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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Allgemeineres über Irland.

Bemerkung zu machen, daß er selbst materiell von der Lösung veralteter Dienst¬
verhältnisse Gewinn hatte. Wenn die englischen Grundherren etwas der Art mit
einiger Sicherheit in ihren irischen Verhältnissen hoffen könnten, wie viel leichter
würde sich alles finden! Aber die Lage ist zu ungleich, um Aualvgieschlüsse
zuzulassen, wie ebenfalls A, Meitzen verständig auseinandergesetzt hat. Zudem
ist der Verzicht auf einen so bedeutenden Grundbesitz, wie ihn auch uur die
Hälfte des jetzt ihm zustehenden Bodens bezeichnen würde, für einen englischen
Lord eine ganz andre Sache, als für unsre Adlichen diese Schmälerung vor
achtzig Jahren gewesen ist. Es kann sich also nicht um Nachahmung unsrer
genialen Reformen handeln, sondern um originale, den irischen, alten und neuen
Zuständen angepaßte Maßregeln in Gesetzgebung und Verwaltung. Faule und
verbissene Menschen darf man, nachdem sie eine Kalamität für England ge¬
worden sind, und indem sie zugleich ans eine alte Schuld der Sieger hinweisen,
nicht plötzlich in Lagen bringen, die ihre schlechten Eigenschaften verstärken; man
wird sie aber auch nicht mit Gewaltmaßregeln niederdrücken dürfen, obwohl
man mit festen Strafen und Zähigkeit schon viel zur Abstellung von Gewalt¬
thätigkeiten geleistet hat. Die Erziehung, die unsre Bauern unmerklich durch
die allmählich absterbende Hörigkeit und deu absoluten Staat in seiner alles
nivellirenden Kraft erfahren hatten, muß den Jrländern durch die zähe Geduld
und Allmählichkeit der agrarischen Reform zu Teil werden. Dies klang mich
in einigen Vorschlägen der Zeitungen durch, wenn mau z. B. zuerst für die
Leute sorgen wollte, die "drei Acker und eine Kuh" für das nächste Ideal ihrer
Wünsche ansahen. Es wird auch die traditionelle Weisheit der Angelsachsen,
wie banal es auch ist, davon zu spreche", etwas ähnliches schließlich den radi¬
kalen Plänen vorziehen, die sogleich viele Millionen Staatsgelder verwenden
wollen, ohne eine Garantie zu haben, daß die Jrländer die Wohlthaten, die
man ihnen zuwende" will, mit genügendem Verständnis und Entgegenkommen
aufnehmen. Denn wenn auch die vielen Schilderungen, die man von der ver¬
kommenen Lage der ärmsten Iren liest, sehr übertrieben sind, wenn mich die
Lehmhütten mit einer einzigen Thür und einem einzigen Fenster, in denen die
Nntztiere sorgfältiger behandelt werden als die kleinen Kinder, nur in einigen
schlimmen Gegenden einen erheblichen Prozentsatz ausmachen, so ist doch durch
alte schuldvolle Vernachlässigung, infolge der Unbildung der Schule und Kirche,
durch deu Druck von Schmutz und Elend eine Stumpfheit eingetreten, die
nicht einmal von der Leidenschaft des Patriotismus in helle Begeisterung um¬
gewandelt werden kann. Geschwärzte, unkenntlich gemachte Personen übernehmen
die gemeine Rache an den wirtschaftlich verurteilten Personen. Wie sollte solche
Feigheit, vom Auslande unterstützte Mordleistung Sympathie erwecken? Da
sind die polnischen Hängegcndarmen von 1863 noch höher anzuschlagen. Aber
auch solche Menschen wie die Iren können, wenn die Gesellschaft sie mit Vor¬
sicht erzieht, insbesondre wenn die römische Geistlichkeit, die in großer und,


Allgemeineres über Irland.

