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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Hermann Lotzes kleine Schriften.

wie alle versichern, in wohlverdienter Achtung steht, sich an dieser Erziehung
beteiligt, nicht bloß in eine gesunde agrarische Verfassung eingesetzt, sondern
auch zu der Fähigkeit emporgehoben werden, in dieser bessern Lebenslage alle
Tugenden des Menschen und Bürgers zu entwickeln.

In allem Vorstehenden hat uns die Beziehung zwischen den irischen und
unsern Zuständen stets im Sinne gelegen. Gerade indem wir dies schreiben,
kommt uns die Mahnung zu Gesicht, daß wir bei uns nicht von den Lati¬
fundien her, wie in Irland, agrarische Nachteile zu verhüten haben, daß vielmehr
die weiter und weiter gehende Zersplitterung des bäuerlichen Grundbesitzes, be¬
sonders im Westen und Süden Deutschlands, eines der Übel ist, an denen unsre
Landwirtschaft leidet und das bekämpft werden muß, wenn nicht der ohnehin
so belastete Grundbesitz durch verkehrte Vererbung die Ertragsfähigkeit gänzlich
verlieren soll. Nehmen wir die Notiz nur als das, was sie ist, als Erinnerung
an die enorme Verschiedenheit unsrer Verhältnisse von deuen der Fremde und
an die Notwendigkeit, die Reformvorschläge denen zu überlassen, die die fremden
Übel tagtäglich empfinden und den Zusammenhang derselben mit allseitiger
Spürkraft gewissermaßen instinktiv erraten.




Hermann Lotzes kleine Schriften.
von Fritz Roegel.

in allgemeineren Wirkungen der Lotzischcn Philosophie scheinen
nach Lvtzcs Tode erst zu beginnen. Garnicht gewillt, irgendwem
den Rang abzulaufen, ganz frei von der sucht, durch irgend¬
welche "sensationelle" Sachen die Aufmerksamkeit der Zcitungs-
uud Modewelt zu erregen, fesselte er in dem kleinen Göttingen
einen verhältnismäßig kleinen Kreis akademischer Hörer und schuf in emsiger,
durch körperliche Leiden kaum gehemmter Arbeit die stattliche Reihe seiner Werke,
von denen auch die für einen weiteren Kreis bestimmten, trotz des meisterhaften
Stils wenig bequem und wenig entgegenkommend, streng aufmerksame Denk¬
arbeit vom Leser fordern. Die Gunst, seine Philosophie in Berlin, wohin zu
gehen er sich spät und schwer entschlossen hatte, vom Lehrstühle Hegels im An-
gesichte Deutschlands verkünden zu können, versagte ihm der Tod, der ihn
wenige Wochen nach seiner Übersiedelung abrief. Daß ein an Tiefsinn, Gründ¬
lichkeit und nachhaltiger Kraft ihm so wenig gewachsener Denker wie Eduard
von Hartenau" bei der gebildeten Menge ihm den Rang abgelaufen hat, ist


Hermann Lotzes kleine Schriften.

wie alle versichern, in wohlverdienter Achtung steht, sich an dieser Erziehung
beteiligt, nicht bloß in eine gesunde agrarische Verfassung eingesetzt, sondern
auch zu der Fähigkeit emporgehoben werden, in dieser bessern Lebenslage alle
Tugenden des Menschen und Bürgers zu entwickeln.

In allem Vorstehenden hat uns die Beziehung zwischen den irischen und
unsern Zuständen stets im Sinne gelegen. Gerade indem wir dies schreiben,
kommt uns die Mahnung zu Gesicht, daß wir bei uns nicht von den Lati¬
fundien her, wie in Irland, agrarische Nachteile zu verhüten haben, daß vielmehr
die weiter und weiter gehende Zersplitterung des bäuerlichen Grundbesitzes, be¬
sonders im Westen und Süden Deutschlands, eines der Übel ist, an denen unsre
Landwirtschaft leidet und das bekämpft werden muß, wenn nicht der ohnehin
so belastete Grundbesitz durch verkehrte Vererbung die Ertragsfähigkeit gänzlich
verlieren soll. Nehmen wir die Notiz nur als das, was sie ist, als Erinnerung
an die enorme Verschiedenheit unsrer Verhältnisse von deuen der Fremde und
an die Notwendigkeit, die Reformvorschläge denen zu überlassen, die die fremden
Übel tagtäglich empfinden und den Zusammenhang derselben mit allseitiger
Spürkraft gewissermaßen instinktiv erraten.




