliner Frieden beginnt, wie wir in einem Schlu߬
artikel zeigen werden, eine Ära von Attentaten gegen die Person des Monarchen
und seine treuesten Diener, zunächst mit geistigen Waffen vonseiten des Slawen-
kvmitces, dann mit Pistolen und Dynamitbomben vonseiten der freiwilligen
Mitarbeiter derselben, der verwandten, nur mehr links in der Opposition stehenden
Nihilisten.




Etwas über Sklaverei.

e länger wir uns im Besitze von Kolonien befinden, umso häu¬
figer tauchen Fragen vor uns auf, die uns so gut als neu sind,
weil wir von ihnen bisher wohl gehört und geredet haben, aber
praktisch mit ihrer Lösung nie etwas zu thun hatten. Meist sind
es Fragen praktischer Art aus den Gebieten des Handels, des
Plantagenbaues u. s. f., die nicht anders als auf dem Wege langer Erfahrung be-


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[0303] Etwas über Sklaverei. die „schlaffe" Kriegführung und erklärte, das Volk begreife nicht, warum der .Krieg so und nicht anders geführt werde; es habe erkannt, daß derselbe nicht nach den Willen des Zaren unternommen worden, sondern aus der zwingenden Erkenntnis der Nation hervorgegangen sei; der Krieg sei nicht sowohl Sache des Zaren als Sache des Volkes, und er habe keinen Sinn, wenn er nicht als Nassen- und Religionskrieg geführt werde; die Siege würden vereitelt durch die Sünde und Schuld, welche auf dem Mittelpunkte der Gesellschaft laste — die schwere Sünde der Entfremdung vou der russischen Nationalität. Auch diese Rede Alsatoffs enthielt nach allgemeinem Urteil eine Drohung gegen die Krone; sie erklärte mittelbar: erweist sich der Beherrscher Rußlands unfähig, den deutlich kundgegebenen Willen des Volkes, der energische Kriegführung ver¬ langt, zu vollstrecken, so wird das Volk, d. h. die Gesamtheit des Slawcnkomitees als Vertretung des Volkes, den Krieg in solcher Weise ohne den Zaren, nach Beseitigung desselben, fortsetzen. Der Krieg nahm indes jetzt eine bessere Wendung für Rußland. Als aber schließlich der Gewinn, den er gebracht, zusammen¬ gerechnet, und die Summe der Opfer, die er gefordert, davon abgezogen wurde, faud mau, daß die Chauvinisten mit aller ihrer Mühe nur ein Fiasko erzielt hatten. Der Berliner Vertrag schwächte Rußlands Einfluß im Orient und verhalf Österreich zu einer günstigen Stellung auf der Balkanhalbinsel. Dafür hatte man viele Tausende russischer Krieger in Schlachte», in Lcizareten, in Schnee und Eis sterben lassen und die russischen Finanzen heillos zerrüttet. Zar Alexander wich verständig dem einmütiger Willen der übrigen Großmächte, be¬ gnügte sich mit den Zugeständnissen, die er den Valkanchristcn erkämpft hatte, und verzichtete darauf, den Weltfrieden ferner zu stören. Deu Chauvinisten aber erschien dieser Verstand als Verrat, diese Mäßigung als Schwäche, die unver¬ zeihlich war. Nach dem Berliner Frieden beginnt, wie wir in einem Schlu߬ artikel zeigen werden, eine Ära von Attentaten gegen die Person des Monarchen und seine treuesten Diener, zunächst mit geistigen Waffen vonseiten des Slawen- kvmitces, dann mit Pistolen und Dynamitbomben vonseiten der freiwilligen Mitarbeiter derselben, der verwandten, nur mehr links in der Opposition stehenden Nihilisten. Etwas über Sklaverei. e länger wir uns im Besitze von Kolonien befinden, umso häu¬ figer tauchen Fragen vor uns auf, die uns so gut als neu sind, weil wir von ihnen bisher wohl gehört und geredet haben, aber praktisch mit ihrer Lösung nie etwas zu thun hatten. Meist sind es Fragen praktischer Art aus den Gebieten des Handels, des Plantagenbaues u. s. f., die nicht anders als auf dem Wege langer Erfahrung be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/303>, abgerufen am 22.07.2024.