Bemerkung zu machen, daß er selbst materiell von der Lösung veralteter Dienst¬
verhältnisse Gewinn hatte. Wenn die englischen Grundherren etwas der Art mit
einiger Sicherheit in ihren irischen Verhältnissen hoffen könnten, wie viel leichter
würde sich alles finden! Aber die Lage ist zu ungleich, um Aualvgieschlüsse
zuzulassen, wie ebenfalls A, Meitzen verständig auseinandergesetzt hat. Zudem
ist der Verzicht auf einen so bedeutenden Grundbesitz, wie ihn auch uur die
Hälfte des jetzt ihm zustehenden Bodens bezeichnen würde, für einen englischen
Lord eine ganz andre Sache, als für unsre Adlichen diese Schmälerung vor
achtzig Jahren gewesen ist. Es kann sich also nicht um Nachahmung unsrer
genialen Reformen handeln, sondern um originale, den irischen, alten und neuen
Zuständen angepaßte Maßregeln in Gesetzgebung und Verwaltung. Faule und
verbissene Menschen darf man, nachdem sie eine Kalamität für England ge¬
worden sind, und indem sie zugleich ans eine alte Schuld der Sieger hinweisen,
nicht plötzlich in Lagen bringen, die ihre schlechten Eigenschaften verstärken; man
wird sie aber auch nicht mit Gewaltmaßregeln niederdrücken dürfen, obwohl
man mit festen Strafen und Zähigkeit schon viel zur Abstellung von Gewalt¬
thätigkeiten geleistet hat. Die Erziehung, die unsre Bauern unmerklich durch
die allmählich absterbende Hörigkeit und deu absoluten Staat in seiner alles
nivellirenden Kraft erfahren hatten, muß den Jrländern durch die zähe Geduld
und Allmählichkeit der agrarischen Reform zu Teil werden. Dies klang mich
in einigen Vorschlägen der Zeitungen durch, wenn mau z. B. zuerst für die
Leute sorgen wollte, die „drei Acker und eine Kuh" für das nächste Ideal ihrer
Wünsche ansahen. Es wird auch die traditionelle Weisheit der Angelsachsen,
wie banal es auch ist, davon zu spreche«, etwas ähnliches schließlich den radi¬
kalen Plänen vorziehen, die sogleich viele Millionen Staatsgelder verwenden
wollen, ohne eine Garantie zu haben, daß die Jrländer die Wohlthaten, die
man ihnen zuwende» will, mit genügendem Verständnis und Entgegenkommen
aufnehmen. Denn wenn auch die vielen Schilderungen, die man von der ver¬
kommenen Lage der ärmsten Iren liest, sehr übertrieben sind, wenn mich die
Lehmhütten mit einer einzigen Thür und einem einzigen Fenster, in denen die
Nntztiere sorgfältiger behandelt werden als die kleinen Kinder, nur in einigen
schlimmen Gegenden einen erheblichen Prozentsatz ausmachen, so ist doch durch
alte schuldvolle Vernachlässigung, infolge der Unbildung der Schule und Kirche,
durch deu Druck von Schmutz und Elend eine Stumpfheit eingetreten, die
nicht einmal von der Leidenschaft des Patriotismus in helle Begeisterung um¬
gewandelt werden kann. Geschwärzte, unkenntlich gemachte Personen übernehmen
die gemeine Rache an den wirtschaftlich verurteilten Personen. Wie sollte solche
Feigheit, vom Auslande unterstützte Mordleistung Sympathie erwecken? Da
sind die polnischen Hängegcndarmen von 1863 noch höher anzuschlagen. Aber
auch solche Menschen wie die Iren können, wenn die Gesellschaft sie mit Vor¬
sicht erzieht, insbesondre wenn die römische Geistlichkeit, die in großer und,


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[0211] Allgemeineres über Irland. Bemerkung zu machen, daß er selbst materiell von der Lösung veralteter Dienst¬ verhältnisse Gewinn hatte. Wenn die englischen Grundherren etwas der Art mit einiger Sicherheit in ihren irischen Verhältnissen hoffen könnten, wie viel leichter würde sich alles finden! Aber die Lage ist zu ungleich, um Aualvgieschlüsse zuzulassen, wie ebenfalls A, Meitzen verständig auseinandergesetzt hat. Zudem ist der Verzicht auf einen so bedeutenden Grundbesitz, wie ihn auch uur die Hälfte des jetzt ihm zustehenden Bodens bezeichnen würde, für einen englischen Lord eine ganz andre Sache, als für unsre Adlichen diese Schmälerung vor achtzig Jahren gewesen ist. Es kann sich also nicht um Nachahmung unsrer genialen Reformen handeln, sondern um originale, den irischen, alten und neuen Zuständen angepaßte Maßregeln in Gesetzgebung und Verwaltung. Faule und verbissene Menschen darf man, nachdem sie eine Kalamität für England ge¬ worden sind, und indem sie zugleich ans eine alte Schuld der Sieger hinweisen, nicht plötzlich in Lagen bringen, die ihre schlechten Eigenschaften verstärken; man wird sie aber auch nicht mit Gewaltmaßregeln niederdrücken dürfen, obwohl man mit festen Strafen und Zähigkeit schon viel zur Abstellung von Gewalt¬ thätigkeiten geleistet hat. Die Erziehung, die unsre Bauern unmerklich durch die allmählich absterbende Hörigkeit und deu absoluten Staat in seiner alles nivellirenden Kraft erfahren hatten, muß den Jrländern durch die zähe Geduld und Allmählichkeit der agrarischen Reform zu Teil werden. Dies klang mich in einigen Vorschlägen der Zeitungen durch, wenn mau z. B. zuerst für die Leute sorgen wollte, die „drei Acker und eine Kuh" für das nächste Ideal ihrer Wünsche ansahen. Es wird auch die traditionelle Weisheit der Angelsachsen, wie banal es auch ist, davon zu spreche«, etwas ähnliches schließlich den radi¬ kalen Plänen vorziehen, die sogleich viele Millionen Staatsgelder verwenden wollen, ohne eine Garantie zu haben, daß die Jrländer die Wohlthaten, die man ihnen zuwende» will, mit genügendem Verständnis und Entgegenkommen aufnehmen. Denn wenn auch die vielen Schilderungen, die man von der ver¬ kommenen Lage der ärmsten Iren liest, sehr übertrieben sind, wenn mich die Lehmhütten mit einer einzigen Thür und einem einzigen Fenster, in denen die Nntztiere sorgfältiger behandelt werden als die kleinen Kinder, nur in einigen schlimmen Gegenden einen erheblichen Prozentsatz ausmachen, so ist doch durch alte schuldvolle Vernachlässigung, infolge der Unbildung der Schule und Kirche, durch deu Druck von Schmutz und Elend eine Stumpfheit eingetreten, die nicht einmal von der Leidenschaft des Patriotismus in helle Begeisterung um¬ gewandelt werden kann. Geschwärzte, unkenntlich gemachte Personen übernehmen die gemeine Rache an den wirtschaftlich verurteilten Personen. Wie sollte solche Feigheit, vom Auslande unterstützte Mordleistung Sympathie erwecken? Da sind die polnischen Hängegcndarmen von 1863 noch höher anzuschlagen. Aber auch solche Menschen wie die Iren können, wenn die Gesellschaft sie mit Vor¬ sicht erzieht, insbesondre wenn die römische Geistlichkeit, die in großer und,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/211>, abgerufen am 24.08.2024.