Hermann Lotzes kleine Schriften.
von Fritz Roegel.

in allgemeineren Wirkungen der Lotzischcn Philosophie scheinen
nach Lvtzcs Tode erst zu beginnen. Garnicht gewillt, irgendwem
den Rang abzulaufen, ganz frei von der sucht, durch irgend¬
welche „sensationelle" Sachen die Aufmerksamkeit der Zcitungs-
uud Modewelt zu erregen, fesselte er in dem kleinen Göttingen
einen verhältnismäßig kleinen Kreis akademischer Hörer und schuf in emsiger,
durch körperliche Leiden kaum gehemmter Arbeit die stattliche Reihe seiner Werke,
von denen auch die für einen weiteren Kreis bestimmten, trotz des meisterhaften
Stils wenig bequem und wenig entgegenkommend, streng aufmerksame Denk¬
arbeit vom Leser fordern. Die Gunst, seine Philosophie in Berlin, wohin zu
gehen er sich spät und schwer entschlossen hatte, vom Lehrstühle Hegels im An-
gesichte Deutschlands verkünden zu können, versagte ihm der Tod, der ihn
wenige Wochen nach seiner Übersiedelung abrief. Daß ein an Tiefsinn, Gründ¬
lichkeit und nachhaltiger Kraft ihm so wenig gewachsener Denker wie Eduard
von Hartenau» bei der gebildeten Menge ihm den Rang abgelaufen hat, ist


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[0212] Hermann Lotzes kleine Schriften. wie alle versichern, in wohlverdienter Achtung steht, sich an dieser Erziehung beteiligt, nicht bloß in eine gesunde agrarische Verfassung eingesetzt, sondern auch zu der Fähigkeit emporgehoben werden, in dieser bessern Lebenslage alle Tugenden des Menschen und Bürgers zu entwickeln. In allem Vorstehenden hat uns die Beziehung zwischen den irischen und unsern Zuständen stets im Sinne gelegen. Gerade indem wir dies schreiben, kommt uns die Mahnung zu Gesicht, daß wir bei uns nicht von den Lati¬ fundien her, wie in Irland, agrarische Nachteile zu verhüten haben, daß vielmehr die weiter und weiter gehende Zersplitterung des bäuerlichen Grundbesitzes, be¬ sonders im Westen und Süden Deutschlands, eines der Übel ist, an denen unsre Landwirtschaft leidet und das bekämpft werden muß, wenn nicht der ohnehin so belastete Grundbesitz durch verkehrte Vererbung die Ertragsfähigkeit gänzlich verlieren soll. Nehmen wir die Notiz nur als das, was sie ist, als Erinnerung an die enorme Verschiedenheit unsrer Verhältnisse von deuen der Fremde und an die Notwendigkeit, die Reformvorschläge denen zu überlassen, die die fremden Übel tagtäglich empfinden und den Zusammenhang derselben mit allseitiger Spürkraft gewissermaßen instinktiv erraten. Hermann Lotzes kleine Schriften. von Fritz Roegel. in allgemeineren Wirkungen der Lotzischcn Philosophie scheinen nach Lvtzcs Tode erst zu beginnen. Garnicht gewillt, irgendwem den Rang abzulaufen, ganz frei von der sucht, durch irgend¬ welche „sensationelle" Sachen die Aufmerksamkeit der Zcitungs- uud Modewelt zu erregen, fesselte er in dem kleinen Göttingen einen verhältnismäßig kleinen Kreis akademischer Hörer und schuf in emsiger, durch körperliche Leiden kaum gehemmter Arbeit die stattliche Reihe seiner Werke, von denen auch die für einen weiteren Kreis bestimmten, trotz des meisterhaften Stils wenig bequem und wenig entgegenkommend, streng aufmerksame Denk¬ arbeit vom Leser fordern. Die Gunst, seine Philosophie in Berlin, wohin zu gehen er sich spät und schwer entschlossen hatte, vom Lehrstühle Hegels im An- gesichte Deutschlands verkünden zu können, versagte ihm der Tod, der ihn wenige Wochen nach seiner Übersiedelung abrief. Daß ein an Tiefsinn, Gründ¬ lichkeit und nachhaltiger Kraft ihm so wenig gewachsener Denker wie Eduard von Hartenau» bei der gebildeten Menge ihm den Rang abgelaufen hat, ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/212>, abgerufen am 22.07.2024.