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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Schiller der Demokrat.
Ein deutsches nationales Drama verherrlicht den politischen Mord.

le Sozialistcndebatten in den deutschen Parlamenten zeichnen sich
naturgemäß durch gelassen ausgesprochene große Worte aus. Das
oben angeführte steht in der merkwürdigen Mvrdverteidiguug
eines der sozialdemokratischen Abgeordneten. Wenn man uns den
Vergleich gestattet, so kam sie uns vor wie die Antwort eines
Mannes, welcher auf den Zuruf: "Sich dich vor, dein Hund ist toll!" gelassen
erwiedert: "Das Beißen ist eine uralte berechtigte Eigentümlichkeit der Hunde."
Der Vergleich ist nicht sehr schmeichelhaft, aber er erscheint treffend für die Art,
mit welcher solch eine unglückliche Verteidigung über die mit so gewaltigem
Ernste gekennzeichnete Thatsache seines Verbrechens hinwegzukommen sucht. Be¬
weise, deren Behauptungen den Grundsätzen des menschlichen Denkens wider¬
sprechen, bleiben nicht bloß in Logik und Mathematik ungehört. Auch die leider
nicht so exakte Wissenschaft des Staatsleukers verschmäht es, ans sie einzugehen.
Richtet sich aber auch ein solcher Beweis mit seiner Behauptung im ganzen
selbst, im einzelnen kann er doch manches bringen, was ohne sofortige Ver¬
nichtung seinen still fressenden Schaden stiftet und schließlich gefährlicher wird
als der wirbelköpfige Bewcisführer. Wer kennt die Grenzen eines an solcher
Stelle ausgesprochenen Wortes, wer weiß nicht von der tiefen Wahrheit der
Fabel zu melden, wenn er in seiner Erinnerung nach Fällen forscht, wo wirklich
aus der Mücke ein Elephant wurde! Wer bürgt uns dafür, daß man nicht
eines schönen Tages -- Abends wollen wir lieber sagen -- von Schiller dem
Sozialdemokraten rede! Das klingt lächerlich; ist es aber so unerhört, daß man
hehre Namen ausbeuten kann -- mit Erfolg, mit großem Erfolg -- für alberne,
ja unmenschliche Zwecke? Letzten Winter wurde in Berlin eine Versammlung


Grenzboten III. 1886. 19


Schiller der Demokrat.
Ein deutsches nationales Drama verherrlicht den politischen Mord.

le Sozialistcndebatten in den deutschen Parlamenten zeichnen sich
naturgemäß durch gelassen ausgesprochene große Worte aus. Das
oben angeführte steht in der merkwürdigen Mvrdverteidiguug
eines der sozialdemokratischen Abgeordneten. Wenn man uns den
Vergleich gestattet, so kam sie uns vor wie die Antwort eines
Mannes, welcher auf den Zuruf: „Sich dich vor, dein Hund ist toll!" gelassen
erwiedert: „Das Beißen ist eine uralte berechtigte Eigentümlichkeit der Hunde."
Der Vergleich ist nicht sehr schmeichelhaft, aber er erscheint treffend für die Art,
mit welcher solch eine unglückliche Verteidigung über die mit so gewaltigem
Ernste gekennzeichnete Thatsache seines Verbrechens hinwegzukommen sucht. Be¬
weise, deren Behauptungen den Grundsätzen des menschlichen Denkens wider¬
sprechen, bleiben nicht bloß in Logik und Mathematik ungehört. Auch die leider
nicht so exakte Wissenschaft des Staatsleukers verschmäht es, ans sie einzugehen.
Richtet sich aber auch ein solcher Beweis mit seiner Behauptung im ganzen
selbst, im einzelnen kann er doch manches bringen, was ohne sofortige Ver¬
nichtung seinen still fressenden Schaden stiftet und schließlich gefährlicher wird
als der wirbelköpfige Bewcisführer. Wer kennt die Grenzen eines an solcher
Stelle ausgesprochenen Wortes, wer weiß nicht von der tiefen Wahrheit der
Fabel zu melden, wenn er in seiner Erinnerung nach Fällen forscht, wo wirklich
aus der Mücke ein Elephant wurde! Wer bürgt uns dafür, daß man nicht
eines schönen Tages — Abends wollen wir lieber sagen — von Schiller dem
Sozialdemokraten rede! Das klingt lächerlich; ist es aber so unerhört, daß man
hehre Namen ausbeuten kann — mit Erfolg, mit großem Erfolg — für alberne,
ja unmenschliche Zwecke? Letzten Winter wurde in Berlin eine Versammlung


Grenzboten III. 1886. 19
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/153>, abgerufen am 22.07.2024.